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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 1
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"Kaviar für's Volk"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0013

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l, Lttick,

Lrscbetnt

im ersten und dritten viertel

Dcrausgeber:

zferdinand Avenartus.

Kcsrellprets:
vierteljährlich 21/2 Mark.
Anzeigen: Z gesp. Nonp.-Zeile H0 ssf.

3. Zadrg.

tür's Volk."

^aviar für's volk" — kfamlet meint damit
etwas, zu dessen verständnisvollem Genuß der
! Geschmack der großen Menge nicht fein genug
^ist. N)ir brauchen das kVort wohl auch in
anderer Bedeutung: der Aaviar ist uns nichts für's
volk, weil er zu teuer ist, als daß chn die Leute
empfangen könnten. „Raviar für's Volk!" wir rufen
das Linem zu, der kostbare Dinge Iedermann zum
Besten geben will, als wären's billige. „Ieder müßte
sein Reitpferd haben." Unsinn, Äaviar für's Volk!
Gder wir legen auch beiderlei Sinn nebeneinander ins
^Dort, „Zeder sollte Uunst, Dichtung und Musik, sollte
landschaftliche und geschichtliche Schönheit wirklich ge-
nießen können." Raviar für's Volk! Dies letzte Bei-
spiel gilt für besonders schlagend: der akademisch ge-
bildete Staatsbürger, der auf einen Theaterplatz für
jeden Niontag und auf einen Uonzertplatz für jeden
Zweiten Sonnabend abonnirt hat, der jeden September
dreimal in die Runstausstellung geht und jeden neuen
Roman von Tbers durch seine Gattin lesen läßt, er
wärmelt sich an im Behagen an seiner klugen Über-
legenheit, wenn er solcher Lorderung gegenüber
„Raviar für's volk!" sagt.

Verehrter kserr Theaterabonnent: geht es auch zu
weit, etwas daran ist doch an jenem „utopischen"
Verlangen. lVir stehen in der Zeit sozialer Besserungs-
versuche. Sie sind, wie ich, von der Nützlichkeit der
Sozialreform überzeugt, nicht wahr? Sie können die
Arbeiter zwar nicht recht leiden, es ist riästig, aber
Bie wünschen ihncn doch mäglichst hohe Löhne, Alters-
und Invalidenversorgung, mehr sreie Zeit u. dergl.,
damit sie Nuhe halten, diese Unzufriedenen. chchön,
aber schon der rämische Pöbel rief nicht nur panom,
sondern auch cirsenZss. Ohns Trheiterung und Tr-
hebung verdumpft und verdummt der Änn; wer nur
aus Tretmühle und Ausruhelager lebt, der wird dem

Tiere ähnlich, und als Tiere wünschen doch anch Sie,
geehrter kserr, schon darum unsre Arbeiter nicht, weil
kräftige Tiere gefährlich sein kännen. Zetzt aber hören
Sie mich und widersprechen Sie: schon deshalb gilt es,
unserm Volke den ästhetischen Genuß mehr und mehr
zu erschließen, weil er so gut wie nichts oder
nichts kostet.

kvenigstens so gut wie nichts zu kosten braucht.
Reichausgestattete Bühnenaufführungen und Ronzerte,
Gemälde und Rupserstiche im eignen Besitz, vergoldete
Nokokomäbel usw. — ja freilich, die kosten was. Aber
Goethes oder Schillers Gedichte kann man für zwanzig,
ja zehn pfsnnige kaufsn. wer gelernt hat, Formen
zu empfinden, der kann an einem Gipsköpfchen, preis
fünfzig Pfennige, Zahre lang reine Freude haben; wer
eine schöne Linie wirklich nachzusühlen vermag, dem
kann ein noch so einfaches aber geschmackvolles Ton-
gefäß oder Trinkglas sür füns pfennige so viel Freude
bereiten, wie heute dem Runstfreunde irgend ein
„5cherb", der einem alten Hellenen zum Rüchenrat
gehörte. wer die Töne der Farbe, wer die Spisle
des Lichts zu sehen gelernt, dem führt bsimnwl und
Land draußen an jedem Tage ein Freikonzert und
eine Runstvorstellung ohne Lintrittsgeld auf. wer
gebildet ward, im Menschenleben nicht nur die Gber-
fläche, sondern auch die Tiefe zu sehen, der sieht er-
heiternde Lustspiele und erhebende Tragödien rings um
sich herum, wo er stehen und gehen mag. Das, zu
dessen Genuß viele Renntnisse gehören, aufge-
speicherte Neichtümer in der Schatzkammer des Gehirns,
das, ihr wohlunterrichteten, ist euer privileg: es giebt
Gebiete auch in der Runst, die immer aristokratisch ver-
schlossen bleiben werden, und wir denken nicht daran,
die feinsten Feinheiten des Runstgenusses der Menge
öffnen zu können. Zu wessen Genuß aber nur jene
in der Niehrzahl smeinetwegen auch nur in einer

Der Nachdruck von ISngeren wie kürzeren Beiträgen des „Aunstwarts" ist vom verloge nur unter deutlichertvuellenangabe gestattet.

IS

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