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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 23
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0369

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Nundscbau.

Tdeater.

* „Die Meintnger" werden keine Gastsxielreisen mehr
unternehmenl Lin Rundschreiben Lhronegks an die Nkit-
glieder des herzoglichen Lsoftheatcrs verkündet es eins der
bedeutsamsten Aaxitel der zeitgenössischen dentschen Theater-
gcschichte ist somit abgeschlossen. Tauscnde r>on Freundcn der
Uunst werden mit lebhaftem Bedanern hörcn, daß die Thücinger
nicht mehr in Deutschlands Städten auftreten sollen. Die
reformatorische Leistnng der lNeininger darf in ciner Beziehung
als abgeschlossen bezcichnet werden; ihre Anregungen sind von
der Allgemeinheit der größeren Bühnen aufgenommen worden
nach der Seite der theatralischen Ausrüstnng und Linrichtung
hin. Noch lange nicht zum Durchbruch gelangt auf unseren
ksosbühnen ist aber das andere „Neue", das die Meininger
in nnser vornehmeres Bühnenleben brachtcn: der freie Gcist,
dcr uns von diesem lhoftheater aus Werke kennen lchrte, vor
denen sich die übrigen ksoftheaterintendanten bis auf einige
wenige bekreuzten und dic Spießbllrgcr entrüsteten. Man pflegt
diese Seitc der Thätigkeit bei den INeiningcrn hinter die
andere znrückzustellen, aber sie ist höchst wichtig und brachte
reichen Segen. Anch wenn wir nicht in Allcm die Absichten
der Nkeininger billigen nnd teilen konnten: wcm die Sache
wahrer Aunst am kserzen lag, der hat doch allen Grund, des
kserzogs Georg »nd seiner Mitarbeiter mit aufrichtigster Dank-
barkeit zu gedenken.

Musik.

» Mr örkentltcbe Freikonzerte, die vc»> Stadt-
oder Staatswegen oder von gemeinnntzig denkenden
privatleuten oder vereinen dem volke geboten werden,
tritt August Neißmann im Wiener „Fremdenblatt"
(222 f.) ein.

„Lhe die öffentlichen Nkusikaufführungen vor einer
größeren Zahl von Zuhörern in unserem Aonzert-
wesen die eigentümlichs Organisation erlangten, welche
sie nur noch deu «obereu Zehntausend» zugänglich
werden läßt, war für das Aunstbedürfnis der unteren
Schichten des volkes eutschieden besser gesorgt, als
heutigen Tages. Nach dem vorbilde der höfischen
Sänger, die im zwölften und dreizehnten Zahrhundert
ihre Lieder von Burg zu Burg trugen, durchzogen
auch fahrende «Schüler und Spielleute» das Land,
um in Dorf und Stadt gegen bescheidenen Lohn ihre
kveisen ertönen zu lassen und mit ihnen auch den
Tanz zu leiten. Nachdem aber seit der Neformation
in den Städten wohlbestallte Singchöre und Stadt-
xfeifereien eingerichtet waren, gehörte es mit zu ihren
Gbliegenheiten, nicht nur in der Rirche beim Gottes-
dienst mitzuwirken, um bei städtischen sestlichen Gelegen-
heiten «unterthänigst aufzuwarten» — das heißt Musik
auch zur Tafel und zum Tanz zu machen — soudern
auch an bestimmten Tagen vom Thurm oder dem
Altan des Rathauses und an besonders dafür einge-
richteten öffentlichen sslätzen zur «besonderen Gemüts-
ergötzung der ehrsamen und wohl achtbaren Bürger»
ernste und heitere Riusikstücke aufzuführen. Bei be-
sonderen Gelegenheiten mußten beide Lhöre: die
Rantorei (der Stadtsingerchor) und die Stadtpfeiferei
(das städtische Grchester) zur Stelle sein, um in Ginzel-
leistungen und Gesamtaufführungen dem «wohlweisen
Nat und den ehr- und tugendbegabten Bürgern ihre
bereits gewonnene Runstfertigkeit zu zeigen»." Auch
Fürsten und Große gingen in ähnlicher bveise vor.

„So kam es, daß in den einigermaßen in dieser IVeise
begünstigten Städten auf den Straßen und im Freien
beinahe noch mehr Musik gemacht wurde, als jetzt
i» den kfäusern. <Ls wurde damit dem Volke eine
Fülle von musikalischen Genüssen geboten, die sein
Bedürfnis mehr als hinreichend befriedigten. Nun,
da in unserer sonst so musiküberladenen Zeit auch die
«böhmischen Musikanten» nur noch selten die Straßen
durchziehen und das gesamte öffentliche Rlusiktreiben
sich auf den Ronzertsaal zurückzog, bleiben dem volke
außer dem Leierkasten und den verwandten Znstru-
menten nur noch die «Gartenkonzerte», die es zum
überwiegend großen Teile auch nur als «Zaungast»
genießen kann."

Der verfasser beklagt das in Betrachtungen über
den gute» Linfluß der Musik und umsomehr, als die
Gartenkonzerte, wie sie einmal sind, auch nicht dazu
angethan erscheinen, des kundigen Lsörers Rlage in
Bewunderung vor ihren Leistungen verstummen zu
machen — eine Sache, von der ja s. Z. Spitteler zu
uuseru Lesern (Rw. I, t?) erbaulich gesprochen hat.
Neißmann fordert also Freikonzerte unter offenem
tzimmel für die Gegenwart wieder in höherem Nlaße,
als sie jetzt vorkommen, „Gartenkonzerte", wie er sie
der Linfachheit halber benennt. Ghne uns in allem
Linzelnen seiner Nleinung anzuschließen, lassen wir
aus dem Folgenden unsere Leser ersehen, wie er sich
die Sache vorstellt.

„Größere Städte unterhalten in neuerer Zeit oft
wieder einen Znstrumentalchor, ein Stadtorchester, und
haben auch einen Singechor zur Verfügung, daher
wäre es wohl zu fordern, daß sie auch wieder die
alte schöne Sitte xflegten und öffentliche Abend-
musiken einführten für alle die, welche, um sie zu
genießen, sich auf dem betreffenden j)latz versammelten.
Auch die kleinen Städte, deren lfaushalt es nicht zu-
läßt, eine eigene Naxelle zu haben, dürften nicht
zurückstehen. Lin Privat-Nlusikchor fehlt wohl kaum
der kleinsten Stadt, und dieses würde sich gsgen geringe
vergütung gewiß mit Freuden bereit erklären, solche
wöchentlich, wenn auch nur einmal, zur bestimmten
Zeit und am entsxrechend gewählten Grte stattfindende
Abendmusiken auszuführen.

vo» besonderer Bedeutung in dieser Nichtung
könnten noch die Gartenkonzerte werden, wenn sie
dem entsprechend eingerichtet würden. Man ist nur
zu leicht geneigt, sie für eine profanation zu halten,
und bei ihrer gegenwärtigen Linrichtung geschieht
ihnen damit leider oft nicht Unrecht. Allein unsere
größten Nileister der Tonkunst baben bewiesen, wie
falsch das doch ist, indem sie «Lhorlieder, im Freien
zu singen», komponirten und das Leben in Flur und
lvald zum Gegenstande für Nunstwerke machten, deren
rechter Genuß auch hier nur, weit weniger im Ronzert-
saal, möglich sein dürfte. Die Formen des Tanzes
und Nlarsches stnd am unmittelbar pulsirenden Leben
erzeugt und sie haben im Grunde den ersten Anstoß
und die Nlöglichkeit gegeben, daß die Znstrumental-
musik sich in so großer Nlannigfaltigkeit entwickeln
konnte. Auch sie werden in Gottes freier Natur immer
die unmittelbarste lvirkung machen und daher im
Gartenkonzert einen breiten jAatz einnehmen dürfen.

— 3Z7
 
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