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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

DOI issue:
Heft 17 (1. Juniheft 1898)
DOI article:
Bartels, Adolf: Ein Buch über Hermann Sudermann
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0147

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Sittenbildes in „Sodorns Ende", die rcine Mache in der „Heimat", die absolute
Lächerlichkeit in der „Schrnetterlingsschlacht" — alles tritt ziemlich klar aus
der Kritik Kaweraus heroor. Aber auf das „Glück im Winkel" und die „Mori-
turi" smit Ausnahme des „Ewig-Männlichen") sällt er dann hinein, eben weil
er zwar im einzelnen ein guter Kritiker, aber nicht das ist, was ich einen
wahrhaft Dichterkundigcn nennen möchte, der intuitw das Wesentliche einer
dichterischen Persönlichkeit auffaßt. Da soll im „Glück im Winkel" „jeder Erden-
rest des Theatralischen abgestreift, der Stofs rein in der Form aufgegangen"
sein, da wird die Charakteristik der blonden Bestie Rücknitz (wie schon früher
die dcr Helden von „Jolanthes Hochzeit" und „Es war") als prachtvoll be-
zeichnet. Ja, fühlt Kawerau denn nicht, datz diese blonde Bestie Röcknitz, wie
überhaupt Sudermanns ostpreutzische Junker trotz oder gerade wegen ihres
„natürlichen" Gebahrens Komödienfiguren sind, so gut wie die blasierten Salon-
helden einer früheren Zeit, kann er sich wirklich dcr Einsicht vcrschließen, datz
die Gegenübcrstcllung dcs brutalen Barons und des rcsignierten Schulmeisters
weiter nichts als eine künstlichc Antithcse, ein Thcatereffekt ist? Jch finde
zwischen der „Heimat" und dem „Glück im Winkel" mit dem besten Willen
keinen anderen Unterschied, als daß dieses Stück etwas sorgfältiger gemacht ist,
als jenes. Und nun gar „Teja" und „Fritzchen"! „Teja" soll eine mit erstaun-
licher Kühnheit und kraftvollster Energie gestaltete historische Tragödie, außer-
dem abcr nuch noch ein psychologisches Charakterdrama sein, die letzte, die
Speise-Szene, aber gar eine Offenbarung wildesten und groteskesten Humors!
Es ist Kawerau, der diese Szene „von dcm denkbar keuschesten Zauber um-
wobcn" nennt, unerfindlich, wo hier irgcndwelche Sentimentalität stecken soll.
Ja freilich, es gibt Leute, die den Unterschied zwischen Friedrich Hebbel und
Friedrich Halm einfach nicht empfinden; wer abcr dazu imstandc ist, der lese
etwa Halms „Sohn der Wildnis", und er wird auch keincn Augenbick zweifel-
hast sein, wie Sudermanns „Teja" rangiert. Dann „Fritzchcn"! Kawerau ver-
steigt sich hier zu der Behauptung, wir würdcn uns wohl oder übel allgemach
daran gewöhnen müssen, in den Verhältnissen, dcnen Fritzchen unterlicgt, daS
modernc Fatum zu crkennen, das mindcstenS ebensovicl Tragik
in sich birgt wie das Fatum der Alten, und zwar aus dem Grunde,
weil doch für Fritzchen sein Ehrbegriff zwingend sei. Da können wir noch eine
schöne Tragik erleben. Merkt Kawerau denn gar nicht, datz er damit der
wüstesten Schicksalsdramatik, wie wir sie schon gehabt haben, das Wort redet?
Ob der Schicksalspopanz cin falscher Ehrbegriff oder das Bild der Ahnfrau
oder ein nnheimliches Messer ist, bleibt sich, wenn es auf den Glauben an-
kommt, ja wohl gleich.

Der Wert des Knwerauschcn Buches ruht also auf der Einzelkritik, die
Totalität der dichterischen Persönlichkeit Sudermanns, oder sagen wir einfacher,
sein Wesen ist ihm nicht klar geworden. Auch sind seine üsthetischen Grund-
anschauungen, so vicle Mühe er sich gibt gerecht zu sein, beschränkt. Das ver-
rät er selbst sehr deutlich, wenn cr sich in allgemeinen Ausführungen ergeht,
so beispielsweise Seite und wo er bei Gelegenheit der „Schmetter-
lingsschlacht" gleichsam sein ästhetisches Glaubensbekenntnis ablegt: „Alles ist
niederdrückend, trostlos; da ist nichts, abcr auch gar nichts, was befreit und er-
hebt und uns, und sei es auch nur für einen Augenblick, die widrige ordinüre
Wirklichkeit mit all ihrem Jammer, mit all ihrer Verlogenheit und all ihrer
Beschränkthcit vergessen läßt. Man mag die Kunst, die solche Bilder der un-
ersreulichsten Wirklichkeit zustande bringt und solchergestalt unsere Nerven zu
 
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