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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 16
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Erdmann, Karl: Aesthetische Begriffe
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0258

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wußte, feine «Lrschleichung allsr N?ert auf diese eine
Dimension gelegt, und man ftchlt sich befugt, eine
eigentliche, „wahre" Schöicheit den übrigen, eigent-
lich gar nicht daseinsberechtigten Schönheiten gegeuüberzu-
stellen, -- eine Bevorzugung, die wir als grundsätzlich
verfehlt dargelegt zu haben vermeinen.

Alle hieran fich knüpfenden unsruchtbaren Streitig-
keiten ließen sich durch die vou uus gestellten Forder-
ungen als illusorisch keuntlich machen. Man unter-
scheide bei der wertschätzung eines Runstwerks, in
welcher kchnsicht sie geübt wird, man sondere die ver-
schiedenen Dimensionen der Schönheit. khaben sich
dann selbständige Werte herangebildet, so wird der
Trieb uach einheitlicher Wertschätzung unterbunden,

und man wird sich ebenso selten veranlaßt sehen, die
verschiedenen Dimensionen gegen einander abzuwägen,
wie man jetzt etwa Rlugheit, Güte oder körperliche
Schönheit eines Menschen gegen einauder abschätzt,
oder man wird doch mehr und mehr eine solch'e Ab-
schätzung als Sache einer persönlichen Auffassung be-
trachten lernen. Line solche Verselbständigung der
werte kann aber natürlich nur an der ksand eines
geeigneten Begriffsschahes vor sich gehen. Daher ist
unsere wichtigste Forderung die einer fruchtbaren
Termiuologie: keine neue, wissenschaftliche
Aesthetik ohne neue, geschickt gebildete
worte!

Ikarl Lrdmrmn.

Nundsckau

Dicdtung.

* „Die der Lukunlt" — Iulius

kjart giebt unter dieser Überschrift eine „Linleitung"
zu seinem neuen Gedichtbuche „I^omo sum" sGroßen-
hain, Baumert 6: Nonge), aus der wir eiuiges mit-
teilen möchten. Lr spricht von der Geringschätzung,
der eingestandener oder nicht eingestandener weise
die Lyrik heute so vielsach begegne, und zwar
nicht alle Gründe dieses Zustands erörtert er sodann,
aber doch die Schuld, die unsere Dichter an ihm
tragen. Zn einem Rückblick sucht er sie klar zu stellen.
wenn wir das eigentliche wesen der Runst der ver-
gangenheit erkannt haben, ihre vorzüge und ihre
Linseitigkeit „und nun weiter sehen, wie diese Lin-
seitigkeit allmählich zur Dürre und verkuöcherung
führt, daun finden wir wohl auch den s)unkt, wo die
neue Runst ihre Selbständigkeit und den eigenen Geist
offenbaren kann. Denn Ligeuart ist die Seele, der
Lebensodem jedes großen dichterischen Schaffens und
alle Nachahmung das Gift, welches die Runst nach
und nach hinsiechen läßt und tötet, und wäre es Nach-
ahmung des Größten und Gewaltigsten. Nur der
in chklavenfesseln gehaltene Alltagsverstand, die geistige !
Beschränktheit kann und will es nicht fassen, daß die
höchste und reinste Bewunderung unserer Rlassiker
Lsand in lhand gehen kann mit der kritischen Trkenutnis,
daß wir auf anderen wegen zum Ziele gelangen
müssen, als sie, daß wir, wenn wir ihre wege
weiter gehen, nur in die Sümpfe gelangen."

Dem Nachweis des Schadens, den die Nachahmung
erzeugen muß, sind nun die folgenden Seiten literatur-
geschichtlicher Betrachtungen gewidmet. kjart spricht
davon, wie sich eine „Atelierkunst" entwickelt habe,
der wesenseigentümlich sei der Formalismus, die
Formenkoketterie, wslche im wiittel, dem sprachlichen
Ausdrucke, den Zweck der poesie erblickt, - ihre
wteister sind dem versasser Nückert, „der zuletzt allen
festen kjalt verliert" in sprachlichen Spielereien, selbst-
verständlich jAaten, aber auch kjeiue, der die echte
künstlerische Form freilich in weit höherem Grade
beherrscht habe, als sein Gegner, bei dem sie aber
„doch nur eine gesallsüchtige", weil nur rein siunlicher
Art geweseu sei. Der Verfasser sühlt sich bei kseine
an Garrick erinnert, „der durch das bloße ksersagen
des Alphabets die Lessr bis zu Thräuen rühren
konnte": auch kseine sage mit den süßesten Tänen oft
nur ein ABT her, während „Goethe innerstes,

mächtigstes Fühlen ausdrückt". „Aber dieser Formalis-
mus macht noch weitere Nückschritte, und zwei neue
große Gntwicklungsformen lassen sich da unterscheiden."
Die erste findet ihre vollendnng vielleicht in Geibel.
Auch er wirke vorwiegend durch sprachlich Linnliches,
denn seiu Gefühlsgehalt sei eng begrenzt. „Aber
wenn die Form bei kseine noch immer das wesen
erfaßt und wiedergiebt, den Znhalt verkörpert, offen-
bart sich bei Geibel das klare und selbstbewußte
Gtreben nach dem schlechthin wohllautenden, nach
dem blos Gefälligen und Schönen, das auf den In-
halt gar keinen Bezug mehr nimmt" — es beginnt
in Nachfolgerschaft platens Rhetorik und Deklamation
statt Ausdruck des Znnern:

„Auch dem beschwerlichsten 5toff noch abzugewinnen ein LLcheln,
Durch vollendete Form strebe der wahre s)oet.

Rummer und Gram sei'n schön, vom erhabenen Rhythmus be-

sänftigt,

Lelber der Brust Angstschrei werde dem Ghr zur lltusik,

Und der versehrende Pfeil des Gespötts, in die tvoge der

Anmut

Sci er getancht, klangvoll werd' er vom Bogen geschnellt."

Die zweite Lntwickelungssorm des Niedergangs iu
dieser Nichtuug zur „Atelierkunst" sieht Lsart dort, wo
„die j)oesis bei ihrer Nachahmung der hellenischen,
mittelalterlich romauischen und orientalischen vorbilder
sich naturgemäß dem verständnis weiterer Bchichten
des Volkes entfremden mußts: all die vorstellungen
und Anschauungen, die Bilder, Gedanken und Gs-
fühle, die sie in sich aufnahm, entlehnte sie den Büchern,
statt dem uns alle umbrausenden Leben." Das blos
phantastisch Lrsonnene drängte sich auf Rosten des
wirklicheu allzusehr vor; es konnte doch nicht so ties
empfunden werden, wie das uns umgebende und ganz
beteiligende Leben, „so daß zuletzt der Dichter weuiger
in das Znnere der cheele einzudringen suchte und da-
für mehr aus die Darstellung des Äußerlichen Gewicht
legte". „So, glaube ich, hat auch die ungewöhnliche
dichterische Rraft, welche in uuserem volke in der
klassisch-romantischen periode aufgespeichert war, uns
uicht das gegeben, was man von ihr erwarten durfte."
Auch die Theorie entwickelte sich wie die praxis: mit
dem Formalismus kam die „Aesthetik des l'urt pour
I'urt" auf, die, vollberechtigt wo richtig verstandeu,
doch vielfach so mißverstanden wurde, daß die Be-
deutung des Geistigen und des Stofflichen für das
dichterische werk ganz unterschätzt ward, - und anderer-


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