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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Haack, Friedrich: Böcklin und Klinger: eine vergleichende Charakteristik
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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Wes ist die Kunst bei uns?
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0015

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Böcklin und Klinger. von Friedrich 6aack. — wes ist die Kunst bei uns?

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Böcklin ist eine Tagesnatur, Klinger eine Nachtnatnr. Jener ist Naturalist im wahren Sinne des
Wortes: er erfaßt die Natur in ihrer ganzen Ganzheit, er schildert Frühling und Herbst, Freud und Leid,
Leben und Sterben. Wie oft lacht uns aus seinen unsterblichen Werken neckischer Humor entgegen! Selbst
wenn er hochdramatische Stoffe ausgreift, wie er z. B. in seinem Gemälde »Vita somnium brave« die
Tragödie des Menschengeschlechtes in der denkbar erschütterndsten Form ausspricht, fühlen wir uns nicht nur
erschüttert, sondern auch zugleich gehoben. Seine Werke wirken demnach, wie nach Aristoteles die wahre
Tragödie wirken soll und wie auch die antiken und die Renaissance-Kunstwerke und andererseits auch die
Schöpfungen Goethes wirken. Nach der Betrachtung Klingerscher Radierungen dagegen fühlt man sich wie nach
der Lektüre Ibsens, Zolas und Tolstois zu Bodeu geschmettert. Klinger ist eben als echter Sohn seiner Zeit
ein einseitiger Pessimist. Tie modernen Künstler schreiben mit ungerechtfertigtem Stolze Naturalismus auf
ihr Banner und schildern dabei doch nur die eine Seite der Natur, die Nachtseite! Gewiß wir Menschen alle,
ob arm, ob reich, ob gesund oder mit ererbter Krankheit behaftet, wir führen alle einen harten Lebenskampf!
Und wir Menschen vom Ende des 19. Jahrhunderts, durch Gesetze geschützt wie keine andere Generation vor
uns, wir führen vielleicht trotzdem einen noch härteren Lebenskampf als alle vorausgegangenen Geschlechter!
Aber trotz alledem und alledem scheint auch heute noch die Sonne so wunderbar schön herab wie zu allen
Zeiten und die liebe Sonne ist so allgewaltig, daß sie auch unter des Ärmsten Dach zu dringen vermag. Und
das Leben selbst ist doch auch für den, der es ernst zu nehmen und zu arbeiten versteht, so wunderbar schön,
die Allnatur ist so unbegreiflich großartig, daß man, wenn man recht darüber nachdenkt, mit Thränen in
den Augen gestehen muß: es ist ein schier unermeßliches Glück, zu atmen, zu leben! Wahrlich, ich weiß mir
keine größere Unsrömmigkeit, als wenn jemand leichthin ausruft: ich wollte, ich wäre niemals geboren worden!
Darum hinweg mit dem gottverfluchten Pessimismus! Der Pessimismus lag und liegt in unserer Zeit, und
daher mußte er ausgesprochen werden in Kunst und Litteratur. Doch kommen wird der Tag, wo der Riesen-
genius entstehen wird — wollte Gott, aus deutschem Blute: em zweiter Dürer oder Goethe -— welcher der
Welt von neuem das frohe Evangelium der auf Arbeit gegründeten, kerngesunden Lebensfreude verkünden wird.

Wäre Böcklin fünfzig Jahre später geboren worden, so könnte er der Mann sein. Ein größeres Lob
kann man diesem Künstler wohl kaum spenden, welchem — alles in allem genommen — gerade wegen seiner
harmonischen Weltaufsassung der Vorzug vor seinem großen Rivalen Klinger gebührt.

Kassandra, von Mar Klinger.

WeF ist die Kunst Lei un§r

von L. L. v. Berlepsch.

^eit mehreren Jahren erscheint in England eine Zeit-
schrift, »'I'be Ltuckio«, das Atelier, die Werkstatt,
betitelt. Neben Abbildungen ausgeführter Bilder pla-
stischer und architektonischer Werke, die von Autoren
aller möglichen Nationalitäten herrühren, nimmt das
mit diesen Künsten aufs innigste verbundene Kunstgewerbe
breiten Raum in Anspruch. Alles mögliche ist da ge-
geben, Tapeten, keramische Arbeiten, Bucheinbände, Druck-
verzierungen u. s. w.; ein wahrer Schatz von anregen-
den Dingen, die, von Künstlern, Malern, Bildhauern,
Architekten komponiert, ein Bild davon entrollen, wie
im Ursprungslande des »Ltuckio« der Begriff des künst-
lerischen Lebens und Schaffens vielseitig aufgefaßt wird.
Das Werk zeigt, um es mit einem Worte zu charakte-
risieren, das volle Gegenteil der bei uns herrschenden
künstlerischen Einseitigkeit; es giebt vielmehr Anschauung
davon, wie durch das Zusammenwirken mannigfacher
Kräfte, die sich gegenseitig ergänzen, die Allgemeinheit
künstlerischer Arbeit belebt, gefördert wird. Dabei ist
die Publikation lächerlich billig: je ein starkes Heft
einen Schilling. Die ersten Bände sind total vergriffen.
Sie muß somit ihren Weg gut gefunden haben. Wir
in Deutschland sind auf derlei ausländische Publi-
kationen angewiesen, suchen wir Anregung, gesunden
Fortschritt, Unterstützung dessen, was vielleicht einzelne
 
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