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Schäfer- oder auch Nüpelspiel. Man weiß, daß
Anzengruber, im Unterschied von den „Naturalisten"
strengster Regel, nicht streng nach Ukodellstudien ge-
arbeitet hat; das alte Bauernblut, das in ihm selber
sioß, der schnell ersassende Blick für das Bezeichnende,
gaben uns Gestalten, die durch ihre innere Linheit-
lichkeit von ihrer Lchtheit doch so eindringlich über-
zeugen, wie gute Bildnisse uns unbekannter personen.
Niit Auerbach gemeinsam war Anzengruber die Vor-
liebe für Spintisirer und „Ännirer" unter den Bauern,
die ihm auch wohl zur Darlegung seines eigene»
Lmpfindens Dienste leisteten; ich muß im Gegensatz
zu Anderen bekennen, daß gerade diese Menschen
oft höchst anschaulich vor mich getreten sind. Diese
Aöpfe, dis wohl schrullenhaft und verschoben aber
nicht verschlafen und verstumpst denken und die Lust
am Denken behielten, scheinen mir in Anzengrubers
Verken aus derselben (^uelle gekommen, wie der so
oft plätzlich und glücklich hervorbrechende Lichtstrom
des ksumors: aus tiefinnerlicher Daseinsfreude. „lVir
wissen's ja, ein rechtes kserz ist gar nicht umzubringen"
es ist, als sei der Stormsche vers ganz auch aus
Anzengruber anzuwenden, und als setzte dieser
nickend hinzu: und ein rechter Ropf auch nicht. N.
Kildende llrünste.
* über „monumeMale lDerirrungen" spricht
Lübke in der „Nationalztg." (678), indem er zunächst
darauf hinweist, daß das Nunstgewerbe mehr und
mehr auch in der Architektur und plastik die Führerschaft
an sich zieht — eine Thatsache übrigens, von der
bereits im allerersten Aufsatze des „Nunstwarts" (I, t)
gesprochen worden ist. „Das Runstgewerbe hat einen
Umfang und eine Rraft gewonnen, die uns wohl mit
stolzer Besriedigung erfüllen kännen. Aber eine Ge-
fahr liegt auf diesem lvege, die wir um so weniger
übersehen dürfen, als sie sich selbst in unserer alten
Aunst geäußert hat. Ls isi der Umstand, daß bei
dcn massenhasten Lntwürsen für kunstgewerbliche Dinge
die j)hantasie der meisten Uünstler sich gar zu leicht
gewöhnt, auch bei monumentalen Schöpfungen den
Tharakter kunstgewerblicher produktion festzuhalten.
Uian kann aber keine größeren Gegensätze denken, als
das monumentale und das kunsthandwerkliche Schafsen.
Beim ersteren gilt es vor Allem, in Uomposition,
Ausbau und Gliederung groß und einfach zu sein,
alles Unwesentlliche fern zu halten, aus zierliche Linzel-
heiten zu verzichten und aus einen möglichst klaren,
geschlossenen Umriß hinzuarbeiten. Das letztere dagegen
verlangt Reichtum, Fülle anziehender Linzelheiten,
Anmut und Feinheit in Gliederung und Durchbildung."
An Beispielen aus Uonkurrenzen sucht nun Lübks
nachzuweisen, „wie sehr die Gewohnheit kunstgewerb-
lichen chchaffens schon in die monumentale produktion
eingedrungen ist". „In den meisten Fällen verdarb
das postament den guten Lindruck, indem es in
allerlei kunstgewerbliche Niedlichkeiten sich verlor. Ulan
war versucht, bald an einen Taselaufsatz oder an eine
Uassette, bald an irgend ein anderes kunstgewerbliches
Ding zu denken." Aber auch die Figuren selber
„erinnerten in dee aufs ksöchste gesteigerten Beweg-
ung an die ausschweifendsten Barockornamente". Der
Versasser bedauert, „daß unser publikum hinsichtlich
der Verwechselung des Nunstgewerblichen mit dem
Nonumentalen und vollends hinsichtlich der Bevor-
zugung des ersteren an Ltelleu, wo es nicht am platze
ist, die verirrungen der Nünstler teilt".
Vom
* Das „Dolkramslied" von Iulins Grosse (Striesen,
lseinze) breitet am Lebenswege einer erdichteten typischen
Gestalt, Lrwin volkrams, Bild auf Bild aus der jünasten
Lntwickelung des dentschen volkes hin wie zu einem einzigen
großen Gemälde vom werden und Sein unserer Nation von
heute. Ls giebt nicht viele Bücher, die so reich an stofflichem,
aber auch nicht viele, die so reich sind an echtem dichterischen
Gehalt. Seiner Art nach gehört das „Volkramslied" nicht
eigentlich zur lyrisch - exischen Gattung, sondern zu jener,
die allgemein mit ihr zusammengeworfen wird, aber in ihren
bezeichnenden Schöpfnngen sich klar kenntlich von ihr scheidet:
zur lyrisch-dramatischen. Ls ließe sich, mangelte es nicht an
Raum dazu, dies und jenes darüber sagen, in wie geistreicher
und eigenartiger Meise der verfasser mitunter seine Bilder
eingeleitet, hervorgehoben, verbunden hat. was bisher nur
aus wenigen lyrischen Gaben Grosses einem engeren Kreise
von Literaturfreunden bekannt war, das serner wird aus dem
„volkramsliede" hinaus ho^entlich zum gemeinsamen Be-
wußtsein eines viel weiteren werden: daß Grosse iibcr eine
sprachliche Kraft verfügt, über cine Fähigkeit, das lvort, den
Rhythmns und den Reiin zur Lharakteristik zu verwenden,
die oft erstaunlich ist. von mit künstlerischer Absicht (wenn
auch unserer Meinung nach nicht immer mit künstlerischer
Berechtigung) scheinbar saloppem Plauderton, der an Byrons
Don Juan erinnert, bis zum vollen Gden- und bjymnenklang
wechselt die innere Melodie der verse, wie eine Menschen-
xersönlichkeit in ihren Stimmungen, und ebensowenig ihre
Dage.
Linheit verlierend, wie diese. All das machte noch nicht allein
die echte Dichtung. Aber das: nichts wird nüchtern referirt,
alles wird gestaltet, alles wird Gestalt. Und wer sich der
verschiedenartigkeit all der vorwürfe zur Gestaltung bewußt
bleibt, der wird sich nicht darüber wundern, daß auch eine so
tüchtige Dichterkraft nicht einen jeden davon so voll beseelen
konnte, wie manchen. lvir halten das „volkramslied" für
(Zulius Grosses bedeutendstes kverk.
* Friedrich Lange hat ein „modernes Lxos in zehn
Gesängen" nnter dem Titel „Lothar" (kjamburg, verlags-
anstalt), herausgegcben. Nicht, daß es in der Gegenwart
spielt, macht das Buch im feineren lvortsinn „modern", aber
auch nicht die Behandlung in einer mit Betrachtungen, Reden,
Zchilderungen durchsetzten freien Art des vortrags, deren
eigentlicher vater oder doch Großerzieher Byron ist, sondern
vor allem die Lharakteristik seines kjelden, Lothars von Sachsa.
lvie für ein früheres Geschlecht die „xroblematischen Naturen",
so stnd ja für das unsere sie charakteristisch, diese „Vptimisten",
die im Gegensatze zu jenen „Pessimisten" nicht neue, noch
unvsrwirklichte Ideale als größte Ukächte im Bewußtsein
tragen, sondern an ihrer Statt echten und heiligen Glauben
an bereits verwirklichte, z. B. des „neuen Reichs", die infolge-
dessen nicht gleich jenen von der Annahme der schlechtesten
aller welten in ihrer persönlichen Lntwickelung seit dem Lr-
wachen ihres Mannesgeistes ausgehen, sondern von der An-
nahme der besten aller lvelten, und in welchen demgemäß
die lvirren und lviderstreite damit beginnen, daß sie im vor-
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