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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 9
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Rundschau
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Einsam, Uwe; Ehrhardt, Adolf: Sprechsaal: in Sachen: Malerei und Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0148

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es, geistreich z» sem; nur durch die Naturwahrheit seines
Ausdrucks, den warmen Gefühlsinhalt seiner musikalischen
Sprache will er wirken. Und doch kann man sich nicht ge-
wählter ausdrücken, so glücklich gehen hier Naturwahrheit,
phantasie und Geschmack lsand in ksand.. . Lr ist modern,
sosern er sich der modernen miifikalischen Aunstmittel bedient,

durchaus nicht «modern», sofern man dabei etwa an einen
Mnstler denken will, der unsern modernen Ieitgeist zum
Ausdruck zu bringen suchte. Die rein menschlichen, ewig fich
gleich bleibenden Empfindungstppen sind es, die uns aus
Umlaufts Ulusik überzeugend und mit treffsicherer Ursprüng-
lichkeit in künstlerischer Neugestaltung entgegenleuchten."

Lprecksaal.

(tllntcr sacbücbcr VcrLntirortung dcr Dcrrc» Llnscndcr.)

Zn Sachen: Malerei und Dichtung
sind uns Lntgegnungen auf den Aufsatz von ks. (I.
in größerer Anzahl zugegangen. Vir wählen zur wieder-
gabe zwei aus: die Ausführungen eines »Zelehrten,
der vollständig auf dem Boden des „Modernen" steht,
und die Betrachtungen eines Aünstlers, der nicht nur
als solcher und als geachteter akademischer Lehrer und
Runstschriftsteller, sondern vor allem als Mitlebender
und Mtschaffender jenes älteren Rünstlergeschlechts
zur Darstellung von dessen Auffassung der Sache be-
sonders berufen scheint.

*

Die Hauptsache der Lrörterungen des Lserrn k^.
tlZ. scheint mir seine Ausführnng zu sein, daß die in
der Vandlung des Stoffgebietes ersichtbare Trennung
der Nialerei von der Dichtung einen vorteil für jene
Aunst in sich schließe. ksier zu widersprechen steht mir
ganz fern. Aber es genügt mir nicht, eine Thatsache,
welche die Folge der gewaltigen revolutionären Kunst-
bewegungen neuerer Zeit ist, schlechthin als einen
merkwürdigen Umstand gefaßt zu sehen. Die wechsel-
seitigen Beziehungen der Malersi und Dichtung in
ihren Lntwicklungsphasen sind zu bedeutsam, als daß
ich sie bei dem einmal angeregten Thema mit einigen
den Grund der Trscheinungen nicht berührenden Be-
trachtungen für den „Runstwart" abgethan wissen
möchte. Diesbezüglich sei mir die ksinzufügung einiger
Vorte über den Gegenstand vergönnt. —

Malerei und Dichtung sind zwei ganz gesonderte,
durch verschiedene Niittel wirkende Formen von Aunst.
Uunst — in des Vortes geklärter Bedeutung — ist
schöpferische Gmpfindung. Vie stark die dem Nlsnschen
von der Natur durch die Sinne erweckten Vahr-
nehmungen, Lindrücke, vorstellungen anschwellen, um
sich zu Lmpfindungen zu verdichten, und in welcher
Modifikation bestimmte Gefühle als Runst nach außen
dringen, das hängt von dem Lntwicklungsstande der
Lpochen, der Nassen, der Zndividuen ab. Gleich wie
physisches wachstum vollzieht sich Aunstentwicklung
mechanisch. Um nun Rnnsterscheinungen zu beurteilen,
muß man sie aus ihren jeweiligen Ursachen, aus den
Elementen heraus, zu erfassen suchen. Die Lntfaltung
einer Blüte reinster schöpferischer Tmpfindung ist der
höchste und weiteste Ausdruck einer Üultur.

Die Ausgangspunkte einer Uunstentwicklung sind
die verschiedensten. Vie die altdeutsche Runst in Iahr-
hunderten regen gewerblichen Treibens aus dem
Lsandwerk entstand und zur Zeit der Renaissance
ihren Triumph in der Blüte der Malerei feierte, so
ist hingegen unsere „klassische" Dichtkunst eine Tochter
der wissenschaft. Dem ksandwerk stand wohl die
Uunst der Malerei am nächsten, weil sie die Gefühle
in der sinnlichsten, derbsten, unmittelbarsten Art zu
äußern vermag; der Vissenschaft ist die Dichtkunst am

verwandtesten, denn diese bedarf um zu wirken von
allen Künsten am wenigsten die Beihülfe der äußeren
Linne und bedient sich mit ihr zusammen des gemein-
samen Aurdrucksmittels, der Bprache.

Die zum Uunstschaffen anregenden Gedanken fanden
in der letzten ksälfte des vorigen Zahrhunderts frucht-
baren Boden. Ls entstand ein Stürmen und Drängen
nach 'Aunst, welches vorläufig ausschließlich der Dicht-
kunst zu gute kam. Doch selbst in den größten Genien
unserer „klassischen" Literatur vermochte die reine
schöpferische Lmpfindung sich nicht scharf von der
Vissenschaft zu lösen. Das Bedürfnis nach gedank-
licher Rlarheit, nach Runstgesetzen, überhaupt nach
philosophisch-wissenschaftlicher Bildung beengte und
nmkleidete die ureigenen und dem Druck der Zeit ent-
sprechenden Tmpfindungen der Geister. So kam es,
daß selbst Goethe und chchiller in ihrer Zugend —
ich erinnere an „Gätz", „Werther" und „Die Näuber"
—, wo sie mehr das Streben und Drängen der Zeit
innerlich fühlten, als die vorhandenen Lrrungenschaften
kritisch betrachteten, wo noch alles in berauschender,
ahnungsvoller, gefühlischer Veise auf sie eindrang,
unwillkürlichere, dem Lmpfinden der Zeit mehr ent-
sprechende und auf das Zeitempfinden stärker rück-
wirkende Runstprodukte schufen als nachher. Der
übersprudelnde Lmpfindungsquell der Zugend wurde
eingedämmt bei vertiefter Gedankenarbeit; die aus
philosophischer Lrkenntnis und dem verständnis alter
Runst entstandene Zdee wurde allmählich die Trieb-
feder von Schäpfungen, welchs sich immer fertiger,
harmonischer, abgerundeter und vollkommener heraus-
bildeten und der Zeit erstaunlich schnell den Btempel
einer hohen, abgeschlossenen Blüteperiode aufdrückten.
Doch waren es nicht der Gegenwart entsprechende
Gefühlsausbrüche, und dem Fortschritt der Nunst
in der Literatur stellten sie ein stagnirendes Prinzip
entgegen.

Lin Zweig der Dichtkunst jedoch, der anspruchslos
und bescheiden abseits stand, dessen Lntfaltung kein
pathos, keine Vissenschaft beeinflußte, sproßte rein,
gesund und fruchtbringend hervor: die Lyrik. Und
so finden wir den reinsten und fortschrittlichsten Runst-
ausdruck der Lpoche im Goetheschen Lied, dem Aus-
gangspunkt jener tiefen Lyrik, die über Lichsndorff,
kjeine und Storm in unsere Zeit hinein sich machtvoll
fortpflanzt.

Die geistigen Bestrebungen der „klassischen" Zeit
zielten hin auf eine Wiederbelebung des hellenischen
Runstgeistes und erweckten in der Folge einen schwachen
lViederschein von der Schönheit der Antike in
Schöpfungen, die freilich vom lVesen der Nkalerei
nur eine Ahnung gaben, aber doch als eine neue Art
der Runstäußerung für die Zukunft sehr bedeutsam
wurden. Die Zeichnungen eines Larstens spiegeln

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