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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 17
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Rundschau
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Steinberg, Leo; Koopmann, W.: Sprechsaal: in Sachen: das Vorlesen von Dichtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0277

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die hier nur dcr hc>chbegabte Pelez wieder xflegt, daß anderer-
seits aber eine merkwürdig mystische Lust an der Leinestadt
zu wehen scheint: Geister, Traumgesichte und verzückungen
spielen cine große Rolle. von dcn alten Meistern der fran-
zösischen Runst haben u. A. I. Breton, Bonnat, Lesebvre,
ksenner, Benjamin-Lonstant zur Partei Bouguereau gehalten
und also hier ausgestellt, auch Le Vuesne, Rochegrosse, De-
taille, Laurens, Leopold kävy blieben ihr treu. Der „Salon
Meissonier" vereinigt dagegen nm den vater dieses Auszugs
auf den heiligen Berg die ksauptschaar der jüngeren Streiter,
und er darf Namen aufführen wie Roll, Gervex, Duez, fZean
Beraud, Besnard, Tazin, Damoye, Dagnan-Bouveret, denen
eine Auslese von solchen Llterer Aünstlern, wie Puvis de
Lhavanne, Ribot, Larolus-Duran, zur Seite steht. Auch die
Mehrzahl der Ausländer kam natiirlich hierher, wo hinsichtlich
des Lhauvinismns frciere Lust wehte und den Medaillen der
weltausstellung die Anerkennung nicht verweigert ward: wir
nennen die Deutschen Aühl, Liebermann, Uhde, Lsoeck, Dora
Lsitz, die Schweizer Burnand und Luise Breslau, die Sxanier
Iimenez und Luna, den Finnländer Ldelfeldt, die Schweden
Salmzon und ksagborg, die Amerikaner Sargent und ksarrison,
die Belgier Stevens und de vigne, den Lngländer Moore —
immerhin keine Reihe von Namen, die im Verhältnis zur
Bedeutung der Pariser Salons gerade verblüffend wirkte.

Nicht zu lengnen ist, daß die schr entgegenkommenden Auf<
nahmebestimmungen des Salons auf dem Marsfelde für das
Unternehmen nicht günstig wirkten: die minder bedeutenden
Künstler benntzten sie «rklärlicher weise, um durch die Zahl
der eingeschickten Bilder wenn nicht hervor-, so doch in die
Breite zu ragen.

Line crste scbwctLeriscbc Hrunstausstcllung ist
in Bern eröffnet, sie enthält ungesähr qoo Werke. Linige
der hervorragendsten schweizer Aünstler, der hervorragendste
von allen, Böcklin, z. B. — fehlen leider; was nian so „Iug-
stücke" nennt, ist auch nicht da; aber Genre- wie Landschafts-
malerei sind doch mit recht schönen und tüchtigen N)erken aus
dcm Platz. „Bcmerkenswert ist die verschiedenheit der Technik
und der Arinstrichtuiig, welche sich darans erklärt, daß es bis
jetzt noch kcine schweizerische Schule gab, ja nicht einmal eine
verbindung zwischen den Arinstlern und den Liebhabern. Da
lebten die Basler, die Zürcher, die Tessiner, die Neuenburger
und Gcnfer ihr eigenes Aunstleben, und dic deutsche, die
italienische und die französische Schule suchten sich jede auf
Aosten dcr Anderen an die Sonno zu drängen. Also giebt es
vorläufig wohl eine schweizerische Ansstellnng, aber noch keine
nationale Aunst." Dieser „Berner Salon" soll alle zwei Iahre
wiederkehren. Der Bund nnterstützt die schweizer Aunst mit
tooooo Franken jährlich.

Lprecbsaal.

lrilntcr sscbltcbcr Vcrantvortung dcr Dcrrcn Linscnder.)

Sachen: Das vorlesen von Dichtungen.

Der kserr verfasser dieses Aufsatzes hat dem An-
scheine nach versucht, eine uiiaugeiiehme Rlippe zu
umfahreu. Lr bespricht die epischeu uud lyrischeu
Bestaudteile der Ballade und fordert, der vorleser
möge sich und zugleich seiue Zuhörer möglichst in die
Stimmuug versetzen, die der Dichter bei der Ronzeption
seines Gedichtes gehabt hat, er möge aus dieser her-
aus die Gestalten uud Geschehnisse zur Auschauung
bringeu. Lr tadelt also mit Necht nicht zwar, weun
der Vorleser mit deu bvorten „Bei der Bahre stürzt
sie nieder, ihr Geschrei durchdringt die Luft" sich in
die Seelenstimmung sener poetischen Gestalt hinein-
versetzte, wohl aber, weuu er darüber die Stimmung
des Ganzeu vergißt und die Ausmalung dieser eiueu
Seeleustimmuug sich besonders zur Aufgabe uimmt.

Andererseits sedoch hat der bserr verfasser ganz
übersehen, daß die Ballade auch dramatische Momente
enthalteu kann. Nian deuke au Schiller. Mie ost
verläßt dieser Dichter und ebeuso manch auderer den
epischen Lrzählerton, führt seine Gestalten dramatisch
eiu uud läßt aus ihrer bvechselrede die ^audlung sich
forteutwickelu! Der vorleser muß bei solchen meist
lebhaft bewegten Stelleu seineu Lrzählerton schlechter-
dings aufgebeu, er muß die Stimmung des Dichters
scheinbar bei Seite setzeu, um die Zuhörer iu das
iLmpfindeu seiner Gestalteu eiuzusühreu. Zu wahr-
heit setzt er dadurch die Stimmuug des Dichters keines-
wegs bei Seite. Denn Oas Seelenlebeu seiner Menschen
ist bei der Ronzeptiou in dem des Dichters aufge-
gaugeu, was sa auch aus ebeu der obsektiveu Lin-
führuug erhellt. Aus diesem Grunde uud weil, wie
gesagt, aus der Stimmung der Gestalten die Handluug
sich fortentwickelt, bediugt ihr verständuis das der gauzen
Dichtung. Lin Beispiel bieten in dem Gedichte „Des
Säugers Fluch" die kvorte des Rönigs: „Zhr habt

meiu Volk versühret, verlockt ihr nuu mein lveib?"
kvie köuute mau dieseu leideuschaftlicheu Ausruf anders
wiedergeben, als dramatisch iu obigem Sinne? wäre
der Lrzählertou hier nicht sast lächerlich? Und ist
„Des Säugers Fluch" keine Ballade? Zch deuke,
eiue der schönsten. Leo Steinberg.

Der „unaugenehmeu Rlippe", von welcher viel-
leicht uicht uur der kserr Liusender meiut, ich habe
sie umschiffeu wolleu, geht es wie den Gespeusteru:
weun man geuau hiusieht, ist sie uicht da.

Ich selbst habe wiederholt öffentlich davon ge-
sprocheu, daß die meisten Balladeu uicht, wie mau
gewähulich sagt, „lyrisch-epische" Dichtuug darstellen,
souderu lyrisch-dr amati sch e — „lyrisch-dramatische"
Dichtung, deren Dasein übrigeus z. B. in vielen unserer
poetikeu kaum beachtet wird. was ich gauz über-
sehen habeu soll, weiß ich also doch wohl. Der
bserr Liusender aber hat übersehen, daß ich das „dra-
matisch", wenn ich vom Vorleseu auch der Balladeu
sprach, iu A n füh r uu gs z e i ch eu gesetzt habe. Das
sollte bezeichueu, daß es sich hier uach der Meiuung
der vortrageudeu um eiu dramatisches vorlesen
handelte, — in wahrheit handelte sich's um ein
theatralisches Vorlesen. Das Dramatische kanu in
werkeu jeder Dichtuugsgattuug vorkommeu, das
Theatralische, das Bühueumäßige, hat uur auf der
Bühue Sinu oder beim Lrsatz der Bühne.

Das wort „Lrzählerton" wolleu wir gauz aus
dem Spiele lasseu; es giebt leicht zu Mißverstäuduisseu
Aulaß. Der wirkliche Dichter ist im eigeutlichen Be-
griffe eiu Seher: er schaut au, freilich mit allen seineu
Siunen, nicht uur mit dem des Gesichts; was er au-
schaut, empfiudet er; was er empfiudet, töut im Reflex
in worten aus ihm hiuaus. Beim Drama löst sich
seiue j)ersönlichkeit iu Gestalteu gauz auf, so daß nun

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