Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

DOI Heft:
Heft 21
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0334

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dicbtuna. 1KUNdScl) a U.

» Goltkrted Ikeller ist tot. Als vor einem Iahrs
alle, auf denen sein Geist je rnhte, mit der Nebe der
Dankbarkeit nach der Schweiz hinüberdachten, da war
der Dichter schon ein müder Mann. Nnn hatte er
das ksaupt znm großen chchlafe zurückgelegt, das uns
so herrlich reich beschenkte, nun das Auge geschlossen,
das so lauge in sich trank, „was die wimper hält
von dem goldnen Überfluß der lvelt", ais die Flamme
auflöste, was von ihm irdisch war.

cheine ewige Seele aber wird weiter wandeln
nicht nur durch sein Heimatsvolk, dessen Ldelstes sich
in ihr verdichtete, sondern durch sein großes Vater-
land, durch alle Gaue deutscher Zunge, und über sie
hinaus durch jedes volk, das mit Deutschen in geistigen
Derkehr tritt. Denn nur die ersten Achritte seines
iVegs als Lrfreuer und Lrzieher hat Gottfried
üeller schon hinler sich. Lr wird einer jener Geister
werden, die, ungesehen und oft selbst ungeahnt, die
Tüchtigen ihrer Zeit beeinflussen und durch diese
Alle.

Gs ist uns nicht vergönnt, heute darüber zu
sprechen, denn ohne einigen üampf ginge es nicht
an: ein Teil von dem, was jetzt über Reller gesagt
worden ist, zwingt ihn uns auf. Aber uicht so nah
am Sterbelager mögen wir die wafsen ziehn.

* Gusktlv Hdklzer, wohl der letzte aus jenem
Areis, den wir als „Schwäbische Dichterschule" nennen
zu hören gewohnt sind, wohl der letzte der „Genossen
Uhlands", ist nun auch zu seinen vätern heimgegangen,
der letzte, der in seiner Zugend noch „Griechenlieder"
sang — er starb am lS. Zuli zu Stuttgart. Als
Lyriker und Lpiker, als Übersetzer, als üritiker und
als Geschichtsschreiber hat er sich mannigfach bethätigt,
als Nedakteur am Stuttgarter „Morgenblatt" war
er zu seiner Zeit viel genannt. Seinen werken
lassen sich mehr allgemein menschliche Vorzüge nach-
rühmeu, als eigeutlich poetische, man kann mehr von
f)sizers edler Zdealität der Gesinnung, von seinem
sittlichen wollen, von seiner Gedankeureinheit usw.
sprechen, als von dem tiefen Blick seiner phantasie,
von seiner Gestaltungskraft, vo» seinem sprachschöpfe-
rischen vermögen. <Lr ging bescheiden den großen
Dichtern seines Gmpsindungskreises nebenher, und be-
gleitete gleichsam deren vollen Gesang in dcr zweiten
chtimme.

* „Die Lektüre des Volks" hieß eine vor-
treffliche Flugschrift Adam Uiüller-Guttenbrunns,
welche die Gründung jeues kVeimaraner „Vereins zur
Massenverbreitung guter Schriften" mit anregte, dessen
Generalsekretär jetzt unser Uütarbeiter Arthur L>eidl
ist. Das erfreuliche Lrgebnis der Utüllerschen Arbeit
war: es läßt sich sehr wohl eine volksliteratur denken,
die ohne das verrohend Gemeine der Aolportage-
chchundromane doch auch für den „kleinen Ulann"
fesselnd sei gleich diesen, die ihm erfreuende und ge-
sunde Geistes- und Ljerzensnahrung gebe — wollen
nur unsere besseren Schriftsteller mit Grnst die Be-
dingungen populärer Lrzählkunst studiren und vor
ein paar sachlich unbedeutenden kleinen Zugeständ-
nissen iDoppeltitel usw.j so wenig zurückschrecken, wie
das ihre verleger vor dem Wege der Aolportage
thun dürften. Der IVeimaraner verein schreibt jetzt

preise an die Schriftsteller aus. Das Beste, was wir
ihm neben allem Gutem wünschen, ist recht freie kveite
und Größe in der Auffassung seiner Aufgabe, Ablehn-
ung jeden versuchs, Parteiinteressen hereinzuziehen und
Fernhalten jeder Schulmeisterei. Lntfremdete doch
seinen Bestrebungen nichts gerade die tüchtigen un-
serer „ungebildeten" volksgenossen gewisser, als das
Gefühl, biedermeiernder Lserablassung zu begegnen.
Die ksauptschwierigkeit liegt aber wohl darin, daß es
gilt, einen ganz neuen chtil des volkstümlichen zu
bilden, denn selbst der bewunderungswürdige Rlassiker
des Volkstümlichen früherer Zeit, Hebel, genügte schon
deshalb als Vorbild kaum, weil der Arbeiter und
Bauer von heute über weit mehr Denk- und <Lm-
pstndungsgebiete geführt werden will, als ksebel mit
ihm betreten konnte.

«. Unter der Überschrift „Der LlNÜUSS deS IKeN--

lismus uuf sprucbltebe Stiletgeuscbutteu"

behandelt ksans Uiüller (Balon t.o) einsn freilich
uur in den weiteren Rreisen der Gebildeten zu wenig
beachteten langsamen kvechsel auf dem Gebiete des
deutschen sprachlichen Ausdrucks in seiner psychologischen
Bedeutung. „Das, worin wir uns vom englischen
Btil hauptsächlich unterschsiden, tritt bei neuzeitlichen
Autoren immer weniger zutage. Der Latz, der sich
früher mit viel Überlegung und Runst in syntaktischen
Ronstruktionskrümmungen wandt und den man von
hinten und vorn zugleich anpacken mußte, um ihn
in seiner pyramidalen Größs zu würdigen, hat eine
merkwürdige Metamorphose durchgemacht. kjeute hält
er uns seinen k^auptgedauken in knappsn lvorten vor.
punkt dahinter! bsat man nicht ^hantasie genug,
ihn in seiner manchmal recht paradoxen Ursprünglici -
keit sich zu ergäuzen, so lese man nur geduldig weiter.
Alles, was ihm noch Not thut, hat er ins Schlepptau
genommen, und allmählich ergiebt sich aus ssiner
Lchroffheit eine gesunde ksarmonie, die eiuem wirklicheu
Denkvorgange getreulich entspricbt.

Die Ltrömung geht ruhig ihren Gang, und ein
jeder kann sich überzeugen, daß sie täglich kräftiger
wird. Die Bestandteile ein und desselben Zeitworts
werden zusammengefaßt, das Mbjekt — selbst auf die
Gefahr eines semitischen Anklangss hin — ruhig an
das Lnde gesetzt. provinzielle Unarten läßt man, so-
fern sie den Nagel auf den Ropf treffen, bei kaltem
Blute mit unterlaufen. Von einigen Grtremen wird
so weit gesündigt, daß jede logische Anordnung dem
bewußten cLiudruck des Bichgehenlassens untergeordnet
wird. Dies kennzeichnet aber keineswegs die Nichtung
an sich, und es wäre in hohem Grade fanatisch, den
chtab über diess zu brechen wegen der raffinirten
Virtuosität einiger Manieristen, die sich ja bekanntlich
in jedem fortschrittlichen Lager gern niederlassen.

kvas man auch sagen mag gegen das Abgerupfte,
scheinbar «Formlose» dieser Art zu konstruiren, man
muß zugeben, daß sie für die Meisten den geäußerten
Gedanken greifbarer, lebendiger, von packenderer
tvirkung erscheinen läßt. Durch die alte, langatmige
Lchreibweise mag der Ausdruck einer durchdachten,
in sich abgerundeten Zdee vollständiger zu erzielen
sein. Zndem sie bemüht ist, alles nur Sagbare auf
dem Gebiete des ausgesprochenen Gedankens zu er-

322
 
Annotationen