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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 12 (Dezember 1932)
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Fritz, Ernst: Von der andern Seite
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Sprechsaal / Buchbesprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0233

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von überzeugt werden, daß ein Ver-
sagen oder eine Minderleistung in unse-
rem Fache vollauf ausgeglichen sein
kanndurcheine Mehrleistung in anderen
Fächern. Wir wollen doch nicht nur Spe-
zialisten auf unserm Gebiet heranbil-
den, wir müssen unser Fach dem Ziele der
Entfaltung der Gesamtpersönlichkeit
unterordnen und sollten uns Im Inter-
esse der Jugend freuen, wenn einem Ver-
sagen in unserem Fache eine Mehrleistung in einem
anderen gegenübersteht und bei der Beurteilung
diese Tatsache voll in Rechnung stellen."
„Wie vielen unserer Schüler gibt der Kunstunterricht
Gelegenheit, ihr Bestes zu zeigen, ihr Bestes, das fürs
Leben so wertvoll ist! Oft habe ich die Erfahrung
machen müssen, daß ich erst durch die Leistungen im
Kunstunterricht, die mir gezeigt wurden, dahinter kam,
was überhaupt in dem jungen Menschen steckte, und
ich habe ihn dann mit ganz anderen Augen sehen und
„beurteilen" — um das mir an sich unsympathische
Wort zu gebrauchen — gelernt. Allein schon in dieser
Tatsache liegt für mich eine Rechtfertigung der starken
Betonung der künstlerischen Fächer. Dieses Argument
kommt zu den anderen, die ich andeutete, hinzu. Alles
in allem: Eine Kürzung des Unterrichts in
den künstlerischen Fächern ist m. E. für
die moderneSchule untragbar, ein Vorschlag
wie Punkt 4 des Sparprogramms also durchaus ab-
wegig."
(„Eine persönliche Bemerkung: Wer meine kurzen
Darlegungen so auffassen wollte, als redete ich Min-
derleistungen das Wort, oder als setzte ich die Bedeu-
tung der wissenschaftlichen Fächer herab, der hat
nicht verstanden, was ich will.")
Wir haben aber diesen unsern wissenschaftlichen
Freund verstanden, und wir danken ihm für seine durch
eigene Anschauung und Kenntnis erworbene und hier
mit so viel persönlicher Wärme und Mut vorgetragene
Ansicht. Jawohl, auch mit Mut. Denn wenn auch sicher-
lich sehr viele Philologen ebenso denken und es auch
wohl mündlich betonen, schriftlich niederlegen tut es
noch lange nicht jeder. Da sind gewisse Ffemmungen

vorhanden. Schade drum: man dient einer Sache nur
dann ganz, wenn man auch den Mut hat für sie einzu-
freten. Am Schluß schreibt dieser Philologe: „Sie düt
fen meine Stellungnahme verwenden und verwerten,
wo und wie Sie wollen; ich stehe zu meiner Auf-
fassung."
Und wir wollen es auch tun, noch inniger, noch be-
stimmter, noch mutiger. Dann bleibt der Erfolg nicht aus.
Liebe Amtsgenossen, laßt uns alle Kraft daran setzen, daß
das neue Schuljahr 1933 das Unrecht der Sparmaßnahme
beseitigt und uns wieder im vollen Umfang die äußeren
Möglichkeiten zur Pflege der Kunsterziehung zurückgibt.
Es mehren sich die Anzeichen, auch auf „der andern
Seite", daß bei vielen die Einsicht kommt: Diese Spar-
maßnahme war grundverkehrt!
Univ.-Prof. Dr. Deutschbein-Marburg sagt in einem
Aufsatz über die Leistungsfähigkeit der heutigen aka-
demischen Generation (Deutsches, Philologenblatt vom
5. Okt. 1932): „Auch ist nicht zu verkennen, daß die
heutige Jugend infolge des erweiterten und vertief-
ten Unterrichtes in den künstlerischen und technischen
Fächern eine größere Beweglichkeit und Spontaneität
auch auf geistigem Gebiete zeigt. Es vollzieht sich
auch hier eine innere Wandlung gegenüber der Ver-
gangenheit: früher wurde der Schüler stärker in be-
stimmten Fachgebieten ausgebildet, jetzt zeigt sich
der Vorteil, der in der Totalität ruht. Denn dieser Drang
zur Totalität ist zweifellos ein Vorzug der heutigen
Jugend in dem Sinne, daß jetzt gleichmäßig Körper,
Geist und Seele zur harmonischen Ausbildung ge-
langen . .
Ich führe zum Schluß als Zeugen den Vertretertag
des Philologenvereins der Provinz Hannover an, der
unter anderen auch folgenden Antrag einstimmig an
nahm: „Die durch die Preußische I) o t v u r
Ordnung vom 12. September 1931 verfügte
Herabsetzung der Wochenstundenzahl,
die sich als eine unorganische, rein
rechnerisch durchgeführte Sparmaß-
nahme kennzeichnet und die Erreichung
der der höheren Schule gesetzten Lehr-
ziele unmöglich macht, ist rückgängig
zu mache n."

SPRECHSÄÄL
Inhalt und Form?
In dem Aufsatz von R. Gahlbeck-Schwerin, „Form
und Inhalt, Kunst und Publikum", Heft 10,' 1932 heißt es:
„Aufgabe des Künstlers ist es, einen gestaltungs-
würdigen Inhalt in so vollendeter Form, wie nur mög-
lich darzubieten, einen Inhalt, der den Aufv/and der
Kräfte zu tragen vermag. Die Entscheidung darüber,
was gestaltungswürdig ist und was nicht, wird dem
Künstler nicht schwer fallen, der fest in seinem Volk
verwurzelt ist. Dann wird er von dem künden, was es
im Tiefsten bewegt . ,
ich meine jedes Ding ist gestaltungswürdig, und wer
dies nicht selbst empfindet, der mag es in der Lite-
ratur bis herauf zu Stifter, Rilke und Morgenstern nach-
lesen. Kein Künstler wird etwas als „stofflich völlig
belanglos" ansehen, auch die Rübe hat als Glied der
Schöpfung „Inhalt", nicht nur die Madonna, wobei
wohlgemerkt die hierarchischen Stufen nicht verrückt
oder verwischt werden sollenl Wenn Grünewald die
Kreuzigung so groß sieht, wie vielleicht kein anderer
Mensch, so sieht und gestaltet er die Felsen, die
Bäume, die Raben, oder ein Stück weißes Linnen nicht
minder wirklich und eindringlich, ebensowenig schreckt
er vor der Gestaltung des Bösen zurück. Weil das
Große groß ist, deshalb muß das Kleine nicht belang-
los und unwürdig sein, es ist ebenso da. Aber bleiben
wir beim Nächsten! Was sagen Sie zu den, ebenfalls

in Heft 10 abgedruckten Bildern von Pankok, etwa zur
„blonden Kuh"? Gewiß keine Angelegenheit, die un-
ser Volk im Tiefsten bewegt, aber doch gestaltungs-
würdig, keine l'art pour hart; wunderbar, wie schon
die kümmerliche Autotypie spricht, man könnte glau-
ben, zum erstenmal eine Kuh wirklich gesehen und
erfaßt zu haben. Und ist hier das Gemüt ausgeschal-
tet? — Es gibt von Manet gemalte Bildnisse — wir
wissen: gemütloser Romane, Impressionist! deren
Ausdruck auch den bärtigsten Germanen ergreifen
kann. Es gehört kein Mut dazu, Gemüt zu haben, oder
es zu zeigen, aber es gehört Mut dazu, es für eine
Menschengruppe in Erbpacht zu beanspruchen!
Ich glaube, wir verbohren uns zu sehr in die Frage
von Form und Inhalt, von Wie und Was, („das Was
bedenke, mehr bedenke Wie" läßt Goethe den —
Mephisto sagen). Wohltuend und großartig ist hier
das Gleichnis Kungfutses, das vor einiger Zeit in
„Kunst und Jugend" abgedruckt war: „Die Form ist
Wesen, das Wesen ist Form. Das von Haaren ent-
blößte Fell eines Tigers oder Leoparden ist wie
das von Haaren entblößte Fell eines Hundes oder
Schafes". Es möge auch daran erinnert sein, daß
es die Aufgabe des Künstlers ist, die gesamte sicht-
bare Welt immer wieder neu zu erschaffen. Es gibt
z. B. kein Biid „Der Löwe", das alle anderen Löwen-
bilder überflüssig macht, so wie es nur eine Ana-
tomie des Löwen gibt, die immer gleich ist, und
gelernt werden kann. Man denke an die Löwen

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