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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (September bis Dezember)

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Nr. 231 - Nr. 240 (5. Oktober - 16. Oktober)
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5. Jahrgang

Heidelberg, Mittwoch, den 10. Oktober 1923

Nr. 235

W BAU »kl WklWtlie SM MkitklW M KW

Das Ermächtigungsgesetz vor dem Reichstag.

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gr. HetVrlverg, 1V. Ottover.
Wie zu erwarten war, Haben die Vorgänge bet
«er letztwöchigen Kabinettskrise nicht ver-
mocht, dämpfend ans die s chw evi ndust r i -e l l en
Wünsche einzuwirken. Im Gegenteill Ihr erste»
Erfolg hat die Schlotbarone zu weiteren Schlägen
gegen die Arbeiterklasse und gegen den Staat ver-
anlaßt. Die Herren warten weder gesetzliche Rege-
lungen noch Tarifvereinbarungen über die Arbeits-
zeit ab, sondern halten sich an die wilhelmini-
sche Art des Kommandierens. Rücksichtslos, wie
es ihre Art ist, fordern sie die Beseitigung
des Achtstundentages, suchen sie weitere
Mittel vom Staat zu erpressen, scheuen sie sich nicht,
nachdem sie zuvor sich als alleinige „Patrioten" be-
zeichneten und jede Verhandlung der Reichsregie-
rnng mit den Franzosen als antinational diskredi-
tierten, jetzt sich Vollmachten geben zu lassen, rnit
Frankreich gewissermaßen als Staaksersatz —
der Staat selbst Hal für die Herren bereits zu existie-
ren ausgehört — zu verhandeln. In einem
Schreiben an die R eichsr e gi eru ng er-
kühnt sich nämlich die von Hugo Stinnes ge-
führte Gruppe der R u h rind ustrte llen, die
bereits ohne Regierungsgenehmigung mit den
Franzosen Verhandlungen führte, folgende For-
derungen an die Reichsregierung zu
stellen.
1. Ersatz der fett der Ruhrbesetzung beschlag-
nahmten Kohlen,
2. Ersatz der seit dieser Zeit zwangsweise erho-
benen Kohlen st euer,
3. Beseitigung der Kohlensteuer für das
Ruhrgebiet,
4. Garantie der Vergütung Uber alle
künftig zu liefernden Rrparationskohlen.
s. bevorzugte Belieferung des besetzten
Gebiets mit Rohstoffen und Lebensmit-
teln,
6. Aufhebung des Kohlenlonttnissariats und der
staatlichen Bertcilungsvrgane der Kohlen im besetz-
ten Gebiet,
^Ermächtigung der Kommission der Indu-
striellen, die Verhandlungen wciterzuführen,
8. Ermächtigung der Kommission, mit den
Besatzungsmächten laufende Fragen
s u r e g c l n,
9. Wie sollen sich die Industriellen zu der Re-
Siebahn stellen? Wie stellt sich die Rcichsregie-
t'ung zu der Schaffung einer Eisenbahnbetriebs
Sesellschaft im besetzten Gebiet, an der das Rhein-
land, Frankreich und die Industrie beteiligt sind?
1«. Verlängerung der Arbeitszeit
"uf 8^ Stunden unter Tag und Aufhebung
sämtlicher Demob ilmachungs - Ver-
ordnungen.

Die Bergarbeiter haben dieser unerhörten
Provokation, soweit die Arbeitszeit in
-Frage tommtm, bereits die Antwort gegeben, indem
sämtliche Gewerkschaftsleitungen im
Ruhrgebiet mit Einschluß der Polen folgenden
Ausruf (wir brachten ihn gestern bereits gekürzt)
^>r die Arbeiterschaft erlassen:

„Unter grober Verletzung der gesetzlichen Ver-
ordnung über die Regelung der Arbeitszeit, des
Gesetzes über die! Arbeitszeit im Bergbau, des
Vetriebsrätegssetzes, des Tarifvertrages und der
Arbeitsordnung haben die Grubenbesitzer des
rheinisch - westfälischen Bergbaues einstimmig
Hm 8. Oktober eine Verlängerung der Arbeits-
seit diktiert. Sie befehlen einfach Stunden
für dm unterirdischen Betrüb, 10 bezw. 12
Stunden für die Arbeiter über Tage.
Dis Unternehmer begründen ihr Vorgehen
«üt der Notwendigkeit, die Produktion zu schi-
llern, nm die Preise für Rohstoffe ermäßigen zu
'vüneu. Die Arb e ttnehmerorganisationen haben
einen Zweifel darüber gelassen und vielfach
"Urch die Tat bewiesen, daß sie b erett find,
volkswirtschaftliche Notwendigkeiten restlos zu
wagen.

Das Vorgehen «der Unternehmer ist ein «nner-
üörtxr noch nie dagewesener Vorgang in der
Geschichte der Regelung von ArbeftAhedingungen,
soweit sie durch Gesetz und Vertrag geordnet
>v«ren. Kein Arbeiter, kein Angestellter, keine
Gewerkschaft, keine Regierung, die Ordnung im
^taat und in der Wirtschaft wollen, können ein
crartiges diktatorisches Vorgehen hinnehmen.
Die unterzeichneten Organisationen fordern
eshgW die Arbeiter und Angestellten des Berg-
aues auf, sich nur an die gesetzlichen Bestim-
mungen, die Arbeitsordnung und den Tarisvew
tag zu halten. Die Unternehmer haben kein
echt/, vertragliche ArbeitsbedtNMNgen einsei-
. g zu ändern, jedem Versuch auf eine solche" Aen--
eruug haben Gewerkschaftsvertreter, Betrieb s-
e und Belegschaften energisch entgegenzutreten,
vo» Rechtsbruch der Unternehmer muß
Arbeiterschaft mit überlegener .Ruhe und
Sürück das gesetzliche und vertragliche Recht
«gewiesen werdens

Die Arbeitnehmer haben die Pflicht, weiter
zu arbeiten Wie bischer, und sich init -Ruhe, aber
entschlossen gegen die einseitige Aenderung der
Arbeitsbedingungen zu wehrett. Die Beleg-
schaftsmitglieder müssen zu der gewohnten Zeit
zur Arbeit oder Anfahrt erscheiuon. Alle an der
Seilfahrt Beteiligten haben wie bisher zu» ge-
wohnten Zeit ihre Pflicht zu erfüllen und sämt-
liche Belegschaftsmitglieder müssen nach Beendi-
gung der tariflichen Arbeitszeit die Betriebe ver-
lassen.
Die an dem Tarifverträge für dm Bergbau
beteiligten Organisationen übernehmen die Füh-
rung in diesem gerechten Kampfe und ersuchen
Me Arbeitnehmer, für Ruhe und Arbeit besorgt
zu sein «und sich streng au die Weisungen der Or-
ganisationen zu halten. Nur so MNN dieser
Kampf zu einem guten Ende geführt werden."
Notwendig ist jedoch, daß dieser Ablehnung der
fchwerindustriellen Wünsche durch die Ruhrarbeiter
die ebenso feste wie besonnene Entschlossen-
heit der Arbeiterschaft im ganzen Reiche zur Sette
tritt Denn wenn.auch infolge des Eingreifens der
Regierung die Zechenverwaltungen ihre Anordnun-
gen vorläufig zurückgenommen haben, so ist die
Lage doch dauernd ernst. Die Tatsache, daß die
Hütttuvnwattungen sofort an dem Vorgehen der
Zechen Gciallen fanden, zeigt, welche Gefahren dem
Achtstundentag im ganzen Reich drohen.
Ebenso nowendig ist aber «auch, daß die Reichs-
rcgicrung mit aller Schärfe dem Unterneh-
mertum an der Ruhr, das sich auf Kosten des Rei-
ches gemästet hat, zu verstehen gibt, wer Herr im
Reiche ist Tie Forderungen auch nur des gering-
sten Teiles oer Schwerindustrie — sie hat sich in
landesveriän rischer Weise durch eigenmächtiges Ver-
bandeln mir Frankreich bereits die Erfüllung vor-
ausg.'nommen — bedeutet die Uebergabe der
Staatsmacht aus den Händen der Reichsregie-
rung und des rrdebegabten Reichstags in die Hände
der Schwerindustrie. Hier darf es keine Dis-
kussionen g-ben. Klipp und klar muß die
Ncichsreglerung, wenn sie nicht abdanken will, die
Herren an der Ruhr zur Ordnung rufen, mutz die
staatlichen Gesetze über Landesverrat auch diesen
Herren gegenüber zur Anwendung bringen.
Aus diesen Gesichtspunkten heraus läßt uns die
Erklärung dcs Reichstnnenministers Gen. Soll-
mann in der «estrigen Reichstagssitzung über die
Verhandlungen der Industriellen mit General De-
goutte völlig unbefriedigt. Es klingt be-
schämend und niederschmetternd für die Staatsauto-
rität, daß i t demselben Moment, in dem sich die
Reichsregierung von der deutschen Volksvertretung
Vollmachten für ein diktatorisches Ermäch-
tigungsgesetz geben läßt, Jndustriekouzerne,
gleichsam rnit Hohcitsrechten aus gestattet, mit Frank-
reich verhandeln — die Reichsregtsrung unterließ es
aus Angst vor den Nationalisten — das selbstver-
ständlich, wie eine Havasmeldung bereits dartut,
mehr Geschmack daran findet, mit diesen wahrhaft
vaterlandslosen Gesellen zu verhandeln, als mit den
Vertretern der Reichseinheit.
Papierene Ermächtigungsgesetze, die letzten En-
des nur der Arbeiterschaft und der Demokratie ge-
fährlich sind, tun es nicht. Will die Neichsregierung
Republik und Reichseinheit retten, so Mutz ste sich
schon zu jener Energie entschließen, die die
Reichszerstörer im Uebermatz entfalten. Wollen je-
doch die bürgerlichen Parteien dies nicht, so sehen
wir wahrlich nicht ein, weshalb die Arbeiter-
schaft und die Sozialdemokratie das Opfer sein
soll. Denn, offen heraus gesagt: Zum Kinderschreck
ist die Sozialdemokratie mit ihrer stolzen Geschichte
wahrlich zu gut.
*
Das Hochverratstreiberr der
Industrie
Bef den Verhandlungen der Industriellen mit
den französischen Bcsatzungsbehörden Wrsdelt es
sich um zweierlei getrennte Attionem: Auf der
einen Seite hat der Bergbauliche Verein^
dem wohl so ziemlich -alle Zechenbesitzer angchöreu,
durch eine Deputation, die aus den Herren Stin-
nes, Vögle», Klöckner usw. bestand, Gene-
ral Degoutte und seinen Untergebenen Vorschläge
und Wünsche «unterbreitet, die sich auf die Wieder-
aufnahme der Arbeit und die Lieferungen beziehen,
ohne jedoch zu einem «endgültigen Ergebnis zu ge-
langen; aus der anderen Seite hat nach französischen
MeWungsn, die bisher «Nicht bestritten worden find,
die Gruppe Otto Wolf-Phönix mit Ge-
neral Degoutte «Litten- festen «Vertrag über Re-
paMiMMohMljKftMWgen usw. abgeschlossen.

Der „Vorwärts stellt fest, daß Stinnes bei den
Verhandlungen, die - zwischen ihm, Klöckner,
Bögler und dein General Degoutte in der
letzten Woche in Düsseldorf stattfanden, an den
französischen General das Ersuchen richtete, die
deutschen Industriellen bei der Einführung der Vor-
kriegsarbeitszeit zu unterstützen. Was aber hat der
französische General darauf geantwortet? Die Re-
gelung der Arbeitszeit sei nicht Frankreichs Ange-
legenheit, sondern Gegenstand der deutschen Gesetz-
gebung. Bet dem Ruhreinbruch habe Frankreich
erklärt, es werde «die deutschen Gesetze und Ver-
ordnungen achten. Von diesem Standpunkt weiche
er nicht ab, besonders nicht, da der Achtstundentag
im Versailler Vertrag ausdrücklich anerkannt sei."
Die Haltung der Ruhrarbeiter.
Essen, 9. Okt. IM Laufe des heutigen Vor-
mittages fanden auf fast allen Schachtan-
lag e y d e v Z e ch e n im besetzten Gebiete B e l e g-
schaftsversammlungen statt, in denen
Stellung zu dem Ansinnen -er Verlängerung
der Arbeitszeit genommen wurde. In allen
Versammlungen wurde das Angebot -mit aller
Schärfe ab gelehnt. Dagegen war man zu
lieber st und em bereit. Später traf dann die
Nachricht des Reichsarbeitstnintsters Dr. Brauns
ein, Wonach die Industriellen .veranlaßt worden
seien«, -die Ankündigung, die Arbeitszeit zu verlän-
gern, zurück zuzi eh en.
Paris verlangt Ausschaltung der
Reichsregierung.
Paris, 9. Okt. Die Havasagentur veröffent-
licht folgende offenbar halbamtliche Erklärung:
Die deutsche Regierung hat ihre diplo-
matischen «Vertreter in Paris und Brüssel eine
stsuo DemHarchh siumternrhmen lassen, um an
den Behandlungen über die Wiederaufnahme der
Arbeit im besetztem Gebiet teilzuuehmcn. Aber man
hat allem Grund, anzunehineu, daß Ministerpräsi-
dent Potncar 6 in der Unterredung, die er mor-
gen mit dem deutschen Geschäftsträger Botschafts-
rat v. Hösch haben wird, sich weigern Wird,
in dieser Hinsicht Befriedigung zu geben.
Die Eierten Regierungen wollen tatsächlich
diese Frage nicht mit der deutschen Zcntralregie-
rung diskutieren, d. h. mit den Behörden, die von
Berlin ans bis jetzt den Widerstand gegen die Be-
setzung organisiert haben. Aber sie sind im Gegen-
teil sehr geneigt, direkt mit den lokalen Behörden
oder mit den lokalen Unternehmern oder Arbeiter-
gruppen alle notwendigen Arrangements über die
Wiederherstellung des normalen Wirtschaftslebens
im Ruhrgebiet zu treffen. Das Abkommen,
das gestern durch die interalliierte Kontrollkommis-
sion mit «der Gmppe Otto Wolf abgeschlossen
wurde, beweist hinlänglich, daß «ein derartiges Ver-
fahrork rasch durchführbar und praktisch ist. Die
Einmischung der deutschen Negierung würde nur
die Verhandlungen über die Wiederaufnahme der
Allheit, die übrigens auf ausgezeichnet»«» Wege ist
und die in wenigen Tagen allgemein fein wird,
verlängern. Die Zulassung der Berliner
Delegierten zu -en Verhandlungen ist also
keineswegs erwünscht, noch «nützlich;
im Gegenteil, sobald die Einstellung des Wider-
standes in der Praxis vollkonimen sein wird, steht
es dem NeichWanzler Stresemann frei, sich an
die Reparat ionskommi ssion zu wenden,
um ihr seine Absichten bekanntzugeben und um zu
verlangen, über die zukünftigen Verhandlungen
über die Reparationen gehört zu werden. In ihr
und nur in ihr «allein müssen sich die diplomatischen
Verhandlungen zwischen den Alliierten u. Deutsch-
land vollziehen.
Der ReparasioNslkomiNission ist übrigens bereits
helikte der Text des Astbldm-nhens Wolf
übermittelt worden, damit sie prüft, ob die Fest-
setzungsn dieses Abkommens mit ihren eigenen
EnffcheidUNgeu in Einklang stehen.
England entrüstet.
London, 9. Okt. «Reuter veröffentlicht die
von Stinnes namens «der Ruhrimdustrie im Art-
schluß an die Unterredung mit den Franzosen an
die «deutsche Regierung gestellten Bedingun-
gen. Die Nachricht erregt größtes Erstau-
nen und verursacht vernichtende Kommentare.
Die „PM Mall Gazette" sagt: „Stinnes und
Genoffen haben zuguterletzt mit den Franzosen ihre
Kräfte vereint, um der Berliner Regierung Ver-
legenheiten zu bereiten. Es ist eine finstere
Tatsach e, daß die Franzosen, während ste sich
absolut weigern, mit Berlin zu sprechen, dem Ge-
neral Degoutte erlauben, mit Stinnes zu ver-
handelnd

Die Meldung Weinträchttgt das deutsche Air-
sehen sehr.
London, 8. Okt. Henderson sprach eine
starke Warnung namens Labours gegen die
französische Politik der Mtrennung eines separatsst
Staates aus.
In Anbetracht der Tatsache, daß die englische
Diskussion sich hauptsächlich auf «den Plan einer
Annexion oder der Errichtung eines separa-
te n 'S t a a t e s konzentriert, erwirbt sich der Köl-
ner Korrespondent der „Times" das Verdienst, dar-
zuwgen, daß für die französische Politik heute «die
Unterstützung der Separatisten weniger wich-
tig ist als die schrittweise Erwerbung -er Kontrolle
großer Jndustricwerke «und das «allmähliche
Niederbrechen des deutscher; Charakters des besetz-
ten Gebietes. Hierdurch wolle man eine fran-
zösische Kolonie schaffen.
Reichstag.
Berlin, 9. Oktober 1923.
Das dem Reichstag vorliegende Ermächti-
gungsgesetz soll die Reichsregierung ermächti-
gen, alle dringenden Maßnahmen auf finanziellem,
wirtschaftlichem und sozialem Gebiete zu treffen
Die Ermächtigung erstreckt sich nicht auf die Rege-
lung der Arbeitszeit und auf die Renten-
frage.
Die-S o z i a l d e m o k r a t e n beantragen die
Ermächtigung auch nicht auf die Erwerbs-
losenfrage auszudehnen. Das Gesetz soll mit
dem Wechsel der derzeitigen Reichsregierung oder
ihrer parteipolitischen Zusammensetzung, späte-
stens aber am 31. März 1921, außer
Kraft treten.
Mit zur Beratung steht ein demokratischer
Antrag, der an einzelne oder mehrere Persön-
lichkeiten diktatorische Vollmachten geben
will zum Abbau der Reichsverwaliuug und zur
E inbrin guwg eines« Beamtenabb a u ge s «e t -
zes, eines Arbeitszeitgesetzes usw. Fer-
ner« soll das G e s ch äs t s g e b a h r e n des
Reichstages vereinfacht werden. Aehnliche
Maßnahmen sollen mit den Ländern vereinbart
werden.
Abg. Dr. Helfs er ich (dutl.) beantragt die
Verweisung des Ermächtigungsgesetzes an einen
Ausschuß.
Abg. Dr. Schiffer (Dem.) stimwt dem Er-
mächtigungsgesetz z u und zwar ohne Ausschußbera-
tung. Die Regierung müsse schleunigst zu durchgrei-
fenden Maßnahmen ermächtigt werden. Kein
Tag dürfe verloren werden. Wenn wir
nicht selbst die Kraft haben, diese Vasten auf uns zu
legen, so werden ande re uns dazu zwingen.
Abg. Frölich (Kommunist) sicht in dem Er-
mächtigungsgesetz die Aufhebung des Parlamen-
iaiisnms, den Tod der Demokratie und den Beginn
der Diktatur. Wo bleibt die Energie der Regierung
gegen« das landesverräterische Treiben von Stinnes
und Genossen?
Abg. Müller-Franken (Soz.): Von einen«
Bankerott des parlamentarischen Sy-
st ems kann nicht die Rede sein, wenn der Reichstag
in einer anormalen Zeit seine Rechte aus die aus
seiner Mehrheit hervorgegangene Regierung über-
trägt. Die Währungspolitik kann nurE r-
folg Haven, wenn es gelingt, den Haushalt zu ba-
lanzieren, und dazu bedarf es durchgreifen-
der Maßnahmen. Wir leben in einer Zeit,
wo man den Mut der Unpopularität haben
muß, um durchzuführen, was man als richtig er-
kannt hat.
In der Frage dcs Achtstundentags
bleiben wir auf dem Standpunkt der Note vom 14.
November und halten an der g e s e tz l i ch e u Re-
gelung des gesamten Arbeiterschutzes fest. Aus
dem Westen wird berichtet, daß Industrielle sich a n
den französischen General gewandt
haben und sich die beschämende Antwort haben geben
lassen, daß die Regelung der Arbeitszeit eine in-
n erbeut scheAngelegenheit sei. Es ist zu
verlangen, daß diese Dinge k l a r g ge ste l l t wer-
den. Ueber die Verträge, die von den I n du -
strtellen mit General Degoutte «abge-
schlossen worden sind und ganz besonders über
den Vertrag von Otto Wolff-Phönix verlan-
gen wir Aufklärung von der Regierung. Wenn
die Pressemeldungen darüber richtig sind, stellen
diese Verträge einen f ch w e re n E i n gr i s f in die
Reparationsregelung dar, die das Pri-
mat des SlMtes bleiben muß. (Sehr richtig!)
Möglicherweise wird sich das Reichsjustizntimste-
rium die Verträge unter dem
Gesichtspunkt des Landesverrats
einmal anfeh«en müssen. (Lebhafte Zustimmung
links.) Unter keinen Umständen darf die Industrie
aus der« Not des Landes noch ein Geschifft heraus-
schlagen und SottldKini-eressen unter dem Schutz der
 
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