Runstoerständnis gegenüberstelle. Denn es muß doch
ein Ltwas geben, das durch alle Zeiten, bei allen
völkern uud auf allen Rulturstufen als unerläßlich
und unbedingt maßgebend gelten kann, um dem
kVerke vou Menschenhaud das prädikat «künstlerischr
zu sichern; ein universales, allmenschheitliches Renn-
zeichen, neben welchem alle anderen Lrwägungen er-
blassen und in den bsintergrund tceten; — etwas
Starkes, Männliches, Sieghaftes, das sich sofort wie
ein elektrischer chtrom aus dem werke über uns er-
gießt, bei dessen erwärmender Berührung wir unwill-
kürlich ausrufen: Wie ernsthaft er die Gottesnatur
angesehen, wie er die Wahrheit geliebt, wie er die
realen Dinge beherrscht hat!»
Dabei ist ja unwesentlich, ob wir eine direkte Ab-
oder Nachbildung der Bildungen der Natur vor
uns haben, oder ob der Aünstler aus dem durch lange
Beobachtung und Übung erworbenen Schatze seiues
Gedächtnisses geschöpft hat. Omuis ar« imitatio uLturuo
est —- jede (wahre) Runst ist Nachbilduug der Natur,
sagt schon Seneca. Das gilt nicht blos vom modern-
sten pleinairismus, soudern von jedem stilisirteu Orua-
ment, ja von jedem künstlerisch geformten Gebrauchs-
gegenstaud. Ls konnnt nur darauf an, daß wir das
Natürliche sicher herauszufinden und vom Unwahren,
Schablonenhaften, Gequälten zu unterscheiden lernen."
Daß auch ciscrnc Wrückeir in Schönheit oin klinst-
lerisches Auge besriedigen könncn, weist Reuleaux in der
Zeitschrift „promethous" auch durch bildliche vorfichrungen
(der Rirchenfeldbriicke in Bern nnd der Iavrozbrücko iin
Ranton Freiburg) nach. Das llnfchöne der meisten eisernen
Brücken stainine zunächst von der verschiedeicheit des INaß-
stabs her, den nian von vornherein an Brücken oder aber an
fonstige Monnnientalbauten zu legen gewohnt sei. Bei
Uirchen, Mnseen, palästen usm. wird darauf gesehen, daß sie
künstlerischen Ansxrüchen genügen. Bei Brücken dagegen,
nainentlich bei eisernen, sind wir weniger streng, trotzdem auch
sie sür Iahrhunderte errichtet werden und bisweilen noch
niehr in die Augen fallen, als bsochbauten. Zu bedauern sei
es nanientlich, so heißt es ini Bericht der „T. R." über den
fcrneren Jnhalt der Reulcanxschen Arbeit, daß die Geschmacks-
frage bei der Aölner Brücke ganz unerörtert blieb, obwohl
wir sie gegenüber dem stolzesten Kunstwerk der Nation, dem
Uölner Dom, erbauten. Alle Nachhilfen, auch die Standbilder,
vermochten nicht zu verbindcn, was unverbindbar gestaltet
war. Glücklicherweise seicn die späteren Rheinbrücken nicht
so geschmacklos.
Zu einer künstlerisch befriedigenden eisernen Brückc,
wie zn einer Brücke überhanpt, gehören zwei Dinge: eine
schön gefchwungene Forin der Bogen, sowie eine leicht nach
der Mitte ansteigende Fahrbahn, damit die Brückenbahn nicht
in einem zn schroffen Gegensatz zu ihren bogonförmigen Stützen
steht. Gerade in letzter Beziehung sei häufig gesündigt, und
man hätte sich daran erinnern sollen, daß die Brücken der
Alten und des Mittelalters sämtlich eine steigende Fahrbahn
aufweisen.
was die Forthbrücke anbelangt, so meint der Derfasser,
man hätte für die Schönheit der Linien mehr thun können.
Der Mangel an Schönheit trete jedoch bei der geplanten
Uanalbrücke noch mehr hervor. Glücklicherweise wird diese
jedoch höchst wahrscheinlich nur auf dem Papier ihr Dasein
sristen.
* Line intcrimtionalc Nusstcllung von Nqunrellcn.
Pastellen, ljandzeichnungen und in beschränktem Maße Radir-
ungen veranstaltet die D r esdn er Uunstgenossenschaft für die
Monate August und September dieses Iahres. Sie thut es
zur herzlichen Freude Aller, die Ieugen vom Gelingen jener
Aqnarellausstellung des bjerbstes ;887 waren, die unser Blatt
in seinem ersten kjefte besprach. Daß der Ureis der zu be-
rücksichtigenden Uunstwerke durch das ljeranziehen der Radir-
kunst erweitert wird, auch das ist nur erfreulich. Nach Allem,
was wir vom Stande der Angelegenheit vernehmen, dürfen
wir auf ein treffliches Gedeihen des schwierigen und in
mancher Beziehung kühnen Unternehmens hoffen.
» von einer „Lcrstörung vcncdlgs", wie wir der
Uürze halbcr sagen wollen, indem wir den Ausdruck brauchen,
wie „Ierstörung Roms" gebraucht wird — sprach unlängst das
„lVochenbl. f. Baukunde". Nan wolle den einzigartigen Typus
venedigs vernichten; an Stelle der Uanäle solle die Straße,
an Stelle der Gondel der wagen treten; wunderschöne kjäuser
ersetze man durch geschmacklose Niietskasernen oder schände
man durch öde Anbanten; schöne Brücken würden durch häß-
liche modernc verdrängt, die niin auch die Schönheit der Um-
gcbnng dnrch ihren Mißklang zerrissen, usw. „Das größte
Unheil aber, das venedig droht, ist dcr vom Gemeinderat
beschlossene, von der jA'ovinzialdepntation genehmigte Re-
gierungsplan, cinc nicht enden wollende Listc von Rekti-
fikationen, verbrciterungen, Nicderreißnngen, Straßenauf-
schließungen und Aufhebungen, alle mehr oder weniger zum
Nachteil dcs Lharakters der Stadt, der Uiinst. Ls wird sich
Niemand auflehnen dagegen, daß gewisse alte, schmutzige
Gäßchen und nngesunde Behausungen dem Lrdboden gleich-
gemacht werden, doch sollte man nicht grundlos den poetischen
Zauber dieses steinernen Lagunenmärchens, das eigentümliche
Gepräge entfernen nnd vernichten wollen." Ia, diesen
„poetischen Zauber" wissen die meisten Italiener um so viel
weniger zu schätzen, als das „Praktische", wie sie den zwitschern-
den Singvogel im Gezweig weniger schätzen als den gebratenen
auf dcm Tisch. Nicht nur der Adel, sondern jede Bevorzugnng
oerxflichtet, auch die Bevorzugung, die ein Geschlecht durch
das reiche Lrbe früherer Gefchlechter genießt: nicht ohne die
lehte Möglichkeit erschöpft zu sehen, das gute Alte ohne
Schädigung des guten und notwendigen Neuen zu erhalten,
dürfte man es zu dessen Gunsten zerstören. Gehen die ve-
netianer hier leichtsinnig vor, wie es die Römer bei sich ge-
than, so müssen anch sie dcn verdacht ertragen, daß fie den
Mcrt jenes vätererbes überhaupt nicht verstehen.
Lprecksaal.
(Atnter sncbltcber verant«-ortung dcr Dcrren Linsender.)
Nochmals: Uünstlerische persönlichkeit.
Zch muß kjerrn Uoopmann nochmals erwidern,
daß es weder im Sinne von „Nembrandt als Lr-
zieher", noch im Snnne einer auch schon fricher be-
kannteii weisheitsregel ist, ftir eine in kurzen Worten
zu gebende Gharakteristik auch jene Seiten zu berück-
fichtigen, welche selten hervortreten. Dadurch wird
die Deutlichkeit erschüttert, und die Lharakteristik würde,
wiewohl an künstlerischer Linheit schwächer geworden,
auch an wissenschaftlichem werte nicht gewinnen, da
danu die Perspektive, nicht gewahrt erscheint, vielmehr
Unwesentliches auf gleichen plan mit dem besonders
— 234 —
ein Ltwas geben, das durch alle Zeiten, bei allen
völkern uud auf allen Rulturstufen als unerläßlich
und unbedingt maßgebend gelten kann, um dem
kVerke vou Menschenhaud das prädikat «künstlerischr
zu sichern; ein universales, allmenschheitliches Renn-
zeichen, neben welchem alle anderen Lrwägungen er-
blassen und in den bsintergrund tceten; — etwas
Starkes, Männliches, Sieghaftes, das sich sofort wie
ein elektrischer chtrom aus dem werke über uns er-
gießt, bei dessen erwärmender Berührung wir unwill-
kürlich ausrufen: Wie ernsthaft er die Gottesnatur
angesehen, wie er die Wahrheit geliebt, wie er die
realen Dinge beherrscht hat!»
Dabei ist ja unwesentlich, ob wir eine direkte Ab-
oder Nachbildung der Bildungen der Natur vor
uns haben, oder ob der Aünstler aus dem durch lange
Beobachtung und Übung erworbenen Schatze seiues
Gedächtnisses geschöpft hat. Omuis ar« imitatio uLturuo
est —- jede (wahre) Runst ist Nachbilduug der Natur,
sagt schon Seneca. Das gilt nicht blos vom modern-
sten pleinairismus, soudern von jedem stilisirteu Orua-
ment, ja von jedem künstlerisch geformten Gebrauchs-
gegenstaud. Ls konnnt nur darauf an, daß wir das
Natürliche sicher herauszufinden und vom Unwahren,
Schablonenhaften, Gequälten zu unterscheiden lernen."
Daß auch ciscrnc Wrückeir in Schönheit oin klinst-
lerisches Auge besriedigen könncn, weist Reuleaux in der
Zeitschrift „promethous" auch durch bildliche vorfichrungen
(der Rirchenfeldbriicke in Bern nnd der Iavrozbrücko iin
Ranton Freiburg) nach. Das llnfchöne der meisten eisernen
Brücken stainine zunächst von der verschiedeicheit des INaß-
stabs her, den nian von vornherein an Brücken oder aber an
fonstige Monnnientalbauten zu legen gewohnt sei. Bei
Uirchen, Mnseen, palästen usm. wird darauf gesehen, daß sie
künstlerischen Ansxrüchen genügen. Bei Brücken dagegen,
nainentlich bei eisernen, sind wir weniger streng, trotzdem auch
sie sür Iahrhunderte errichtet werden und bisweilen noch
niehr in die Augen fallen, als bsochbauten. Zu bedauern sei
es nanientlich, so heißt es ini Bericht der „T. R." über den
fcrneren Jnhalt der Reulcanxschen Arbeit, daß die Geschmacks-
frage bei der Aölner Brücke ganz unerörtert blieb, obwohl
wir sie gegenüber dem stolzesten Kunstwerk der Nation, dem
Uölner Dom, erbauten. Alle Nachhilfen, auch die Standbilder,
vermochten nicht zu verbindcn, was unverbindbar gestaltet
war. Glücklicherweise seicn die späteren Rheinbrücken nicht
so geschmacklos.
Zu einer künstlerisch befriedigenden eisernen Brückc,
wie zn einer Brücke überhanpt, gehören zwei Dinge: eine
schön gefchwungene Forin der Bogen, sowie eine leicht nach
der Mitte ansteigende Fahrbahn, damit die Brückenbahn nicht
in einem zn schroffen Gegensatz zu ihren bogonförmigen Stützen
steht. Gerade in letzter Beziehung sei häufig gesündigt, und
man hätte sich daran erinnern sollen, daß die Brücken der
Alten und des Mittelalters sämtlich eine steigende Fahrbahn
aufweisen.
was die Forthbrücke anbelangt, so meint der Derfasser,
man hätte für die Schönheit der Linien mehr thun können.
Der Mangel an Schönheit trete jedoch bei der geplanten
Uanalbrücke noch mehr hervor. Glücklicherweise wird diese
jedoch höchst wahrscheinlich nur auf dem Papier ihr Dasein
sristen.
* Line intcrimtionalc Nusstcllung von Nqunrellcn.
Pastellen, ljandzeichnungen und in beschränktem Maße Radir-
ungen veranstaltet die D r esdn er Uunstgenossenschaft für die
Monate August und September dieses Iahres. Sie thut es
zur herzlichen Freude Aller, die Ieugen vom Gelingen jener
Aqnarellausstellung des bjerbstes ;887 waren, die unser Blatt
in seinem ersten kjefte besprach. Daß der Ureis der zu be-
rücksichtigenden Uunstwerke durch das ljeranziehen der Radir-
kunst erweitert wird, auch das ist nur erfreulich. Nach Allem,
was wir vom Stande der Angelegenheit vernehmen, dürfen
wir auf ein treffliches Gedeihen des schwierigen und in
mancher Beziehung kühnen Unternehmens hoffen.
» von einer „Lcrstörung vcncdlgs", wie wir der
Uürze halbcr sagen wollen, indem wir den Ausdruck brauchen,
wie „Ierstörung Roms" gebraucht wird — sprach unlängst das
„lVochenbl. f. Baukunde". Nan wolle den einzigartigen Typus
venedigs vernichten; an Stelle der Uanäle solle die Straße,
an Stelle der Gondel der wagen treten; wunderschöne kjäuser
ersetze man durch geschmacklose Niietskasernen oder schände
man durch öde Anbanten; schöne Brücken würden durch häß-
liche modernc verdrängt, die niin auch die Schönheit der Um-
gcbnng dnrch ihren Mißklang zerrissen, usw. „Das größte
Unheil aber, das venedig droht, ist dcr vom Gemeinderat
beschlossene, von der jA'ovinzialdepntation genehmigte Re-
gierungsplan, cinc nicht enden wollende Listc von Rekti-
fikationen, verbrciterungen, Nicderreißnngen, Straßenauf-
schließungen und Aufhebungen, alle mehr oder weniger zum
Nachteil dcs Lharakters der Stadt, der Uiinst. Ls wird sich
Niemand auflehnen dagegen, daß gewisse alte, schmutzige
Gäßchen und nngesunde Behausungen dem Lrdboden gleich-
gemacht werden, doch sollte man nicht grundlos den poetischen
Zauber dieses steinernen Lagunenmärchens, das eigentümliche
Gepräge entfernen nnd vernichten wollen." Ia, diesen
„poetischen Zauber" wissen die meisten Italiener um so viel
weniger zu schätzen, als das „Praktische", wie sie den zwitschern-
den Singvogel im Gezweig weniger schätzen als den gebratenen
auf dcm Tisch. Nicht nur der Adel, sondern jede Bevorzugnng
oerxflichtet, auch die Bevorzugung, die ein Geschlecht durch
das reiche Lrbe früherer Gefchlechter genießt: nicht ohne die
lehte Möglichkeit erschöpft zu sehen, das gute Alte ohne
Schädigung des guten und notwendigen Neuen zu erhalten,
dürfte man es zu dessen Gunsten zerstören. Gehen die ve-
netianer hier leichtsinnig vor, wie es die Römer bei sich ge-
than, so müssen anch sie dcn verdacht ertragen, daß fie den
Mcrt jenes vätererbes überhaupt nicht verstehen.
Lprecksaal.
(Atnter sncbltcber verant«-ortung dcr Dcrren Linsender.)
Nochmals: Uünstlerische persönlichkeit.
Zch muß kjerrn Uoopmann nochmals erwidern,
daß es weder im Sinne von „Nembrandt als Lr-
zieher", noch im Snnne einer auch schon fricher be-
kannteii weisheitsregel ist, ftir eine in kurzen Worten
zu gebende Gharakteristik auch jene Seiten zu berück-
fichtigen, welche selten hervortreten. Dadurch wird
die Deutlichkeit erschüttert, und die Lharakteristik würde,
wiewohl an künstlerischer Linheit schwächer geworden,
auch an wissenschaftlichem werte nicht gewinnen, da
danu die Perspektive, nicht gewahrt erscheint, vielmehr
Unwesentliches auf gleichen plan mit dem besonders
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