Lnthält der objektive Naturalismus, sobald die
Schaar der Nachahmer in ihm auftaucht, eine Gefahr
für die knospende neue deutsche Literatur, so glaube
ich doch nicht, daß er hier denselben verhängn.isvollen
Schaden anrichten wird, wie da drüben in Skandi-
navien. lVas in kleinen Ländern rasch herrschende
Geschmacksrichtung wird, kann auf einem großen
Naumgebiet fich in seiner Fülle und seiner Linseitig-
keit entwickeln, ohne andere Bestrebungen im wachs-
tum zu hinder». Alle Nichtungen können hier wett-
lauf halten, bis die den vorsprung gewinnt, die die
stärkfte Lebenskraft hat. Aber es handelt sich auch
hier darum, daß der echte Nasse-Pegasus eine gleich-
mäßig elastische Bahn unter den bsufen finde. Die
selbstherrliche Persönlichkeit allein kann der Menschheit
anf ihrer Wüstenwanderung die Nichtung weisen: das
Gemüt allein, das unergründlich ist, wie der Nrater-
see, nnbestinnnbar, wie er, verbirgt in seiner uner-
forschten Tiefe alle perlen der Zukunft.
Vla Drmsson.
Nundscbau.
Dicktung.
* zfelix Taitdem (Narl Spitteler). Schluß. ^
— Für den gewöhnlichen Tag reicht die konventionelle
Nloral aus. Als aber außerordentliche Zeiten kommen,
wo die Leinde der Nlenschheit verführerisch umgehen
und die heiligsten Güter in Gefahr sind, da versagt
dieses Zeitgewissen den Dienst, wird dumm und sprach-
los und verkriecht sich vor dem Unbegreislichen einer
großen Lntscheidung. Und nun ist es prometheus,
der Geächtete und Verachtete, der allein die Größe
der Gefahr erkennt und die rettende That vollbringt.
war es nicht von jeher so? Ulan braucht nur an
Sokrates zu denken, an sein Dämonium und an die
vollendete pietät, mit welcher er sich selbst den swenn-
gleich als ungerecht erkannten) Gesetzen zum Gpfer
brachte. Ulan braucht nur das neue Testament auf-
znschlagen, braucht nur die Lebensgeschichte des Spi-
noza zu lesen, mn die »iederschmelternde Schildernng
menschlicher Aleinheit und Niedertracht zu begreifen,
über welche der Dichter im zweiten Teile des werkes
mit unerhörter satirischer wucht zu Gericht sitzt.
Zum Schlusse sehen wir prometheus Großmnt
üben an dem tief gefallenen Bruder Tpimetheus, dem
„Gerechten". Line in irgend welchem erbaulichen
Satze wiederzugebende sogenannte wtoral hat diese
Geschichte nicht. Sie läßt uns in tiefem Sinncn, in
heiligem bis ans Lebensmark rührenden Lrnste znrück,
-— wie dies rätselvolle Leben selbst, wenn es uns
einmal unverhüllt in seinem Urgrunde nahe getreten.
Die Dichtung nennt sich ein „Gleichnis", nnd das
ist ganz zutreffend. Nur denke dabei Niemand an
Allegorie, bei welchem Namen einen Lreund der
poesie allerdings eine Gänsehaut überlaufen kann.
Nlan erinnere sich vielmehr des innigen Zusammen-
hanges, in dem von Alters her poesie und Neligion
gestanden und der bei den alten Griechen im Begriffe
des Mvchos seine höchste vollendung gefunden.
Auch die moderne Zeit hat ihre mythologischen
Dichtungen. wir nennen vor Allem Dantes göttliche
Romödie und Goethes Laust. wenn schon Schelling
bald nach dem Lrscheinen des ersten Lragmentes des
Laust denselben bezeichnets als „die innerste reinste
Lssenz unseres Zeitalters" und ihn „ein wahrhaft
m v th o l o g isch es Gedicht" nannte, so möchten
wir uns diese letztere Bezeichnnng auch für Tandems
„prometheus und Lpimetheus" aneignen. Bie drückt
die Ligenart einer solchen nach den höchsten Aufgaben
der poefie ringenden Dichtung sowohl hinsichtlich ihrer
äußeren Gestaltung (des im vorliegenden Lalle mit
unvergleichlicher Nraft und Nühnheit frei erfnndenen
mplhologischen Apparates), wie hinsichtlich ihrer auf
das weltganze gerichteten und dabei tief innerlichen
Tendenz auf das beste aus.
Gb Tandem-Spitteler dieser seiner gewaltigen Auf-
gabe philosophisch und poetisch durchaus gerecht ge-
worden, darüber kan» ei» Linzelner schwer einen end-
giltigen Lpruch fällen. was dem Linen ein dunkles
und darnm ärgerliches Nätsel, ist dem Andern himm-
lische Mffenbarung; und wo Dieser eitel wohlklang
vernimmt, hört Zener nur wortgefüge, die ihn kalt
lassen. Am Lnde liest jeder nur sich selbst aus einer
Dichtung heraus.
wie dem aber auch sei, soviel wird jeder unbe-
fangene Lsser von „prometheus und Lpimetheus"
zugeben müssen, daß dies werk die Vffenbarung einer
hervorragenden und durchaus originellen Dichter-
kraft ist. Nirgends ein Anklang, nirgends eine Lnt-
lehnung, nicht eininal in Äußerlichkeiten. Der Dichter
hat sich einen eigenen Ltil geschaffen, welcher dem
Lharakter der Dichtung vortrefflich angepaßt ist. Lr
verfügt über einen bewundernswerten Neichtum neuer
dichterischer wendungen und Gleichnisse und ist in
der Beseelung des Rörperlichen und umgekehrt in der
verkörperung des Seelischen ein Nkeister, der seines
Gleichen sucht. Dabei ist er nicht etwa ein leicht-
sinniger Verschwender, wie es der warmherzige Zean
j?aul war, welcher den Leser an der einen Stelle mit
schönen dichterischen Bildern überschüttete, um ihn an
andern vor öder j?rosa schier verschmachten zu lassen.
Zn „prometheus nnd Lpimetheus" hat stets nur
der Dichter das wort. Bild reiht sich an Bild.
Ls ist nicht der kleinste Ramn in dem werke, welcher
mit Luft der Neflexion erfüllt wäre. Dieser Neichtum
der Dichtung bringt es mit sich, daß wir nicht allzu-
viel hinter einander darin zu lesen vermögen. Ls
ergeht uns hier, wie in einer reichhaltigen Galerie,
wo ein Gemälde neben dem andern hängt; wollen
wir recht genießen und nicht blos oberflächlich schauen,
so müssen wir bald innehalten, wegen des allzugroßen
Neichtums der Abbildung.
wie belohnt sich aber auch ein Verweilen bei
den einzelnen Szenen! welch kühner und sicherer
Btrich in der Zeichnung und welcher Glanz im Ro-
lorit! Nlan mächte sich bald den Griffel eines Tor-
nelins wünschen, um diese kühne Aonzeption auf die
Lläche zu werfen, bald wieder die palette eines Böcklin,
um diesen farbenprächtigen Gebilden augenfällig gs-
recht zu werden. Lin Lingehen auf Linzelheiten
liegt außerhalb des Nahmens dieser Betrachtnng.
Nur auf das herrliche Napitel „pandora" (am An-
fange des zweiten Teiles der Dichtung) möchten wir
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