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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 12
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Vom Zeitalter deutscher Kunst
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0191

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volkes von heute, in denen wir nachzustreben haben
„nicht dem einzelnen Manne, sondern dem lVeben der
Volksseele in ihm," stellt der Ungenannte eine Anzahl
von Großen hin: treibt ein Volk in solchem Sinne
k^eroenkultus, „wird es ihm so wenig an Rräften
fehlen, wie Antäus, solange er die mntterliche Lrde
berührte, den» es ist sich selbst treu geblieben." Rem-
brandt aber ist dem verfasser vor allen übrigen ein
Lrzieher der Deutschen von heute, ist ihm das Symbol
der erstrebenswerten Zukunft, weil er ihm der indi-
viduellste und deshalb deutscheste aller Künstler ist.

Den Gauxtraum im Buche nimmt die Kritik der
Geisteskultur der Gegenwart ein. Die Rünste, die
lVissenschaft, die j)o!!tik, sie werden alle vom chtand-
punkte „Rembrandts" aus scharfäugig gexrüft und
gerichtet. Als ksauxtaufgabe erscheint dann die: den
klaffsnden Niß zwischen Gebildeten und Ungebildeten
zu schließen — nicht von oben herab, nur von unten
herauf konne das geschehen, nur dadurch, daß unsere
Bildung vom Boden heraufbaue. Zum Volks und
im Volke steht das Genie, der Held, aus ihm ging
ein Ghristus, chokrates, Luther, aus ihm gingen die
größten Rünstler hervor: sie müssen wir schützen vor
ihren Feinden, den Akademikern und Doktrinären.
Der pöbel ist nicht das volk. Zst doch der Lrbseind
der Deutschen gerade das sdlebejertum, das sich in
der Runst als Rohheit, in der lvissenschaft als Spe-
zialismus kundgiebt. Um wieder zu steigen, brauchen
wir Linsamkeit, Uuhe, echte vornehmheit, die zugleich

das einfach und edel Menschliche ist, Runst. Bilden
wir in ihnen unsere persönlichkeit aus, so wird der
innere Aufschwung der Deutschen dem äußern von
t8?o folgen.

Diese Andeutungen über den Znhalt des Buchs
müssen für heute genügen, zu dem Beweise ge-
nügen sie ja jedenfalls, daß „Bembrandt als Lrzieher"
eine Schrift von ganz ungewöhnlichem Znteresse ist.
Aber sie geben auch diesen Beweis nicht entfernt im
vollen Umfange; auf die Behandlung mancher großer
Geistesgebiete konnte nicht einmal ein bvort verweisen
- alle wichtigern Geistesregungen werden ja hier
beleuchtet, mit Sonnenschein oder kselldunkel, je nach-
dem. Die rüekhaltlose Bewunderung, der das Lverk
auch als eines des klaren Denkens bis jetzt fast
überall begegnet, wird nicht Stand halten —
ich möchte das als meine xersönliche Meinung nicht
verhehlen; die Gründe dafür gab ich an. kver die
Thatsache festhält, daß das Auftreten dieser typischen
persönlichkeit, die wir hören, das Bedeutsamste in
„Nembrandt als Lrzieher" ist, den werden auch die
Linseitigkeiten, Fehlschlüsse und sonstigen Mängel in
der bsochschätzung dieses Lrzeugnisses der „wissen-
schaftskunst" nicht beirren. lvenn nach ein paar
Zahren Zustimmung wie kvidersxruch sich beruhigt
hat, dann wird man den Ausspruch unterschreiben:
„Bembrandt als Lrzieher" hat nicht nur anregend
gewirkt, wie auf so allgemeinem Gebiete vielleicht seit
Zahrzehnten kein zweites Buch, sondern auch klärend.


Nundscbau

Dicktung.

* über das deutscde volfislied in der Gegeil-
vvart finden sich in einer mit mk unterzeichneten
Studie „vom schlesischen volkslied" („Schles. Zeitung"
tö< f.) auch allgemeinere Bemerkungen. „Die volks-
xoesie", so beginnt der Verfasser, „ist immer die
Mutter der Dichtkunst gewesen, weil Bildungslosigkeit
und Gestaltungstrieb eher da waren, als Bildung und
Runst; wo sich Dichtkunst ohne diesen Zusammenhang
entwickelt hat, war es eine Lntwickelung aus Rosten
des Lchten in der poesie, und selbst die beste Btief-
mutter, etwa die mühsame Arbeit des Gelehrten oder
die feine Zierlichkeit des Lsofmannes, hat die Bkutter
nicht ersetzen können, ebensowenig wie die Frömmig-
keit des Blönchs. Die deutsche Dichtung aber ist
überhauxt von Lsause aus Volksxoesie; und selbst, wo
nachweislich andere Ursprünge gelten so in der
Tierfabel, welche die Rläster aus dem Altertum über-
mittelt haben — schöxften die Dichter die der Ron-
zextion entgegenkommende Stimmung aus Volkstüm-
lichem, sodaß der Grimmsche Satz: in der deutschen
Tiersage sxüre man noch den kvaldgeruch, wenn auch
in anderem als dem beabsichtigten Binne, Geltung
behält. Und immer, wenn sich die Runst der Dichtung
vollendet hatte und dann nach flüchtiger Bachblüte-
zeit für sie trostlose kvinteröde eintrat, ja immer, wenn
es eine deutsche Dichtkunst gar nicht mehr gegeben
hat, lebte die volkspoesie kräftig weiter, wie Zmmer-
grün unter dem Schnee." In der Gegenwart aber
vollziehen sich auch auf dem Gebiete der volksxoesie
„kvandluiigen, welche dem aufmerksamen Beobachter
fast wie bedauerliche Anzeichen eines drohenden Ver-

falls erscheinen". „vielleicht bereitet sich auch hier
eine neue Lntwickelung vor", sagt der verfasser
— ohne, so scheint es jedoch, in dieser Richtung viel
ksoffnung zu hegen. „Darauf kann als sicher hinge-
wiesen werden, daß die Volkspoesie, das Volkslied —
denn volksxoeste ist immer Lied: wort und lveise,
Text und Ulelodie ergänzen und fördern sich gegen-
seitig — in derjenigen Form und mit demjenigen Zn-
halt, durch welche es, wie seit Zahrhunderten, so noch
um die Mitte unseres Zahrhunderts scharf und deut-
lich charakterisirte, sichtlich seltener wird. Denn die
stetig und unablässig fortschreitende und bis in immer
tiefere Bchichten der Bevölkerung dringende Rultur,
deren Begnungen unsere Zeit zu xreisen hat, tritt auf
diesem Gebiete als der siegreiche Feind auf, dem das
althergebrachte, ererbte Volkstümliche, wie es scheint,
erliegen wird. Diese allgemeine Rultur beeinflußt nicht
nur die Formen, in welche sich das xoetische cLmpfinden
des volkes zu gießen pflegt, sie beeinflußt auch die
volksseele selbst, sodaß sie andersartig zu empfinden
beginnt, als all die Zahrhunderte zuvor. Schon Schiller
hat fein und gültig die beiden j)ole der Poesie be-
stimmt als naive und sentimentalische Dichtung; das
kvesen jener setzte er in den ungebrochenen 2lusdruck
des A'lenschlich-Ursprünglichen, der Natur, das lvesen
dieser in die Formung des geläuterten geistigen Lr-
werbs, der sich im Dichter sammelt, wenn das natür-
liche Lmpfinden durch die Zdeen, welche gesteigerte
Bildung und erweiterte Rultur erzengen, hindurchgeht
und gebrochen wird. Bisher war das Naive aus-
schließlich der Boden, auf dem das volkslied wuchs.

— ,7S
 
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