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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

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Heft 20 (2. Juliheft 1898)
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Bischoff, Anton: Berliner Musikleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0250

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in Nikisch und Weingartner von Steinbach keine neuen Offenbarungen erhal-
ten, dürfte auch nicht zu bezweifeln sein. Also warum der ganze Aufwand?
Daß an dem kleinen Fürstenhöfchen sehr hübsch konzertiert wird, wußte man
ja. Einen überraschenden Erfolg erzielte Steinbach aber doch. Als letzte
Programm-Nummer des letzten Konzerts war das Meistersinger-Vorspiel an-
gesetzt, und siehe da — das ganze Unternehmen, das sü mLjorem Urs.üm8ü
Zloriam veranstaltet war, endete in cinen bedingungslosen Triumph Wagners.

Von den ständigen Berliner Konzerten sind die weitaus besuchtesten die-
jenigen im Opernhause. Jmmer war das nicht so; erst Weingartner hat
Leben in diese, früher auf recht spießbürgerlich tiefem Niveau stehenden Ver-
anstaltungen gebracht; jetzt ist es so weit gekommen, daß nur für die am
Morgen des Tages der Aufführung stattfindende Generalprobe Karten zu
haben sind, während für die Aufführung selbst sämtliche Plätze bis in den
vierten Rang hinauf abonniert sind. Der Zettel trägt stets dcn Vermerk: „alle
Karten zur Aufführung mit Ausnahme der Stehplätze sind vergriffen." Was
in jenen Konzerten geboten wird, ist aber auch so ziemlich das Beste, was man
in Deutschland hören kann.

Leider konnte Weingartner nur die drei ersten und zwei letzten der zehn
Konzerte dirigieren; die fünf andercn leitete vr. Muck. Weingartner hatte sich
für diesen Winter eine Aufgabe gestellt, die wahrlich des Schweißes der Edlen
wert war — sämtliche neun Symphonien Bethovensl Daneben waren
mit je einer Symphonie vertreten Haydn, Mozart, Mendelssohn, Schubert,
Brahms, Volkmann, Raff, Liszt, Tschaikowsky, Glanzunow und Lalo.
Mit kleineren Werken erschienen Gluck, Spohr, Cherubini, Weber, Cornelius,
Berlioz, Wagner. Abgesehen von den großen Beethovenschen Symphonien
boten das meiste Jnteresse die Faust-Symphonie von Liszt und die bisher un-
bekannte bl-moll von Tschaikowsky, die sich besonders starken Beifalls erfreute.
Am originellsten ist offenbar ihr zweitcr Satz, bei welchem die Streichinstru-
mente ausschließlich im pl^ioato Verwendung finden und nur zwei Mal von
den Holzbläsern abgelöst werden. Etwas Bizarreres und schwerer Auszufüh-
rendes ist mir selten vorgekommen. Jm ganzen hält aber doch die L-moll
Symphonie keinen Vergleich mit der herrlichen patkötlgue des großen Russen aus.

Wie man sieht, ist Weingartner bei Aufstellung seiner Programme keines-
wegs einseitig. Die älten, großen Klassiker kommen gerade so gut zu ihrem
Recht wie die Romantiker und die Modernen. Auf letztere komme ich weiter
unten zu sprechen.

Derselben Unparteilichkeit wie die Opernhauskonzerte erfreuen sich die
philharmonischen. Der einzige wesentliche, sachliche Unterschicd zwischen
beiden besteht darin, daß bei jedem der zehn philharmonischen Konzerte ein
Solist mitwirkt; diesmal waren es: Carreüo, Battistini, Camilla Landi,
Risler, Schwabe, zur Mühlen, d'Albert, Sarasate, Sembrich, Gabrilowitsch,
Lilli Lehmann und Witek. Die Programme sowie das Publikum nach Art
und Zahl sind die gleichen wie bei den Aufführungen im Opernhause. Als
besonders interessante Darbietungen wollen wir hervorheben das O-moll Kon-
zert von Nubinstein (Carreüo), das Vorspiel des zweiten Aktes zu d'Alberts
Gernot, eine Serenade für Streichorchester von Suk, die patkötlgue von Tschai-
kowsky und die unvergleichliche tantL8tlgue von Berlioz.

Betrachten wir nun die Programme der beiden Konzertinstitute als ein
Ganzes, so fallen uns zwei Sachen sofort auf. Erstens, daß Weingartner nicht
ein einziges großes Werk von Berlioz bringt. Das ist sehr zu bedauern.

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