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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 17
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Steinberg, Leo; Koopmann, W.: Sprechsaal: in Sachen: das Vorlesen von Dichtungen
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Heilbut, Emil: Sprechsaal: zum letzten Mal in Sachen: künstlerische Persönlichkeit,
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0278

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L,

die Gestalten statt seiner sprechen, bei anderen Dichtungs-
formen, bei der Ballade z. B., bleibt er selber da,
sein eigener Blund ist der kündende. Daraus ergeben
sich verschiedene Anforderungen an den vortrag.
Lebendig sreilich - ja, das soll er auf jeden Fall
sein. chteigt einem Goethe die Vorstellung von jener
Bajadere auf, doren Geschrei die Luft durchdringt,
so werden die tVorte. die jene vorstellung auslöst,
sicherlich bewegt in aufgeregter Teilnahine am Vor-
gange sein, und so hat sie der Vorleser wiederzugeben
- - aber sie werden deshalb noch lange nicht selber
als ein Geschrei erscheinen. Giebt dis Ballade Morte
als nnmittelbar von den Gestalten der Dichtung ge-
sprochen — „Meinen Gatten will ich wieder! Und
ich such ihn in der Gruft", oder in „Des chängers
Fluch": „s)hr habt mein Volk verführet, verlockt ihr
nun msin kveib?" — gewiß, dann hat auch der
Vorleser so dramatisch wie möglich vorzutragen. 2lber
nicht etwa „dramatisch" im Sinne jener virtuosen,
nicht etwa theatralisch, bühnenmäßig. Denn es bleibt
ein Anderes, die Bajadere oder den Rönig selber zu
hören sdie Illusion, wir hörten sie wirklich, soll uns
doch die Bühne bieten) oder Goethe oder Uhlaud, die,
hingerissen von der Gewalt des inneren Lindrucks,
zwischen ihren eigenen erregt die kVorte wiederholen,
die sie Bajadere oder Uänig im Geiste sprechen hören.
Lin vorleser z. B., der die kvorte der Bajadere nicht
nur mik jener Andeutung des weiblichen Grgans
wiedergiebt, die wohl auch der sprechende Mann un-
willkürlich in seine Stimme legt, wenn er in lebhafter
Lrinnerung die Rsde einer Frau wiederholt, sondern der
das weibliche Grgan wirklich mit der Absicht der
Täuschung nachahmt: unzweifelhaft, er irrt. Lbenso,
wie die Vorleserin, die den Uönig in „Des chängers
Fluch" unter Nachahmung des männlichen Grgans
vorführt. Sie haben uns eben nicht das Theater
zu ersetzen, nicht die Darstellung eines chchauspiels,
nicht die Gestalten eines Dichters, sondern den
Dichter selber, der deshalb, weil er die lvorte
eines Andern anführt, doch noch mit eignem
Ulnnde spricht. Gder aber es tritt jenes Zerreißen
und Zerstückeln eines Ganzen, es treten jene lächer-
lichen oder widerlichen Lrscheinungen ein, von denen
ich neben mancherlei Anderem in meinem Aufsatze
sprach.

Zum letzten Ulal in Sachen:

Uünstlerische s)ersönlichkeit.

Zum letzten Ulal antworte ich, so sehr mich das
Thema auch interessirt.

kserr Aoopmann sagt, ich hielte für angezeigt, von
der eigentlichen Frage abzulenken — und geht seiner-
seits zu einer anderen über, zum Rauchschen Denkmal.
Zch hüte mich, des Näheren von diesem Denkmal zu
sprechen, es handelte sich nicht darum, Nauch durch
die Umstände seines Zeitalters zu entschuldigen, sondern
es handelte sich ausschließlich um die ästhetische lvirkung,
die sein lverk aus uns macht, und diese ist bei inir
eine mittelmäßige.

lvenn ich „die plastik heutigen Tages nicht mehr
für eine Uunst ersten Ranges halte", so liegt die
Schuld nicht daran, daß der Runstsinn nicht genügend
gepflegt würde. Dem Runstsinn kann man so viel
Ästhetik als man will vorsetzen: er wird nichts her-



vorbringen. Auch ist es schade, daß die deutschen
Bildhauer so wenig beschäftigt werden, aber man
könnte ihnen sehr viel Beschäftigung geben, und die
Zeil für ihre Runst könnte doch vorüber sein. Die
Zeit kann nicht für die Lrzeugnisse einer hohen Runst
erst wieder erzogen werden, daß dann „durch ver-
ständnisvolles Urteil", höhere Leistungen beim Uünstler
kommen — es ist unwahrscheinlich, daß durch ver-
ständnisvolles Urteil die produktion sich so fördern
ließe. Man hat es wenigstens noch nicht erlebt. Das
Runstgewerbe läßt sich vielleicht so sördern, nicht die
Uunst. kvas die prächtigen portraitbüsten angeht, im
Berliner Riuseum, so lobt kserr Uoopmann sie, als
ob er sie gegen meinen Tadel zu schützen hätte —
sie sind keine Denkmäler! Von Denkmalsplastik ist
die Rede! Da giebt's nichts Rembrandtisches. (Bei
einer Büste, habe ich selbst gesagt, wär's möglich;
t.2. Ltück des „Runstwarts"). kvenn ich von bleicher,
allgemeiner plastik aber sprach, so geschah es nicht, um
aus die plastiker desXVI. Zahrhunderts, welche das Ber-
liner Rlnseum besitzt, sondern um auf die modernen
zu kommen, welche uns Denkmäler machen. Auf den
Schöpfer des Niederwalddenkmals z. B., wenn ^err
Roopmann durchaus Namen höreu will. Ulir ist
diese Art j)lastik langweilig, wenn ich mich als Amateur
betrachte; als Staatsbürger, von der Notwendigkeit
eines großen Denkmals überzeugt, bin ich für; Nieder-
walddenkmal ganz gern.

Die Beweissührungen des Herrn Roopmann kann
man aber auf diese Folgerungen zurückführen: das
Denkmal Raiser Wilhelms ist sehr notwendig: folglich
ist es eine sehr künstlerische Aufgabe. Diese Beweis-
führung ist nicht zwingend. Zch sage: es ist not-
wendig und muß ausgeführt werden, es muß würdig
werden — aber schweigen wir von Rembrandt dabei,
schweigen wir von höchster Runstbedeutung dabei,
schweigen wir von künstlerischer Aufgabe höchsten
Ranges. Der patriotismus ist ein herrliches Gefühl;
aber der Respekt vor den Rleistern ist auch eine seier-
liche Angelegenheit, und wenn ich an die Rlediokrität
denke, oder an den Theaterpomp, von denen eines
immer, aus tauseud Ursachen notwendig, das Begleit-
moment eines jeden öffentlichen Denkmals von größerer
Dimension abgiebt — so erscheint mir die plastik des
Denkmals als eine sehr beeiuträchtigte Uunst, und ohne
Deckung dünkt mir dann der Ausdruck zu sein: für
das Uaiser wilhelmdenkmal werde ein Rünstler ver-
langt, der, erfüllt von antikem Geist, wie von Rem-
brandtscher Lharaktertiefe, die stille Größe griechischer
Denkmäler und die Lebenssülle Rembrandtscher Bild-
nisse in einer dem lebenden Geschlecht verständlichen
Form darzustellen vermag. Dieser Forderung hat
Herr Uooxmann Ansdruck gegeben, uud ich kann nicht
umhin, zu sagen, daß ein solches verlangen eine
Rlosaik von IVünschen darstellt, welche unrealisirbar
sind. Bei dem Gefecht um Rkichel Angelo danke ich
k^errn Rooxmann für die interessanten Rlitteilungen
über das Datum der Ligurennamen, sowie über den
Bildhauer, welcher zwei Steinfiguren an eiuem Zustiz-
palast angebracht hat. Auch ich bin der Rleinung,
daß Rlichel Angelo sich keinen Rat würde haben geben
lassen. Auch habe ich, da ich überhaupt dsr Rkeinung
lebe, daß Rünstlern nicht geraten werden kann, ge-
rade deshalb kserrn Roopmann angegriffen, welcher

— ess —
 
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