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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 18
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Pflanzenbinderei
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0287

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zu viele abschneidet. Wir oerlangen vom Äunsttischler
nicht, daß er das kholz dausrhafter machen solle, als
bfolz nun einmal isst aber wir verübeln es ihm, wenn
er zwecks reicherer Schnörkelei seinen Tisch so ver-
schneidet, daß er bald zusannnenknackt. Möglichste
Dauerhastigkeit fordern w!r auch vom Kunstgewerbe,
und einem Aunsthandwerker, der uns Sachen gellefert,
die dem Auge viel vormachen, dafnr aber bald zer-
brechen, nennen wir in doppeltein Ainne einen un-
soliden Lierin. Warum stcllen wir an den Kunst-
gärtner seltener die Anforderuna, daß seine ja ohne-
hin so vergängliche IDare nicht rvenigstens thunlichst
dauerhaft sei? Da bleibt nun gewiß: Pflanzen im
Blumentopf halten sich besser, als Blumen im Strauß.
5oll es aber ein Strauß sein: weshalb duldet man
das Aufdrahten, das doch das „Lseute rot, morgen
tot" so unnötig pünktlich bewahrheitet? Ganz abzu-
sehen also davon, daß es dem blünstlichen auf Aosten
des Aünstlerischen Vorschub leistet.

Zch glaube, das hängt auch init dem j)rotzen zu-
sammen, mit dem prahlenden tliuxus, den die Mode mit
den Blumen treibt. kVie hübsch verrät fich dieser
doch ferner in den Größenmaßen der Sträuße und
Aränze! Da giebt es Blumenbüschel, als sollts sich
nicht ein Menschenauge daran erfreuen, sondern eine
Kuh daran satt essen, da giebt es Lorbeerkränze, als
sollten sie einem dNimen nicht die Ltirne zieren, sondern
zum Springreifen beim kfausturnen dienen. Besonders

auf die Bühne bringt fa die bewundernde Zuschauer-
schaft oft alle Arten des Unsinns im Blumenluxus
zugleich. Zn einem deutschen Hoftheater erhielt kürz-
lich der Darsteller des Tristan ein riesengroßes Lserz
aus roten Blumen, durchspickt von einem Riesenpfeil
von weißen Blumen, die Sängerin der Isolde aber
bekam ein entsprechendes weißes Blumeii-Riesenherz
mit rotem j)feil. Größenunfug, Ltillosigkeit nnd
heilige Schönheit: welche! — Gefühlsverwirrung b.i-
sammen in dieser Spende, deren Geber sicherlich dem
Dichterkomponisten wie den Darstellern ganz über die
Ukaßen sinnig aufzuwarten glaubte.

Ls giebt Fälle, in denen sich der gewissenhafte
Uritiker den Tadel eher versagen darf, als das Lob.
Auf dem Grenzgebiete unseres Atoffbereichs, von dem
wir heut einmal sprechen, liegt die Sache umgekehrt,
denn wir dürfen überzeugt sein, daß unser Tadel die
Fachinänner, die er berührt, doch nicht im Geringsten
belästigt. Stände es anders, wir würden nach dem
Rlagelicd noch ein Loblied singen zum j)reise der
großen Fortschritte, die „tiotz alledem" die deutsche
Blunienbinderei in den letzten Zahrzehnten gemacht
hat. So jedoch war unsere Absicht: dafür, daß das
publikum beim Linkauf von Manzenbindereien sich
möglichst klar werde über das, was es vom Händler
verlange, da, wo es sich etwa nicht längst schon da-
rüber klar i st — unsern kleinen Beitrag pflichtgemäß
mitzusteuern.

Dicbtung.

Nu ndsckuu.

* zferdtiumd Nllimunds hundertster Geburts-
tag ist am t. Zuni in allen deutschen Landen mit
vieler Teilnahme besprochen worden. Nichts von
der nachsichtigen kferablassung mehr war dabei zu
spüren, mit der man, bis auf eine kleine Gemeinde,
wohl früher beim Lobe Raimunds zugab, daß dieser
„vorstadtdichter" immerhin eine poetische Ader be-
sessen habe, daß er sogar manchmal „im Aleinen
groß" gewesen sei, nichts von der wohltemperirten
Anerkennung, mit der man ihm seinen jDlatz als
österreichischen unter dcn „Lokaldichtern" zuwies.
Ganz langsam, aber nun so ziemlich überallhin, hat
sich das Bewußtsein geschlichen, daß Raimund doch
wohl ein vollwichtiger j)oet war und dabei einer von
allgemein deutscher Bedeutung.

Beine Ltellung in der Geschichte unsexes Schrifttums
wird zunächst durch die Resorm des lViener und damit
des deutschen Volksstückes bestimmt, die von ihm aus-
ging. Nicht etwa als bewußtes Streben, denn Rai-
mund schuf durchaus unbefangen; er wurde fa sogar
fast ohne daß er's wollte neben dem Schauspieler
ein Dichter. Der Trieb nach vertiefung, der sich ihm
selber als der kvahn darstellte, er sei zum Tragöden
geboren, er war es, der ihm die Romik, auf die seine
Stellung ihn hinwies, veredelte, und jene Bchwermut,
die tief m seinem kvesen wurzelte, sie verband sich
mit all der Lustigkeit und Narrheit, die er pflegen
mußte, und das schäne Aind war der künstlerische
Lsumor. Aein ganzes Leben. lang kämpfte Schmerz
und Frohsinn, Trauer und kvehmut in ihm, und innig
spiegelt sich all das in seinem Dichten, hier aber
auseinandergetreten in einzelne Gestaltungen, gesichtet

zur Alarheit und geordnet und freundlich abgeschlossen
voin Rünstler. Es war die Zeit der Romantik, da
er sein Dichten begann, die Zeit dcs „Freischützen"
und der „Zauberflöte", die Zeit der Gespensterge-
schichten kfoffmanns. Allegorische Gestalten spielten
um Raimunds phantasie. <Lr schuf nicht symbolisch,
indem er einen einzelnen Fall zum Typus vertieft
hätte, er schuf allegorisch, aber echtes Dichtertum
hauchte seine Allegorien an und machte sie zu Geistern,
und der ksumor machte die Geister zu Rlenschen, und
Raimunds Volkstum die Rlenschen zu guten lvienern.

Ls war eine Runst in geliehenem Gewand, aber
es war doch eine bodenwüchsige, aus gesunden
kvurzeln von unten herauf genährte Runst, und es
war auch eine hohe Runst. Niemals, weder vor
oder auch nach Raimund, hat das Ldle und Schöne
seines Volksstammes in gleich vollendeter und gleich
ureigener lveise heitere dichterische Gestaltung ge-
wonnen.

Nestroy, dessen aufgehender Stcrn Raimund mit
einem Lchmerz erfüllte, den weder seine Gemütsanlage
noch Nebenbuhlerschaft allein erklärt, Nestroy löste
Raimund ab. Spott, kvitz, auch wohl Zymsmus trat
an die chtelle des gemütvollen Lsnmors, man darf
ohne gar zu viel Uebertreibung sagen: Lchnaps,
meinetwegen guter Schnaps, trat an die Stelle des weins.
Nein, das ist zu viel gesagt: Nestroys chtern stellte
sich nur neben den Raimunds, verdrängen konnte er
ihn nicht. Aber er überstrahlte ihn eine Zeit lang.
Doch wie Zahrzehnt auf Zahrzehnt verging, ward
er blasser und blasser, und jetzt sehen wir Alle, wessen
Licht das stärkere ist.

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