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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 11
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0176

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Nundsckau

Allgemeineres.

^ von und über Fr. Tb. Viscber liegen neue Biicher
vor. Als „Altes und Neues, neue Folge" (Stuttgart,
Bonz) hat der Sohn ältere und jüngere Arbeitcn seines großen
vaters veröffentlicht; „außer den Aphorismen wird hicr aller-
dings nichts wirklich Neues, sondern nur Neueres, in den
letzten Iahren Lntstandeues dargcboten". Die älteste der
Arbeiten, die ausgezeichnete kvürdigung des Dramatikers
ksebbel, ist sreilich schon I8-N gcdrnckt — gerade sie zeigt aber
vortrefflich, wic wenig vischersche Aritiken veralten, ziehen
sie nur überhaupt allgenieinere Fragen in ihre Lrörterung,
wie es in Begründung und Lrklärung hier geschieht: vischers
kvorte wirken so jung, so zeitgeinäß, als besprächen sie Lr-
scheinungeir aus der lebendigen Gegenwart, nud gerade zur
Uritik der Gegenwart sind sie interessant. Ls folgen Reden
auf Schiller, Auerbach, D. F. Strauß, Reden, keine Anfsätze
— eine höchst anregende Besprechung vischers selber über
den Unterschied zwischen Aufsatz und Rede bestätigt und er-
klärt uns den uninittelbaren Lindruck, wie vortrefflich sio eben
als Reden sind. Ferner Lriunerungsblätter aus Gberitalien
und Griechenland, die sich ausweiten zu eingehendcn Bildern,
Schilderungen, Letrachtungen, Studien; literargeschichtliche
Untersuchungen, Abhandlungen und Aritiken; dio wahrhaft
typisch vischerische Zornschrift über „die Leiden des Bnchstaben
R auf seiner kvanderung durch Deutschland"; jene Studie
„das Symbol", von der wir nach ihrem Lrscheinen kurz Aennt-
nis gaben; endlich ein kleiner Schatz für den Strebenden nach
vischer- und nach Lebenskenntnis: „Axhorisnicn". kvie wir
deur vorwort init Freude entnehmen, wird diese Saniuilung
zerstreuter vischerscher Arbeiten nicht auf lange hinaus die
letzte bleiben.

Ferner sind des verstorbenen „Lyrische Gänge"
in zweiter, vermehrter Auflage erschienen (Stuttgart, Dtsch.
verlagsanstalt) — unsere Aufgabe kann es an dieser Stelle
nicht sein, noch nachträglich eine eigentliche Uritik dieser Ge-
dichte zu versuchcn, die so kraftvoll sind von starkein Mark,
daß sie uns wie nur ganz selten eininal andere als Gabcn
der „Nkannespoesie" erscheinen. Alle Seiten der vischerschon
Persönlichkeit haben sich zu diesem Gesamtbilde „dichterisch
ausgestrahlt". Seinen heiligen Lrnst finden wir dort, in
Dichluzigen wio „Nkarathon" und „Gedixus" zu erhabencni
pathos sich erhebend, sein helläugiges Anschauen der Geschichte
der vergangenheit wie der Gegenwart, sein unbefangcn gut-
brüderliches Leben init der Natur, sein keusches Nkiteinxfinden
mit Allem, was nienschlich ist, seinen herzlichen ksunior, seine
derbe, wortdrechselnde, gedankenknorrige jdolemisir- und Sxaß-
lust. Dann und wann pfuscht wohl der Deuker dem Dichter
einmal ins ksandwerk, weit öfter haben wir den poeten allein
vor uns, dem es glückt, auch den Gedanken zur Lrregung
von Lmxfindungen zu gestalten.

Nun drei Bücher über vischer. Das inhaltreichste stainmt
vom Gbersten und Schriftsteller Iul ins Lrnst vonGllnth-
ert, den vischer eines langen nnd freundschastlichen ver-
kehres wert hielt: „Friedrich Theodor vischer" (Stnttgart,
Bonz A Lo.,-. Der Nebentitel, „ein Lharakterbild, den Freunden
gewidmet", erregt Lrwartungen, die vielleicht etwas zu
hoch gehen: zum Nkindesten wolle man nicht eine systematische,
anfbauende und abrundende Schilderung dieser Persönlichkeit
erwarten. Vor allem bringt Günthert zahlreiche Briefe; Ana-
lysen von Gesprächen, Schilderungen des Zusammenseins mit
vischer usw. sind ihnen beigesellt. Ls giebt wenige Gebiete
der höchsten geistigen Interesfen, die in den Äußerungen
vischers nicht gestreift werden; zur Aenntnis insbesondere

seiner literarischen Ansichten werden Beiträge geboten, die
manchinal solchen aus den berühmten Anmerknngen der großen
„Ästhetik" an lvert kaum nachstehen. Bescheidener ist die
Bedeutung der „Vischer-Lrinnerungen" von Ilse Frapan
(Stuttgart, G. I- Göschen), die dem alten kserrn als Schülerin
anch xersönlich nahe, aber doch nicht näher trat, als wohl recht
viele andere auch. In die eigentlichen „Tiefen der Lrkennt-
nis" mit der verfasserin hinabzusteigen, hat vischer, so scheint
es nach dem Büchlein, keinen Anlaß gesehen: wer seine
Schriften und seine jdersönlichkeit kennt, wird eine kkenntnis
über vischer hier kauni erweitern. Aber Ilse Frapan weiß
trefflich und crwärmend zu schildern und zu erzählen: zum
Nutzen jener imnicr noch zahlreichcn Gebildeten, die im Grunde
von vischcr nicht viel mehr als den Namen kennen, ist ihr
kverkchen daher hoch willkommen. Denn wcnige von diesen
werden es aus der ksand legen, ohne den lvunsch nach näherer
Bekanntschaft mit Ilse Fraxans „kselden" zu verspüren —
und was mehr kann sie wünschen? Die „Lrinnerungsblätter
der Dankbarkeit" von Gttomar Aeindl „Friedrich Theodor
vischer" (Prag, G. Neugebauer, Nk. 1,20) sind auch für weitere
Nreise im angedenteten Sinne beftimmt, in anderem Sinne
freilich nicht, denn sie sollten ursxrünglich gar nicht veröffent-
licht werden. Ls ist gut, daß dies doch geschehen: die ganz
xcrsönlich gehaltene, ansxruchslose aber warm begeistertc
kiuldigung Reindls ist eine nicht nur liebenswürdige, sondern
auch förderliche Gabe wie Alles, das Nkänner wie vischer dem
Volke näher sühren kann. Eine steißige Bibliograxhie über
vischers Arbeiten giebt ihr zndem auch für den „Fachinann" lvert.

lNöge den zahlrcichen vorarbeiten in nicht gar zu langer
Zeit eine wirkliche Biograxhie dieses großen Deutschen folgen,
wie sie Richard Meltrich, sichcrlich „der Nkann dazu", planen
soll. Noch mit einem anderen lvunsche schließen wir: möge
bald ein billiger Neudruck der „Ästhetik" veranstaltet werdenl
Die Neubearbeitung ist nun einmal nicht zu Stande gekommen;
als eine sertige That liegt das lverk da, der Geschichte an-
gehörend auch init seinen Nkängeln. Aäuflich im Bnchhandel
ist's nicht mehr. Das jüngere Geschlecht aber, dem die Freude
am Systembau dcs jüngeren vischer teilweis die Nritik des
älteren selber benommen hat, es dürfte gewissermaßeu ein
Recht darauf haben, daß ihm der Linblick in jene Fülle von
kritischem Geist und intuitivein Geschmack nicht auf die Dauer
erschwert bleibe, dio vischers „Ästhetik" nebon den systematischen
Lntwickelungen umschließt.

Dicktung.

Am 28. Februar war der hundertste Geburtstag des
Frciherrn A. Tbr. V0N LedlitZ. lNan wird ihn da und
? dort feiern, mit wirklicher inncrer Teilnahme wird es nirgends
geschehen. Der Dramatiker Zedlitz hat wohl nie recht gelebt;
in der ksanxtsache Nachahmer und Nachempfinder besonders
der alten Spanier, die er in der Bearbeitung von Lope de
vegas „Stern von Sevilla" gar noch zu übertrumxfen suchte,
gehörte er nicht zu den Gesundcsten seiner Zeit. Lin echteres
Lmpfinden bezeugen seine lyrischen Dichtnngen, jene zumal,
die zur Zeit seiner inneren Unabhängigkeit geschrieben sind,
d. h. vor seiner staatlichen Anstellung im preßorganismus des
damaligen Gesterreichs. Uönnen wir selbst in der „nächtlichen
kseerschau", so viel sie einst gelobt wurde, heut bei nnbe-
fangenem Betrachten kaum viel mehr entdecken, als die recht
geschickte aber nicht tief dichterische Gestaltung eines glück-
lichen Linfalls, so erwärmt uns mancbes in den „Totenkränzen"
durch lebendigere Anschauung und wahre Lmpsindung. Daß

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