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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 1
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"Kaviar für's Volk"
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0014

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großen Mnderzahl) schlummernde Lmpfänglichkeit der
. Seele gehört, jene Lähigkeit, da- Umgebende gut zg
sehen, zu hören, zu „durchfühlen", das kann Allgemein-
gut werden, wie jedes Lrgebnis der Lrziehung, also
allerdings nach Begabung und Umständen in ver-
schiedenem Grad. Zur Bildung eines gesunden
Geistes reicht die Zeit und die Rraft auch dem Ainde
des Volkes gegenüber aus, wenngleich nicht zum jahr-
zehntelangen Lüttern des Gehirns, wie bei nnserer
„höheren Schulung."

Lrziehung zur Genußfähigkeit sollten wir
fordern und diese Forderung immer auf's neue aus-
sprechen, die wege zu ihrer verwirklichung immer
wieder zu beleuchten suchen, — im Bewußtsein der
sehr „realen" Dinge, auf denen wir fußen, kühl gegen-
über dem Sxott, der uns etwa „unxraktischen Idealis-
mus" andichtete. Zst es eine Anfgabe, die größtmög-
liche Summe von Glück, von wohlgefühl und die
kleinstmögliche von Unlust im Menschenlcben herzu-
stellen, und erreichen wir jedes Ziel js besser, je weniger
Mittel wir zu seiner Lrreichung brauchen, so darf das
Zeitalter der Volkswirtschaft unsere Forderung am
wenigsten belächeln. Nicht nur deshalb nicht, weil die
Vermehrung der Lustempfindungen im Volk an und
für sich eine gute Sache wäre. Nicht nur deshalb,
weil die ästhetische Lrziehung, wie schon Bchiller er-
kannte, die sicherste Vorerziehung zur sittlichen ist. Nicht
nur, weil sie den Nienschen von hundert gemeinen
Linflüssen befreit, indem sie dicse häßlich und damit
dem ästhetisch Lmpfindlichen widerwärtig erscheinen
läßt und ihm zugleich in weit weniger kostspieligen
und leichter zugänglichen Gütern, als den vorher so
erstrebten „materiellen Genüssen", die (Huelle weit
stärkerer wohlgefühle zeigt. Sondern auch aus höchst
„praktischen", selbst dem „Geldmann an sich" leicht
einleuchtenden Gründen. Denn in einsm ästhetisch
besser erzogenen volk müssen sich die künstlerischen und
kunstgewerblichen Talente leichter selber entdecken und
entdecken lassen, als in einem ästhetisch schlechter er-
zogenen. Darauf, daß einem verhältnismäßig gering-
wertigen Nohstoff rein durch seine Behandlung ein
unoergleichlich höherer wert verliehen und so ein Stück
ksolz, Leinewand oder Stein dann mit Gold bezahlt
wird, beruht ja für ein volk die nationalökonomische
wichtigkeit seines Aunsthandwerks und seiner Runst.
Um wie viel ward z. B. Frankreich durch seine Lunst
und sein Aunsthandwerk Zahrhunderte lang wirtschaft-
lich gestärkt!

N) i e könnte dem Ziele einer allgemeineren Bildung
zur ästhetischen Genußfähigkeit zugestrebt werden?

lVir denken nicht etwa an eine neue „Mehrbe-
lastung" der Schulen, denen wahrhaftig eine Ntinder-
belastung weit nötiger wäre. lVir haben ja auch

schon unsere Aetzerei bekannt („Bildung", Rw. I, z):
wir glauben, die ganze Frage der Schulreform wird
von denen falsch gestellt, die immer nur von Äennt-
nissen sprechen und im Lrsatze einer Renntnisgruppe
aus dem Lehrplan durch diese oder jene andere nicht
nur ein kseil, sondern schon das ^eil erblicken. Um
einen weit tiefer liegenden Grundsatz handelt sich's uns,
um die Frage: lVissen oder Bildung? „Missen ist
Nährstoff für die hungernde Seele, aber Nahrungein-
geben ist noch nicht Nähren." Zum Nähren, d. h.
zum Verdauen, zum Nntzbarmachen der eingenommenen
Renntnis-Nahrung braucht es gesunder, geübter, ge-
schulter, gebildeter Seelen-Grgane. Das Denken, das
Empfinden, die phantasie müssen wir kräftigen, nicht
nur völlstopfen. „Denn der Bauer, der einer fremden
Gedankenreihe schneller zu folgen, ein fremdes
Lmpfinden besser mitzufühlen, eine fremde phantasie-
anschauung besser in sich nachzubilden vermag, als
etwa irgend ein in seinem Fache noch so tüchtiger
Gelehrter, ist höher gebildet als dieser, mag er
auch noch so viel weniger unterrichtet scin."
Alt-Griechenland legte in seiner Lrziehung das
bsauptgewicht auf die Bildung seiner Zugend, wie
Neu-Luroxa aufs Renntnisbeibringen. ^at die Mensch-
hsit einmal wieder eine Lrziehung zur Bildung sich
errunge», so hat sie auch die ästhetische Lrziehung
mit erworben, denn ein vollkräftig und aus sich selbst
heraus frei gewordener Grganismus läßt keine Seite
seines Lebens verkümmern. Aber wenn sich auch
allerorten ein neues lVollen und damit ein kommendes
Merden mit der wachsenden Linsicht in die Nängel
unserer Schulung regt — bis es zum herrschenden
herangewachsen, werden noch Zukunftsjahrhunderte
in die vergangenheit gesunken sein. lvir haben mit
der geschichtlich gewordenen Schule zu rechne», und
so lange um- und auszubauen, bis dereinst ein ganz
neues Gebäude dasteht.

lvas sich, um auf die Bildung zur ästhetischen
Genußfähigkeit zurückzukommen, vielleicht für diese
schon jetzt thun ließe, darüber ward für einige Ge-
biete der Lrziehung in diesen Blättern schon gesxrochen;
es soll künftig weiter davon gesprochen werden.
Dem lvie der Ausführung einer ästhetischen Lr-
ziehung unsre Aufmerksamkeit zuzuwenden, werden
wir als Micht betrachten. Für heute wollten wir
nur die wichtige Forderung überhauxt auch unserer-
seits möglichst mit Nachdruck stellen. Sehr viel
wäre ja schon gewonnen, wollten und könnten die
Lrzisher nur bei all ihrem Lehren und Lrziehen alsMit-
zweck im Auge behalten: die jugendliche Leele
für alles Schöne zu öffnen, das sich irgendwo und
irgendwie im Gegenstande des Unterrichts oder
während des freien Verkehrs ihr bietet.


Dicdtung.

» „Goetbe und nocb iinmer kein Lnde"

man ist unsern literarischen Flugschriften gegenüber so
an den Sturmlauf gegen Goethe gewähnt, daß man
das lvort ganz unwillkürlich zunächst als satirisch ge-
meintes auffaßt, begegnet man ihm als dem Titel einer
Broschüre. Zn unserm Falle ist's aber nicht satirisch
gemeint. Lvir finden es auf dem fünften der „Neuen

Ikundsckau.

literarischen volkshefte", die, bei R. Lckstein Nachf. in
Berlin erscheinend, allerlei Fragen aus dem zeitge-
nössischen Schriftleben in Form eines Briefwechsels be-
handeln, den ein xreußischer Gffizier mit einem Ra-
meraden von der Marine führt. „Der Offizier in
der Dichtung", „Die xreußische Ader in der deutschen
Literatur", „Die sozialen Rämpfe im Sxiegel der
 
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