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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 21
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Spitteler, Carl: Das deklamatorische Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0333

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r Lrscbetnt

2^. Anfang und in der Mitte

Derausgeber:

Ferdtnkind Avenartus.

Kesrellpreis:

vierteljährlich 2 - Mark. Z, Httbt'g.

Das deklamatoriscke Dkeater

s giebt naturgemäß eiueu Ztveifachen Theater-
stil, je uachdem die eine oder die audere
Seite der Schauspielkuust, die Sxrache oder
die rNinük, den k^aupttou erhält. Beide
gleichmäßig ;u betoueu, ist eiu Traum; soll die Mimik
zur vollen Tutfaltuug gedeihcu, so wird sie deu de-
klamatorischeu Teil in Lchalteu rückeu, ja, falls sie
nicht durch eiue gesuude Aesthetik uud das Ausehen
eiuer übermächtigeu uud mutig auftretendeu poesie
gezügelt wird, die Deklamatiou durch Verstümmeluug
und andere Dperatiouen mjßhaudelu, eine Thatsache,
zu welcher wir gegeuwärtig iu Deutschlaud die
Illustration besiheu. Ümgekehrt siud ästhetische Grüilde
vorhauden, weshalb die vollkommeue Tutwickluug der
Deklamatiou, wie wir sie iu der autike» uud im
miudereu Grade iu der frauzösischeu Tragödie treffeu,
die Mimik auf kouveutiouelle symbolische Audeutuugeu
beschränkt. Der Gegeusatz der theatralischeu Ausdrucks-
mittel verbiudet sich dauerud mit der vcrschiedeuheit
des Aunstwilleus, sodaß die Mimik, weil sie die größt-
mögliche Bealisiruug uud Illusiou austrebt, deu rea-
listischeu Stil dcs Dramas begüustigt, während die
Deklamatiou, welche die Phautasie aus eiuer gegebeueu
szenischen Situation in die Allgemeinheit der Ideen
hiuüberführt, dem idealeu Drama ruft. Nun siud
hier, wie überall iu der Runst, die verschiedeueu Stile,
woferu sie uur wahrhaftig eiue besoudere Schäu-
heit bezweckeu, vou Ruust wegeu gleicheu Aauges;
nicht aber vom Staudpuukt der Rultur uud der Poesie
im höhereu Siuu des Wortes. Iudem uämlich die
Deklamatiou die geistigere Seite der Schauspielkuust
darstellt, iudem sie feruer deu Gedaukeugehalt uud
vor allem die lyrischen Llemente des Dramas bevor-
zugt, gegeu welche die Mimik sich so feiudlich zeigt,
muß das deklamatorische Theater das höhere genaunt
werdeu. Nuu kommt es freilich weniger auf die

Stelluug eiuer Ruustgattuug iu der geistigeu ksierarchie
au, als auf die Bethätiguug derselbeu durch herrliche
Beispiele, und darum möchte ich weder die griechisch-
frauzösische Tragödie über die germauische setzeu, uoch
überhaupt wüuscheu, daß das germauische Drama
seiueu heimatlicheu Bodeu verließe, um einem fremd-
artigen Ideal uachzujageu; ich bitte also iu dieser
Beziehuug meiiie Bemerkuugeu uicht falsch auszulegeu.
Alle völker köuueu uicht Alles, uud die Beschräukuug
des Milleus ist eiue Tugeud.

Iederzeit eiu verhäuguisvller Fehler ist dagegeu
die Beschräukuug der Liusicht; uud vor diesem Lehler
habeu wir uus, wie mir scheiut, uicht zu bewahreu
gewußt. l^ätteu wir uie das Daseiu uud die Daseius-
berechtiguug eines Schauspiels mit deklamatorischem
ksaupttou aus deu Gedaukeu verloreu, wir würdeu
uicht in jeueu literaturfeiudlicheu Lauatismus gegeu
Dialog uud Mouolog verfalleu seiu; uud uusere Auf-
fassuug des Dramatischeu uud Theatralischen würde
uicht jeueu eiuseitigeu, puritauisch-methodistischeu
Sekteugeist bekuudeu. Mir würdeu auch begreifeu,
warum die Frauzoseu sich trotz huudertjährigeu Buß-
predigteu uicht zu uuserm Btandpuukt bekehreu wolleu,
und wir würdeu eudlich aufhöreu, die Lutwickluug
Schillers uach der deklamatorischeu Seite hin als eineu
Nückschritt aufzufasseu uud zu beklageu. Mie gesagt,
es fällt mir uicht eiu, irgend sZemaud irgeud etwas
zu verleideu. wenu ich aber sämtliche parteieu
der deutscheu dramaturgischeu Rritik, wie feiudlich sie
auch soust gegeu eiuauder seieu — und sie sind wahr-
lich feiudlich gegeu eiuauder iu dem puukt über-
eiustimmeu sehe, das Drama über eiueu eiuzigeu Leisten
schlageu zu wolleu, so halte ich es für notweudig,
darau zu eriuueru, daß es vou Natur uud veruuuft
wegeu zwei verschiedeue ^auptstile der theatralischeu
Literatur giebt uud ewig gebeu wird. durl Lpttteler.


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