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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 2
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0032

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Dicbtung. NUNd

* AobkMN /Ide^er. — „vom hellen sangbaren
Liede an durch die saftige frische sZdylle hindurch bis
zum historischen Genrebilde hinauf klingen uns alle
Töne wieder entgegen, die Alaus Groth den ver-
dienten Beifall gewannen; einige schwächer und
matter, wie das sich bei zwei verschiedenen s)»dividuen
von selbst versteht, andere in gleicher chtärke und
einer mit viel größerer Gewalt." Das schrieb Fried-
rich Lfebbel über sZohann Ukeyers erste Gedicht-
sammlung. kver so gelobt wurde und von einem
solchen, der kann nicht ohne Bedeutung sein.

Iohann Meyer ist ein echter chohn des Volkes.
>Lr hat seine Zugendjahre gleichsam als Bauer unter
den Bauern verbracht; und er kennt das volk nicht
nur, sondern er fühlt auch mit ihm — „ich bin von
ganzem kserzen ein Bauer", schrieb er einmal an
mich. Als Fleisch von seinem Fleisch hat das volk
denn auch diese poesien anerkannt: viele von
Aieyers Liedern sind zu wirklichen Volksliedern ge-
worden.

Unser Dichter ist vor Allem Lyriker. Lr scheint
früh zur Lrkenntnis der Grenzen seiner Begabung
gelangt zu sein: er verzichtet darauf, Tragödien in
versen zu schreiben, die niemand aufführt und kselden-
gedichte in zwölf Gesängen, die niemand liest.
Anßer einigen kleinen volkskoinödien, die keinen ge°
bieterische» Anspruch auf Beachtung erheben, aber
in goldechtem plattdeutsch geschrieben sind und in
ksamburg, Riel und vielen schleswig-holsteinischen
Städten und Städtchen mit großem Lrfolge zur Auf-
führung kamen und kommen, und kleineren Lrzählungen
in vers und prosa besitzen wir von ihm als Lsaupt-
werk die „plattdeutschen Gedichte in dithmarscher
Akundart."* wenigstens will uns scheinen, als träte
seine Begabung am klarsten und frischesten in den
hier enthaltenen kleinen Liedern zu Tage. Zeigt doch
seine Akuse in ihnen ebensoviel Batürlichkeit der Lm-
pfindung und schalkhafte Laune, wie die volkspoesie
selbst. Theodor Storm sagt einmal: „Die bvorte (eines
Gedichts) müssen auch durch rhythmische Bewegung
und die Rlangfarbe des verses gleichsam in Nlusik
gesetzt und solcherweise wieder in die Lmpfindung
aufgelöst sein, aus der sie entsprungen sind." Auch
in Aleyers Liedern singt und klingt es geheimnisvoll
zwischen den schwarzen Zeilen, und die andächtige
Slille um uns belebt sich mit zartem träumerischen
kvohllaut. lvir spüren den „musikalischen lleim",
von dem Bobert Franz sagt, ein jedes echte liedartige
Gedicht trage ihn in sich — den musikalischen Reim,
den aus vielen der Meyerschen chchöpfungen heraus
tüchtige Romponisten auch zu vollem Leben entwickelt
haben. Biit welcher Fertigkeit braucht der Dichter
die als mißtönend verrufene Bauernsprache Nieder-
deutschlands! Man höre nur:

Nu lang' i»i de ksand her
Und komm' mit din Aopp,

Un dar, wo dat ksart sleiht,

Da legg' em man ox.

Denn hang ick Di lisen
Min Arm uin de Nack',

Un küß Di de Vgen
_ Un strakel Din Back.

* III. Auflage, Aiel, Lipsius und Tischer.

cbau.

Denn sitt wi to snacken,

Denn fitt wi to dröm'n;

Un buten, dar blinkert
De Steerns dör de Bööm.

Uu buteu is't düster,

Un Fred op de Eer, —

Un schull 'ck noch wat wünschen,

Ick wüß nich, wat 't weerl

kvelch' schmeichelnder Rlangreiz! Das ist nicht
mit ksängen und lvürgen gemacht, sondern wahrhast
empfunden und empfangen!

Ls bietet eine probe von Meyers Liebesliedern.
Der Liebesfrühling mit seinem lverben und verlangen
fordert die schönsten Lieder, beim volksdichter wie
bei der Nachtigall. Zohann Meyers Liebeslieder
sind voll innigen Lebens und doch wieder keusch ver-
halten, blumenhaft und duftend. pedanten mögen
sie süßlich nennen, aber für pedanten ist die poesie
nicht da: „claus I'amour trox> u'est pus asser." Ls
gewährt reiche Freude, an der bsand solcher Lieder
sich den Lntwicklungsgang dieses Liebeslebens zu
vergegenwärtigen. Zuerst ist es nur „de Buer-
deern", die

rot as en Rosenblom,
witter as Snee,
slank as en Guitschenbom,
flink as en Reh,

dcm Dichter ins Auge fällt und die er schelmisch-lieblich
besingt. Dann wird das Lied sehnender, drängender
und leidenschaftlicher; die kleine „Buerdeern" ver-
wandelt sich in eine „Uönigin". Lndlich hat er sie
sich errungen. Aber, unähnlich der Nachtigall, ver-
stummt er jetzt nicht. Ls giebt kaum Rührenderes,
als die in leichter und graziöser Lckizze hingeworfene
Zeichnung der Ntuttcr mit der ganzen Tiefe der
Nlutterseligkeit an der lviege ihres Aindes.

Neben der Liebe verdankt Nieyer der Natur
die reichsten Anregungen für seine Lyrik — Lyrik im
engsten chinne: einfaches Austönenlassen übermächtigen
Lmpfindens. Lin naives Staunen bemächtigt sich
seiner immer wieder den „alltäglichen" Lrscheinungen
der Natur gegenüber — eine Gabe, die den Anfang
aller poesie bedeutet. Ls ist immer wieder das
„Ländeken deep", das er besingt: grüne lviesen von
rauschenden Birkenwäldern umschlossen, blaßgoldne
Rornfelder, vom leisen winde in der darüber brüten-
den Lonne sanft gewellt; die braune weite Lseide,
das einsame, stumme Nloos, — das „Ländeken deep"
bald in der Fülle sommerlichen webens un.d Lebens,
bald im stummen chcheintode zur winterszeit. Überall
innige Beseelung. Nlanches Zohaun Nleyersche Ge-
dicht forderte mich fast zu vergleichen mit ähnlichen
Schilderungen Nlörikes auf. Frohgemut beginnend,
tönen die Stimmungsgedichte zumeist in zart elegischen
Akkorden aus.

Nleyer ist deshalb freilich noch lange kein
„pessimist". Nein, gerade der Lsumor stellt sogar
einen wesentlichen Zug im Bilde des Dichters dar.
Lr bildet ja auch einen Grundzug im Tharakter des
niederdeutschen volkes. Nlit dem Neuterschen ist der
Lsumor Nleyers verwandt. Schon in den rein lyrischen
Liedern bemerkt man ihn ab und zu; aber wie es
in manchen Volksliedersammlungen eine besondere

— ro
 
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