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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

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Heft 13 (1. Aprilheft 1898)
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Sommer, Hans: Die Wertschätzung der Musik, [1]
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Polyphonie?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0024

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ivar, daß er z. B. zum Tanzen aufspielen nmtzte. Auch Liszt, Spohr, Marschner
und einige andere waren allerdings der Geldsorgen enthoben. Da dicse aber ihr
Auskommen hauptsüchlich ihrer Virtuosen-oder Dirigenten-Thätigkeit verdankten,
so kommcn sie hier eben so wenig in Betracht, wie anderseits die glücklichen
Schwimmer im seichten Gewässer der Mode. Der einzige „Trompetcr von
Säkkingen" z. B. hat alsbald mehr eingebracht, als Mozart oder Beethoven
jemals sür alle ihre Kompositionen erhalten haben. Hier ist ja übcrhaupt
nur von solchen die Nede, die in unserer über alleS herrlichen Musik etwas
bedeuten, und wenn sie fast alle, die herrlichen Menschen und herrlichen
Künstler, gerade sür ihre größten, neue Bahnen erschließenden Wcrke kein Ver-
ständnis und folglich auch kein Entgelt fanden, wenn sie fast alle steten
Demütigungen und Entbehrungen ausgcsetzt waren, so handelt es sich nicht
sowohl um bcklagcnswerte Einzel-Schicksalc, als vielmehr um eine allgemeine
Erscheinung, um deron Bescitigung man ernstlich besorgt sein müßte, und die
kurz und nüchtern etwa so fcstzustellen wäre:

Von seltenen Ausnahmen abgeschen, bedürfen in Deutschland Publikum
und Kritik längercr Jahre, wohl gar einiger Jahrzehnte, um ein cchtes
musikalischeS Kunstwerk, zumal wenn es für die Bühne bestimmt ist, seinem
wahren Werte nach zu würdigen. Genie, jahrelange Mühe und Arbeit, die
der Autor darauf verwendet, sind für ihn selbst fruchtloS. Nicht er hat sich
der Schütze zu erfrenen, die damit erworbcn werden; vielleicht gelangen seine
Erben dazu, sicher disjenigen, die später damit Handel treiben und die Ernte
einheimsen, nachdcm der Säemann längst vcrdorben und gestorben ist.

(Fortsetzung folgt.) lsans Sommer.

DolWboilie?

Man hört jetzt an Bungerts Griechenopern dcn Mangel an Polyphonie
init einer gewissen Wichtigkeit tadeln nnd Polyphonie als ein unerläßliches
Erfordcrnis des Musikdramas unter Bernfung auf Richard Wagner hinstellen.
Ueber Bungert ist im Kunstwart offen gcnng gesprochen worden, diesmal aber
ivill es die Sache, daß wir ihn gegen einen unserer Meinung nach ungerechten
Vorwurf verteidigen. Denn wir halten cs für bedenklich, ncu auftretende Kom-
ponisten von Musikdramen auf polyphonische Arbeit gleichsam festzulegen. Jene
Behauptung scheint unS nämlich, so wie sie gcmeinhin vorgebracht wird, keincs-
wegs überzeugcnd.

Man weitz, daß die Opcr sich ursprünglich im offenen stilisiischcn Gegen-
satze zur Polyphonie der kirchlichen Tonkunst entwickelte, man weiß, daß Poly-
phonie auch bei Wagner erst dem Stil der letzten Werke angehört, man hat
sich dcn Genuß des Freischütz, der Euryanthe, des Barbiers von Sevilla durch
jencn Mangel nicht verkümmern lassen und sich andcrscits bei so mancher
müchtig polyphonen Oper gründlich gelangweilt. Weshalü verehren wir Gluck?
Gewiß nicht wegen seines polyphonen Satzes. Und darum kann dieser für den
Wert eines musikdramatischen Kunstwerkes nicht ausschlaggebend sein. Die aus-
drucksvolle Melodie ist stets das Entscheidcndc, die Kraft der harmonischen Cha-
raktcristik, während die Polyphonie im Musikdrama in der Regel nicht viel
mehr als Zuthat sein darf und überhaupt erst dann eine Daseinsberechtigung
hat, wenn der melodische Ausdruck erschöpft ist. Die Verkennung diescS Grund-
satzes, die ganzc Einseitigkeit des Musikcrs, der sich ums „Drama" blutwcnig
 
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