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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

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Heft 13 (1. Aprilheft 1898)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0040

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gelegt habe, und, umgekehrt wie ich, ist er müde geivorden, er hat seine Kraft
verloren, er strauchelt und will am Wcgesrande niedersallen, während mich
die Erwartung des Lebens, in das ich eintreten soll, anfeuert und mit der
himmlischsten Hoffnung berauschtl Am Morgen des Jahrhunderts, als wir zu-
sammen ausgezogen sind, war mein Genoß blühend an Jugend, üppig von
Äesundheit, und Hoffnungen jeder Art schürten die Flammen der stolzen Blicke,
die er über den Horizont schweifen lietz. Während ich zweifelte, zweifelte mein
Genotz an nichts; ich schulde ihm diese Gerechtigkeit; jung, ungestüm, ver-
wöhnt durch die wildeu, verderbten Jahrhunderte, deren Händen er entschlüpfte,
war sein erster Gedanke, ihre Beispiele zu verschmähen, und wenn er auch ganz
oingenommen für die Kunst war, deren Reize er dunkel erkannte, so galt doch
sein Sinnen zuvörderst der Religion und der Tugend. Jch habe den Bruder
Savonarola gekannt, edle Frau, und niemals ist der Anblick dieser ehrwürdigen
Gestalt aus meinem Gedächtnisse geschwundcn. Jch habe von seinen Lehren
gelebt. Sei cs, datz er zuviel von uns verlangt, sei es, datz das arme Jtalien
seine Kräftc zu sehr überschätzt hat, und die Einbildungskraft bei ihm in keinem
Verhältnis zu seiner Nechtlichkeit stand, Jtalien entwand sich seinen Händen und
blieb in denen des Lasters. Aber dennoch fühlte es sich; es hatte das Bewutzt-
sein seiner Ueberlegenheit über dic übrige Welt. Es verachtete die andern
Länder und brauchte deren Hilfsquellen zu seinen Zwecken; es war ihnen ein
Gegenstand der Bewunderung und wußte es. Es kannte sich als groß und
träumte nichts anderes, als es noch mehr zu werdcn. Seine Künstler . . . Jhr
wißt, was sie gewesen sind! Jetzt ist alles vorbei- Das Feuer ist erloschen.
Es gibt kcin Jtalien mehr. Diejenigen, die wir verachteten, werden unsere
Meister. Die Künstler sind dähin. Jch bin der letzte Ueberlebende aus der
heiligen Phalanx; was man mit demselben glorreichen Namen benennt, den
wir getragen haben, sind nur noch Krämer, denen es nicht an Unverschämtheit
fehlt. Da sollte man wohl sterben! Wir sterben übel, traurig. Was thut's?
Es hat schöne Seelen, glorreiche Seelen in diesem Jtalien gcgeben, das hinfort
geknechtet und niedergeworsen ist. Jch bedaure es nicht, gclebt zu haben.

Die Marchesa. Ach! Jch bin mindcr entrückt als Jhr. Jch leide um
-iese glorreichcn Dinge, die uns verlassen habcn odcr unS Lebewohl sagen.
Mir scheint, daß, nachdem wir mit Licht überstrümt gcwcsen, unsere wankenden
Schritte in die Finsternis führen.

Michclangelo. Wir lassen grotze Dinge hinter uns und große Bei-
spiele .. . Die Erde ist reicher, als sie war, ehe denn wir kamen . . . Was ver-
schwindet, wird nicht ganz und gar verschwinden .. . Die Felder können ruhen
und eine Zeit brach liegen; das Samenkorn ist in den Fluren. Der Nebel
kann sich ausbreiten, und der Himmel grau und trüb sich mit Dunst und Regen
Ledecken; die Sonne steht dort droben ... Wer weitz, was wiederkommen wird?

Die Marchesa. Jhr scheint erschöpft, mein Freund. Euer Haupt neigt

sich - -

Michelangelo. Ja, ich bin müde . . . ich will Euch verlassen . .. Jch
bin neunundachtzig Jahre, Marchesa, und jede Bewegung strengt mich ein
wenig an; wir haben diesen Abend von rccht ernsten Dingen gesprochen. Lebt
wohl!

Die Marchesa. Auf morgcn, nicht wahr?

Michelangelo. Auf morgen ... ja .. . wenn ich noch von dieserWelt
bin . .. und wenn ich nicht mehr darin bin ... auf Wiedersehn, edle Frau!

(Er erhebt sich, die Marchesa stützt ihn und drückt ihm die Hand.)
 
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