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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Clifford, Lucy Lane: Die letzten Pinselstriche, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0043

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26

Die letzten Pinselstriche. Nach Mrs. W. U. Llifford.

Malers Stimme klang wieder höhnisch — „denn damals
war ich noch nichts und hatte nichts als meinen Ehr-
geiz." Er schwieg für einen Augenblick und sah ins
Feuer. „Es war eine unterhaltende Hausgenossenschaft",
fuhr er fort; „Monsieur und Madame Carton, Mrs. Brooke
und das Fräulein, ein oder zwei andere und ich selbst,
der in den Kreis ausgenommen worden, weil mein Vater
auch Soldat und Monsieur Carton bekannt gewesen war."

„War der Pavillon Rouge nahe dem Chateau?"
fragte Harlekston in Erinnerung an Carbouches Bild.

„O nein, Monsieur, er war eine halbe Stunde
vom Schlosse entfernt, ganz außerhalb St. Germain,
an der Straße nach dem Forste von Marly. Aber ich
halte Sie auf, Monsieur. Diese Rückerinnerungen
müssen von geringem Interesse sein. Bitte, empfehlen
Sie mich Ihrer Frau Gemahlin."

„Aber das Porträt, Monsieur Carbouche?"

„Ich verstehe nicht, warum Madame wünscht, mir
zu sitzen; wir sind einander nicht mehr begegnet seit
St. Germain."

„Sie wünscht es aber doch, und sie hofft, daß Sie
zusagen werden um der alten Bekanntschaft willen, an
welche sie sich so gern erinnert."

Carbouche runzelte die Stirn und verhielt sich für einen
Augenblick stillschweigend; dann blickte er plötzlich auf.

„Monsieur", sagte er, „ich werde mir ein Ver-
gnügen daraus machen, Frau Gräfin zu malen."

III.

Die Holzblöcke im Kamin wurden wieder angezündet.
Das Licht im Atelier war mit Sorgfalt verteilt. Auf
der Staffelei stand eine kleine Leinwand, vielleicht groß
genug für einen Kopf und ein Paar Schultern, aber für
mehr auch nicht. Auf einem etwas erhöhten Sitzplatz
stand ein Stuhl. Carbouche erwartete sein Modell; er
schritt im Zimmer ans und nieder und horchte wieder
auf den Ton, welcher ihn drei Tage vorher aufgestört
hatte. „Frau Gräfin — Madeleine", und ein un-
artikulierter Laut kam von seinen Lippen; es war ein
Schmerzenslaut. „Vielleicht trägt sie noch das graue
Eichhörnchen um den Hals. Es muß ein anderer Hals
sein als der von dreiundzwanzig Jahren früher. Mein Gott,
wenn die Dinge anders gekommen wären—." Erhielt
an vor der Mappe
im Winkel und nahm
die Leinwand da-
hinter hervor. Das
Bild stellte einige
Kastanienbäume im
Walde dar und einen
Jüngling, welcher
versuchte, in das Ge-
sicht eines Mädchens
zu blicken; aber sie
hielt es von ihm
abgewandt. „Ich
wünschte, ich hätte
damals ihre Augen
gesehen, dann würde
ich es gewußt
haben", sagte er.

In einer Ecke stand:

„a tckarl/ 18—".


Er stellte das Bild mit einem Seufzer an seinen
Platz zurück und ging wieder auf und nieder. Da öffnete
sich die Thüre, und eine große, anmutige Frau trat
herein. Carbouche verbeugte sich, sein Gesicht wurde
hart, und er blickte scharf auf seine Besucherin, indem
er versuchte, ihre Züge durch den Spitzenschleier zu er-
kennen, welcher sie verhüllte.

„Wie geht es ihnen, Monsieur Carbouche? Es
freut mich wirklich, sie wiederzusehen." Ihre Stimme
war leise und wohllautend und bewegte sein Herz; aber
er biß die Zähne aufeinander. Dann sagte er steif:

„Guten Tag, Madame. Ich werde die Ehre haben,
Ihr Porträt zu malen."

„Es ist gut von Ihnen, daß Sie eingewilligt haben",
sagte sie und that einen Schritt vorwärts. Er lauschte
mit seltsamen Gefühlen dem Rauschen ihres Kleides.
Dann antwortete er:

„Die Malerei ist mein Gewerbe im Leben, Ma-
dame."

Hinter der Lady stand eine nett aussehende
Kammerjungser; Carbouche blickte fragend nach ihr hin.

„Es ist nur mein Mädchen, Susette", erklärte
Lady Harlekston; „sie wird mich zurechtmachen." Dann
sah sie in Carbouches Gesicht. „Es ist seltsam, Sie
wiederzusehen; ich hatte oft gewünscht —"

„Wir wollen Ihr Bild sofort anfangen, Madame,
wenn Sie sich bereit machen wollen."

„Ach ja, wir dürfen Ihre Zeit nicht verschwenden,
sie ist zu kostbar. Susette!" Sie hakte ihren Mantel
auf, und das Mädchen nahm ihn in Empfang. Mit fast
hungrigen Blicken beobachtete der Maler sie; die Ge-
stalt unter dem Mantel war schlank genug, doch hatte
sie in den dreiundzwanzig Jahren natürlich ihre
Mädchenhaftigkeit verloren. Er hatte schon in dem
Augenblick, als sie eintrat, gesehen, daß die Freiheit ihrer
Bewegungen aus den alten Tagen in eine frauenhafte
Gemächlichkeit verwandelt war, zu der sich eine stolze
Miene gesellt hatte, welche ihr vornehmer Stand ge-
schaffen. Dann nahm das Mädchen ihr den Schleier
ab, der mit einem kleinen Schildpattpfeil befestigt ge-
wesen, und Carbouche sah mit einem Blick seines kühnen,
schnellen Auges, welches in jede Einzelheit eindrang und
ihm alle Illusionen zerstörte, daß ihr Haar, obgleich es

goldig war, doch eine
härtere Farbe hatte
als früher. „Ach",
dachte er, „viele
Winter sind vor-
übergegangen seit
jenem Spätsommer,
als wir einander
Lebewohl sagten,
und wenn der
Sonnenschein
schwindet, muß man
sich einen Ersatz
schaffen, so gut es
geht." Sie wandte
sich ein wenig wider-
strebend nach ihm
um.

(Die Fortsetzung im
nächsten Hefte.)
 
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