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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Fuchs, Georg: Friedrich Nietzsche und die bildende Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0097

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72

Friedrich Nietzsche und die bildende Aunst.

ziehung des Publikums^ in dieser Richtn . umsomehr
Gewicht legen, als gerade das Gegenteil oei ihm —
und auch bei vielen bildenden Künstlern -- sich be-
sonderer Achtung und Fürsprache erfreut: , mlich die
Stilmischung, hervorgegangen aus der Ne st ahm nn g
der Motive und Stile älterer, historischer -ochen,
Es ist nicht allein unsere Architektur, der AnbUc einer
einzigen modernen Prachtstraße, ja eines Hauses, r. B
des Berliner Reichstagsgebäudes — vielleicht e> in
seiner Art geniales und grandioses Produkt des ss
der Stilmischung" — der uns bezeugt, wie iiei h
die Adoration dieser Schwäche bei uns festgesetzt. ' -
Besuchen wir unsere höheren, verfeinerten, knnstH'
tigen, allem Schönen und Großen zugethanen Den schei
in ihren Wohnungen, hören wir ihre Musik, lesen
ihre Bücher, sehen wir ihre Schauspiele — insofern sie
nicht als „naturalistische" auf Kunst überhaupt ver-
Vrrhrrrlichung Schlüters, von Hugo-Vogel. zichten — blättern wir in ihren Mappen: wahrhaftig,

Surxorte im Berliner Ratbause. der Hexensabbat von Stilen, scheinbaren Stilen, Misch-

stilen und Unstilen kann den einfachen Geist toll und
krank machen! Dazu kommt dann und wann ein armer Narr, der von einem deutsch-nationalen Stile schreit und
eine Herde von Unzufriedenen um sich versammelt, indessen dort ein mit Affentalenten glücklich gesegneter
Jongleur mit „französischer" Grazie, mit Chic und koketter Raffinerie eine andere „Gemeinde" ergötzt u. s. w.
u- s. w. Die „Renaissanceler" scheinen überhaupt nicht mehr anssterben zu wollen, und aus einem ihrer Zweige,
der durch den Namen Wilh. Diez gekennzeichnet ist, hat sich in letzter Zeit eine junge Schule technisch vor-
züglich beanlagter Talente gesondert, welche mit Stift, Griffel und Pinsel Dürer kopieren und sich ebenfalls
für Apostel eines echt-, ur- und erzdeutschen „Stiles" erklären. So wäre denn der „deutsche Stil" ein Stil
des Wiederkäuens, der Deutsche am Ende ein — Ochse? Besser vielleicht: ein Büffel, der den Sumpf liebt:

die Romantik?

Ohne Zweifel: es ist immer noch die Romantik, welche uns in der Produktion am meisten hemmt,
indem sie zur Reproduktion verlockt. Es ist der historische, romantische Reiz des Alten, die seltsame, ver-
schleierte, traumhafte Stimmung, welche uns in der Umgebung der großen Zeugnisse der Vergangenheit um-
gaukelt, auf die Knie zwingen, schwach machen will. Burckhardt hat mit bewunderungswürdigem Scharfblicke
erkannt, daß der hohe Reiz, der gewaltige Schauer der Erhabenheit, welchen gewisse venetianische Bauten trotz
ihrer wenig ästhetischen, in den Maßen primitiv-unharmonischen, fast barbarischen Architektur (z. B. San Marco,
S. Maria de'Miracoli, die Scnola di San Marco u. a.) aus uns ausüben, lediglich auf einer Jdeen-
association beruhen, durch welche wir diese Werke mit dem herrlichen Geschlechts adeliger, schöner Menschen in
Verbindung bringen, welche durch Jahrhunderte zwischen ihnen die königlichen Kunstwerke ihres Lebens voll-
brachten. Es beruht aber diese Romantik des Empfindens und Schaffens auf einer Schwäche, auf einer Krank-
heit, wie Goethe meinte. Sie liebt es, sich zu unterwerfen, statt zu beherrschen. Der Starke bildet um, macht
seiner Person gemäß, läßt die Dinge nach seinen Rhythmen, nach seiner Geige tanzen: wollten doch die
deutschen Künstler wieder zu diesem Stolze stark genug
werden, daß sie mit Mozart und „Figaro" singen
könnten: ,,8s vnol llallars, Lio-nor soiickino, il sliicka-
rino 1s snonsro. — 8s vnol vsnirs nslla irria
scnola, 1a oapriola 1s inssANkro: — knicks 1s inasslrins
rovsssisio!" — Aber um dies wieder zu lernen:
das Kommandieren in der Kunst, dazu hilft nur
die Umdeutung alter Motive. Nur hier lernt man nicht
im Stofflichen, im Unkünstlerischen, sondern im absolut
Künstlerischen neu, selbständig, Herr zu sein. Der
Stoff bleibt — „Madonna" oder „Pieta" oder „Assunta"
oder „Ritter, Tod und Teufel" — neu kann nur die
Kunst, die Deutung, die Bedeutung werden. Freilich:
warum sollte nicht beides neu sein können? — Um

so besser! Um so besser! Gemeinhin aber verläßt ^ ^

st, c !.> st Eyrrrnchung Achmkrls. von Suao-Voael.

man sich auf die Überraschung, welche eine stoffliche ^ de», siweBem»» Rapuse,
 
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