Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

DOI Heft:
Heft 15
DOI Artikel:
Hansson, Ola: Über Naturalismus
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0237

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lrscketnt

am Anfang und in der Mitte

Dernusgebcr:

zferdinand Anenarins.

Kestcllprets:

vierlrljäl,rlich 2l/s !Nark. 3. )nl)rg.

^llber Daturalisnlus

KVAAj^Lleich »ach meiuer Aukunft in Lerliu trcif
init mehrcreu jüugereu vertreteru der
Schule zilsammcu, die sich eben
dem von allen Teileu gebilligten Nameu
„die uaturalistische" zu bilden anfängt. was mich
während meiner Gespräche mit den meisten dieser
Atänner besonders überraschte, war die sast dogmatisch
gehärtets und dogmatisch begrenzte Auffassung des
Ausdrueks und Negriffs „Naturalismus", die mir ent-
weder unmittelbar geäußert, oder schweigend ange-
nommen entgegentrat. Sie war mir nicht fremd; ich
erkannte in ihr eins alte skandinaoische Bekannte
wieder, die sich ganz unverändert erhalten, obgleich
Iahre vergangen waren, seit ich ihr zuletzt begegnet.

Iene Auffassung stellt ein Ideal von Schönliteratur
dar, deren Seitenstück in der modernen Wissenschaft
in dem Streben nach ausblickslosen Linzeluntersuchungen
besteht, das noch neulich in „Nembrandt als Lrzieher"
so schonungslos gegeißelt wurde. Der wahre Zukunfts-
dichter, der „echte Naturalist", sollte ein Zwillings-
bruder des zeitgenössischen Fachgelehrten, des Spe-
zialisten sein. „Naturalisten" und professoren sollten
beide ihre Glorie von der Sonne der „Objektivität"
erhalten, die ihre eigentliche, ihre Nebensonnennatur
noch nicht vcrraten hatte. Nlan meinte, es handle
sich nur darum, aus der Literatur sowohl, wie aus
der Forschung die subjektive lVillkürlichkeit hinauszu-
schaffen; man fand, die verfasserpersönlichkeit in ihrem
Ljervortreten diene blos dazu, das klare, genaue Bild
der wirklichkeit, in dessen bservorbringung man die
höchste Ausgabe der Dichtkunst erblickte, zu trüben.
wie man den höchsten Triumph der Wissenschaft da-
rin erreicht sah, etwa die Durchschnittsanzahl der
menschlichen Ljaupthaare seststellen zu können, so wollte
man den neuen Weg zum j)arnaß aus derselben
Gbene und parallel mit dem anlegen, auf welchem

die „Vielzuvielen" — um mit dem größten aller Anti-
naturalisten, Friedrich Nietzsche, zu reden — unter
der nützlichen Allerweltssonne und dem sentimentalen
Allerweltsmonde dahinziehen.

Dor einer Anzahl von Iahren glaubte man —
mit gewissen nationalen Abänderungen in den drei
verschiedenen Ländern daheim in chkandinavien
an diese ästhetische §ehre und an das literarische Zdeal,
das aus ihr hervorging. Die Folge davon war, daß
bald eine große Anzahl kleiner Talente und gar keiner
Talente sich breitbeinig auf den ksochsitzen des Geistes
niederließen, und daß eine Flut wertloser Arbeiten
den Buchmarkt überschwemmte. Daß sich nicht die
ganze Literatur in ein stehendes Wasser verwandelte,
dafür gebührt jenen starken persönlichkeiten das ver-
dienst, die das enge Gewand des objektiven Naturalis.
mus bloß dadurch sprengten, daß sie lebten, wuchsen
und ihren eigenen Geist in Dichtwerken ausströmten.
Äe brachten mit der ganzen Beredsamkeit eines Natur-
vorgangs in unbewußter, unfreiwilliger, naturnot-
z wendiger Bethätigung die ewige Wahrheit zur An-
schauung, daß hächste Subjektivität höchste Schönheit,
höchste neuschaffende Rraft, bester Grdbodeu und bestes
Saatkorn ist.

Man stellte damals Flaubert uud die Goncourt
als Nleister der „objektiven Dichtung" auf — aber
ohue Blick für die Vollkraft iu der subjektiven An-
schauung des ersteren, die ihn in Stand setzte, zwischen
Gegenstand und Wort die Brücke zu schlagen und
zwischen der Seelenregung nnd ihrem sprachlichen
Ausdruck die Tinheit zu finden, und ohne Derständ
nis für die zitternde Sensibilität der letzteren, die den
Schallboden jener vertönenden Leelenschwingungen
bildet, in deren chchilderung sie unerreicht sind und
die ohne jene Nesonnanz unserem Ghr verloren ge>
gangen wären. Nlan verehrte in Zola den kjohen-


L2S
 
Annotationen