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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 6
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Vom Tage
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Sprechsaal: nochmals in Sachen: "Goethe und noch immer kein Ende"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0101

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8,

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haftigkeit und dem unglaublichen Geschick, womit er dies bis
in die aeringfügigsten Linzelheiten durchführt, sich nie genug
thuend, als bis eben nichts weiter hinzugefügt werden kann,
! ist er nur den größten der Meister des zs. und ts. Iahr-
hunderts zu vergleichen. Iede Falte, die sich in der Lfaut
bildet, jeder Anochen, der durch die bjaut schiinmert, jeder
Lichtglanz oder Restex, der sich auf der Vberstäche spiegelt,
wird so lange und so fein behandelt, bis er in jener lveich-
heit dasteht, wie in der Natur. Die Jnszenirung, der deko-
rative Estekt seiner Bilder kümmert ihn gar nicht weiter, so-
bald nur alle für die Alarstellung und Lharakterisirung des
vorwnrfs ersorderlichen Rlomente vorhanden sind. Jn der
Vision der Iungsrau von Brleaus ist die bseldin, lebensgroß,
in der Gestalt einer Bäuerin unserer Tage, in ihrem uns
ganz heimisch aumutenden Gärtchen stehend, dargestellt. Nichts
von einer bseldin im gewöhnlichen 5inne hat sie an sich, weder
in den Formen, noch in Geberde nnd Aleidung. Aber der
weitgeöffnete weltabwescnde Blick dcr wasscrhellen Augen ver-
rät, daß in dieser schmächtigen hcch aufgeschossenen Gestalt
Aräfte einer übernatürlichen Begeisterung verborgen sind.
In diesen zwei punkten liegt der ganze Inhalt des Bildes
beschlossen; sie halten den Beschauer niit magischer Gewalt
fest. vie zwischen dem Baumlaub durchschimmernde vision
des von Engeln umgebonen gewapxneten Lhristus erweist sich
als eine romantische Zuthat, welche ganz wohl hätte fort-
bleiben können.

Linem werk dieser Art gegenüber tritt die Leerheit der
üblichen großen bsistorienbilder, für dic nns jcht die rechte
Überzeugung fehlt, doppelt fühlbar hervor. Lsier haben wir
die Reoolution vor uns, dic unaiifhaltsain vorschreitet, alles
Unzureichende und nur äußerlich lsaftendc dein sichern Unter-
gange weihend. S S.

* Den gestickten lvanübildern der Frau bsenriette
Nlankiewicz, die gegenwärtig in Dresden ausgestellt sind, wurde
von j)aris der Ruf voraus gesandt, daß sie ganz außer-
gewöhnliche Leistungen seien, und daß damit für kunstfertige
Frauenhände ein neues Mittel des Erwerbs erschlossen sei,
welches eine bedeutende Znkunft habe. lväre das richtig, so
verdienten die lverke schon deshalb unsere Aufmerksamkeit.

Ihre Ligenart beruht auf einer verbindung von Stickerer und
Aquarellmalerci. Anf Seidengrnnd sind phantastische Land-
schaftcn dargestcllt i cin Bach, eine Bucht, ein See, eine Vuelle,
ein Teich, ein lvasserfall, das Meer. Dcr vordergrund ist in
kräftiger Bctonnng des Gegenständliche» — der Bäume,
Felsen nsw. gehalten und zwar in lcbhaftcn Farben gcstickt,
während Nkittel- nnd lhintcrgrund, wie überhanpt die der
lvirknng nach mehr zurücktretcnden Teile der Bilder leicht in
Aquarellfarben ansgeführt sind. Beide Techniken derart zn
verbinden, daß ein völlig cinheitliches Iusammenwirken erzielt
würde, das war die große wohl überhaupt nicht ganz lösbare
Schwierigkeit, welche befriedigend zu lösen doch wohl den Lhrgeiz
der Frau Nlankiewicz angespornt hat. Ls ist ihr nur in so-
fern gelnngen, als die Bilder bei künstlicher Beleuchtung in
der That cine dckorativ prächtige lvirkung ansüben, der man
sich iiamentlich beim ersten Anblick nicht leicht entziehen wird.
Indeß treten auch dio Nkängcl alsbald zu Tagei der Lindruck
einer weiten horizontalen FlLche, wie ihn die gewählten vor-
würfe bedingen, ist keineswegs iinmcr erreicht: so sieht das
Nkecr wie eine nach vorn herabstürzende lvassermasse aus.
Überhanxt aber ist das Stoffliche der Stickerei nicht immer
derart überwunden — und hier war doch beabsichtigt, es zu
überwinden — daß cs zur künstlerischen Illusion hinreichte.
Das gewählte Format — bei 4 Nketern ksöhe eine verhältnis-
wäßig geringe Breite - vermehrte noch die Schwierigkeiten,
indem die gewählten Gegenstände immer nur in ungenügend
! kleinen Abschnitten veranschaulicht werden konnten und eine
, gewisse Linförmigkeit der Aomposition bedingten, welche er-
inüdend wirkt. Dic Arbeiten verdienen alle Anerkennung für
dcn nnermiidlichen Fleiß, der auf sie verwandt ist. Das, was
bei den sich darbietenden Schwierigkeiten geleistet werden
konnte, ist geleistet. Line Suknnft hat diese Art dekorativer
Nkalerei aber nicht: der Lrfolg ontspricht nicht der aufge-
wandten Zeit und Nkühe. Die Nlalerei allein bietet alle Nittel,
um das angestrebte Iiel völlig erreichbar zu machen — und
weshalb init mehr Nkühe lvirkungen erstrebcn, die ebenso
gut und vielleicht besser dcn Gesetzen des Stils und künstle-
rischer Linheit entsprechend, auch init einfacheren Mitteln zu
erreichcn sind?


<s

Lprecbsaal.

CMnter sacblicbcr Verantniortung dcr Derrcn Linscnder.)

Nochmals in Sachen: „Goethe und noch immer
kein Ende".

Zn dem volksheft „Goethe und noch immer
kein Lnde" ist nirgend von den „sMngeren" die
Rede. Der ^auptaufsatz erwähnt die literarische
Gruppe des Lserrn Alberti überhaupt nicht; nur in
dem kurzen Antwortbrief heißt es: „Fürchten Sie die
Nache unserer Naturalisten! . . . . Zweier ver-
brechen hat sich Angeklagter schuldig gemacht — der
Angeklagte sind Sie —: t) sördert Angeklagter den
Rultus der literarischen Vergangsnheit und hemmt
somit Uns, die Lebenden; 2) behauxtet Angeklagter
lästerlich, die Naturgenialität, der künstlerische Realis-
mus, sei eine Lrrungenschast längst vergangener Zeit
und brauche somit nicht von Uns Nsueren extra er-
funden zu werden." Die Berechtigung dieser Be-
merkungen einerseits, dasUnzutrefsende der Albertischen
Gntgegnung andererseits möge beispielsweise durch
folgende Auszüge und Schriften unserer Naturalisten
dargethan werden:

„Statt srisch und munter die Gegenwart zu erfassen, ....
stehen sie da mit rückwärts gewandten Aöpfen und starren in
die vergangenheit und faseln von den Jdealen derer, die tot
nnd begraben, nachdem sie ihrer Zeit genug gethanl"

Ni. G. Lonrad: Nladame Lutetia. S. 294.
„Die scheußliche Goethemanie -— welche den Sinn für
Rcalismus, sür das Nloderne, für das ksistorische und, rund
herausgesagt, überhaupt sür das Große vergiftet."

A. Bleibtreu: Revolution der Literatur. 2. XIII.
„lvie gewöhnlich hat die sranzösische Literatur die Führ-
nng. Der Löwenanteil an der vernichtung des „Romans",
an der Troberung der lvirklichkeit für die Form dieses
Namens gebührt natürlich Zola." „Gesellschaft" II, 227.

„Des Polzihistors Goethe «vielseitigkeiü mag von Zunft-
schulmeiftern als ein Beweis seiner Superiorität über Byron
betrachtet werden; wer aber den Prozeß des Dichtens studirt,
wird dergleichen Nebenallotria wie Goethes Studien doch nur
als eine Ausflncht erkennen. uin sich selbst der schwereren
(dichterischen) Arbeit zu entziehen .... Goethe, dessen „IVelt-
blick" eben der eines Nlinisters für trvo-psun)- concsrns blieb,
mnß nun freilich in scinem nmgekehrten Bemühen, das lvirk-
liche xoetisch zu machen, den ganzen Troß der „Nlagister
Panglos" init oder ohne Leibnitzsche Glückstheorie nach sich
ziehen."

A.BIeibtreu: Gesch. d. engl.Lit. i. tS- Jhr. H> 5. 25of.

ss —
 
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