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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

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Heft 19 (1. Juliheft 1898)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0225

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Lose Klätter.

Trau»nfäden.

Vorbemerkung. Die nachfolgende ebenso anspruchslose wie sehr
sonderbare kleine Dichtung in Prosa überreichen wir unsern Lesern mit un-
gewöhnlicher Freude. Denn so mangelhaft ihre Komposition und so unvollkommen
einzelnes in ihrer Ausführung ist, — es wird doch kein Empfänglicher, der
ihren Weisungen mit genietzender Muße nachgeht, verkennen, datz hier auf ganz
abgelegenen Wegen ein wirklicher Dichter geht. Schon daß ihm das Seltene
zuweilen gelingt, die Stimmung des Traumes zu erwecken, bewiese das ja
zur Genüge. Und dieser wirkliche ist ein neuer Dichter: kein Literatur-
beflissener weitz bisher etwas von ihm, man denke: im Kürschner sogar, im
alle nennenden, ist sein Name nicht zu finden. Freilich hat dieser Sonderling
die unerhörte Neigung, nicht genannt sein zu wollen — und so dürsen auch
wir, denen er sein Manuskript eingesandt hat, nicht sagen, wie er heißt.

Jn der Singspielhalle der grotzen Stadt war die Vorstellung in vollem
Gange. Die Hände des blassen Klavierspielers rannten geläufig tastenauf und
tastenab, während sein Kopf mit den wasserblauen, stieren Augen die Gedanken
ganz wo anders hatte, denn gleichgültig hing das Gesicht über dem gebeugten
Körper vor. Von der kleinen Bühne her schimmerten die Leiber vier ge-
waltiger Männer, die dröhnend sangen, alle vier im Batz. Jn der weiten,
elektrisch erleuchteten Bierhalle aber breitete fich das Publikum als eine dunkle
Masse aus, — hockte um alle Tische, klapperte mit unzühligen Bierkrügel-
deckeln, lietz hin und wieder mächtige rollende und brausende Lachsalven
aufsteigen und dazwischen aus tausend rotglimmenden Zigarrenpunkten Rauch-
sädchen an Rauchfädchen, die sich über den Köpfen droben ineinander- und zu-
sammenspannen zu einem bläulichen Gedünst. Darein kam mit der Zeit eine
lcise Bewegung. Dann wogte der Dunst sachte hin und her. Und langsam
streckte sich ein Arm daraus — noch einer — lange Haare wehten hervor, ein
Kopf schob nach. — Sich, cin häßliches Rauchwcib schwebte und schwankte über
der Versammlung.

Das kleine Mädchen, das von Vater und Mutter heute zum ersten Mal
in die Singspielhalle mitgenommen war, sah all dieses ganz deutlich und
fürchtete sich dabci nicht im geringsten. „Das sind ihre Augenl" dacht es nur,
eifrig an der Erscheinung studierend, als es zwei längliche Lichtlücken sah, die
blatz in dem unsichrcn Gebilde standen. Dem Nannerl war's nämlich allgemach
langweilig bei der Vorstellung geworden. Zuerst hatt' es nur schüchtern
um sich gestaunt in der summenden Menschcnmenge; dann hatt' es mitgelacht,
wie alles über die dicken Mannsbilder auf der Bühne lachte, und wohl-
gefällig, Schlückchen um Schlückchen vom guten Biere vor sich getrunken;
aber je länger das Spiel dauerte, desto schwerer und heißer wurde es ihm
zum Sitzen. Jetzt war es ganz glücklich, die interessante, veränderliche Alte
droben aufgcfunden zu haben, und über der Beschäftigung mit ihr blickte
es selten mehr in den Saal und zur Bühne. Da, jetzt hingen seine
Aeuglein doch an ciner Gestalt im Zuschauerraum. Dort an der Säule an
dcm jungen Mann. Wie dem das Haar durcheinander starrte aus mchreren
Partieen, in Schöpfen. Der Kinnbart war auch nicht beschnitten. Trotzdem,
sein Gesicht gefiel dem Nannerl wohl. So gut sah es aus, so gut und lieb,
wenn's auch ernst war. Er war wohl traurig. Auf einmal war's dem Nannerl
 
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