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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Haack, Friedrich: Böcklin und Klinger: eine vergleichende Charakteristik
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0013

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Böcklin und Rlinger.

gegangene Pfade wandeln und noch nie entdeckte Blumen pflücken, deren ungewohnten Duft zu genießen, nicht
jedermanns Sache ist. So ward denn auch Böcklin redlich verlästert, verspottet und herabgesetzt, bis sich
seine echte, wahre, gottbegnadete Kunst ganz allmählich und doch mit elementarer Gewalt Bahn brach und die
Herzen der Beschauer zwang. Böcklin, der ältere Künstler, welcher 1827 geboren wurde, mußte sich den Weg
ins Land der Phantasie durch haushoch sich austürmendes Gestrüpp bahnen. Für Klinger, der 1856, also
29 Jahre später das Licht der Welt erblickte, war der Weg schon gebahnt, aus dem er »ur rüstig vorwärts
zu schreiten brauchte. So ward er denn auch in viel jüngerem Lebensalter allgemein anerkannt. Viel wichtiger
als diese Äußerlichkeit war aber die tiefgehende Anregung, die er von dem älteren Künstler empfing, dem er
überhaupt künstlerisch so viel wie niemandem sonst verdankt.

Der Schweizer Böcklin hat seine Anschauung an den Schneebergen seiner Heimat gebildet, welche sich
klar und scharf vom Himmel abheben. Eine phänomenale Künstlererscheinung, Plastisch und malerisch zugleich
veranlagt, bewundert er nicht nur die reinen Formen an seinen heimatlichen Bergen, sondern noch mehr die
wunderbaren Farbenwirkungen, welche dieselben im Verein mit grüner Au, düsterem Forst uud tiefblauem
Himmel Hervorbringen. Formen- und Farbenreize, verbunden mit dem stillen Frieden der jungfräulichen
Natur, welcher nur durch sonntägliches Glockenläuten noch erhöht wird, üben gleichmäßig freundliche Eindrücke
auf das sich bildende Geistesleben des Jünglings aus. Der Großstädter Klinger dagegen vermag in dem
geschäftig-öden Leipzig nichts wahrzuuehmen, woran er sich mit liebebedürftiger Künstlerseele anschließen könnte.
Angewidert von der Welt, verschließt er sich ganz in sein Inneres und giebt sich vollständig seinen melancholi-
schen Gedanken hin. Auch der Christ des Mittelalters hatte der äußeren Welt Absage geleistet, um aus-
schließlich der Welt seines Gemütes zu leben. So geschah es, daß Christentum, Mittelalter und Romantik
einen starken Einfluß auf Klinger gewannen, während sich Böcklin hauptsächlich dem Einfluß der heiteren Antike
hingab. Klar und scharf, plastisch und faßlich, großartig und überwältigend heben sich die einzelnen wenigen
Figuren vom Hintergründe seiner Gemälde ab, wie die Berge vom blauen Himmel seiner Heimat. Wirr,
unbestimmt, phantastisch, zahllos, unendlich, wie die Gedanken eines mittelalterlichen Christen, häufen sich die
Traumgestalten des einsamen Grüblers Klinger.

Böcklin ist ausschließlich Künstler, welcher sich an der rein malerischen Wiedergabe der Welt, so wie
sie sich in seinem Kopfe spiegelt, heiteren Sinnes wie ein antiker oder auch wie ein Renaissancemensch erfreut.
Klinger ist nicht nur Künstler, sondern zugleich Philosoph und — Bußprediger. Düsteren Sinnes, schmerz-
erfüllter Seele hält er, ein strenger Sittenrichter, seiner Zeit den Spiegel vor. Während der farbengewaltige
Böcklin sich niit der Darstellung in Dl und in enkaustischer Malerei begnügt, vermag Klinger gar nicht alles,
was ihn bewegt und quält, in Farben umzusetzen. So greift er zur Radiernadel, um sich der ohne Zahl aus
ihn einstürmendcn Gedanken zu entledigen. In dieser Beziehung wie in mancher anderen verhält er sich zu
Böcklin, wie Rembrandt zu Rubens. Aber auch der Stich genügt ihm nicht. Böcklin ist nur Maler, Klinger
ist Maler, Radierer, Bildhauer und — Schriftsteller! Gerade daß er auch bisweilen zur Feder greift, ist für
ihn deshalb so bezeichnend, weil sich überhaupt in seinem gesamten Schaffen ein starker litterarischer und
reflektierender Zug geltend macht. Man muß schon blöde Augen haben, wenn man ein Gemälde Böcklins
nicht gleich auf den ersten Anblick begreift. Aber eine Klingersche Radierung kann weder der Laie noch auch
der Künstler ganz erschöpfen. Wenn man glaubt, alles erfaßt zu haben, stößt man immer auf neue Züge,
immer auf neue Gedankeu. Die Gedanken drängen mit so unwiderstehlicher Gewalt und in so namenloser
Fülle auf ihn ein, daß man gar nicht begreift, wie sie alle, alle in eines Menschen Hirn entstehen können!
Klinger ist ohne Kommentar nicht vollständig zu verstehen. Das ist für das Kind des 19. Jahrhunderts
charakteristisch. Wenn er sich auch in keine bestimmte Schule oder Richtung eiuzwüngen läßt, so spricht er
doch wie kein anderer den Inhalt der Jetztzeit in künstlerischen Formen aus uud bildet so das deutsche Gegen-
stück zu Zola, Ibsen und Tolstoi. Klinger ist auch insofern modern bis in die Fingerspitzen, als er in unnach-
ahmlicher Weise „Stimmung" zu erwecken versteht, das Wort nicht im malerischen, sondern in dem Sinne ge-
nommen, wie Ibsen und Turgenjew Stimmung erwecken. Dieselbe Gewitterschwüle wie im ersten Auftritt
eines Jbsenschen Dramas fühlt man auch gleich aus dem ersten Blatt eines Klingerschen Cyklus heraus.
Böcklin dagegen verkörpert durchaus nicht die Moderne. Er hat viel vom Griechen, viel vom Menschen des
Quattrocento, aber im letzten Grunde beruht er doch nur auf sich selber und steht gewissermaßen außerhalb
von Zeit und Raum.

Wie die Seele des antiken Griechen, so kennt auch die seinige keinen Zwiespalt. Die Menschen, welche
er schafft, bilden ein „ungeteiltes Ganze", es sind Vollnaturen. Die fabelhaften Phantasiegeschöpfe, mit denen
der Schweizer Böcklin, der Sohn der Berge und der Wälder, die Natur bevölkert, gehören mit Leib und
Seele dahin, wo wir sie sehen. Sie sind nicht plötzlich und unversehens im Meer oder auf den Bergen aus-
gesetzt worden, sondern sie sind daselbst geboren. Wem wird es einfallen, sich bei den nackten Gestalten
Böcklins zu wundern, daß sie keine Kleider anhäben? Bei seinen Nixen und Tritonen zu fragen, warum sie
sich im Wasser bewegen? Bei seinen Centauren zu erstaunen, daß sie in Wäldern leben? Ganz anders dagegen
 
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