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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 10
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Dresdner, Albert: Die Wandlung des dramatischen Geschmacks
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0157

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üöer alle Eeöiele^eS<Mc6önen.

w. Stück.

Lrscbcint

Dcrmisgeber:

zferdtnsnd Nvenartus.

Kcsrcllprcis:

vi-rt°ljällr,ich 2 l-2 Mcrk. Z.

Anzeigen: 3 gesp. Nonp.-Zeile ssf. i -

Me MÄndlung des drnnmtiseken Sesebnmeks.

das Lessingtheater in Berlin jünast Her-
mann Sudermanns Schauspiel „Die Lhre"
mit lebhaftem Erfolge aufführte, wurde es
von allen cheiten betont, daß man die Be-
kanntschaft eines neuen dramatischen Talentes gemacht
habe. <Lin anderer Gesichtspunkt jedoch, unter dem
die ungemein günstige Aufnahme des Stückes geradezu
als ein Lreignis von nicht gewöhnlicher Bedeutung
erscheint, wurde meines wissens kaum geltend gemacht.
Zch meine die Thatsache, daß dieser Lrfolg als ein
Anzeichen eines sehr bemerkenswerten Umschwunges
des dramatischen Geschmacks zunächst beim Berliner
publikum, und, insofern man von ihm aus weiter zu
schließen berechtigt ist, des dramatischen Geschmackes
überhaupt anzusehen war.

was ist geschehen? Lin Bühnenwerk, welches
ein ernstes, dramatisches jDroblem mit ernsten Mitteln
behandelt, hat einen so starken wiederhall beim pu>
blikum hervorzurufen vermockit, daß das Lrgebnis
(um es nur gleich in der nüchternen Sprache unserer
Zeit auszudrücken) ein glänzender Rassenerfolg sein
dürfte. Aein schönes Modell, keine raffinirte Aus<
stattung, kein virtuosenstückchen führte die Zuschauer
vor die Bühne; an ihr kserz und ihr Gefühl erging
wieder einmal der Aufruf, und willig haben sie ihm
geantwortet.

Freilich, das Deutsche Theater hat schon vorher
probleme aufgenommen, welche dem des Sudermann-
schen Stückes ähnlich sahen. Aber die Aehnlichkeit
ist nur eine äußerliche. Der Gedanke z. B., welcher
Blumenthals „Lin Tropfen Gift" zu Grunde liegt, war
allerdings dramatischer Ausgestaltung fähig. Aber der
Schriftsteller hatte ihn so flach behandelt, daß er
schließlich auf einen ganz gewöhnlichen Gemeinplatz,
auf eine Variation des alten oalumuiurs Luckuetsr,
ssmper ulicjuick baeret hinauslief. Und wie stand es

um die angewandten Mittel? Der ersten dramatischen
Forderung, der einer streng aufgebauten Liandlung,
ward durch die höchst lockere Nebeneinanderstellung
mehrerer kfandlungen ins Gesicht geschlagen, und da-
durch wurde zugleich die unerläßliche Linheit der
künstlerischen Spannung in eine kleinliche auf allerhand
Dinge gerichtete Neugier verzettelt. Auch war dem
humoristischen und komischen Llemente eine so große
Ausdehnung eingeräumt, daß die beim ksörer erreichte
lVirkung schließlich ganz vorwiegend die des „Amüse-
ments" blieb.

Das war nun alles bei dem Sudermannschen
Stücke ganz anders. Ich kann allerdings der außer-
ordentlich günstigen Beurteilung, die ihm von Seiten
der Kritik im Allgemeinen zu Teil wurde, entfernt nicht
zustimmen; aber von Vorwürfen, wie die eben be-
rührten, ist es zweifelsohne freizusprechen. Das pro-
blem ist in der That gewichtig und gesellschaftlich
tiefeingreifend, die kfandlungsführung ist durchaus ein-
heitlich gedacht, der Ton ernsthaft. Rurz: die Ab-
sicht ist offenbar nicht, zu „amüsiren",sondern künstlerisch
zu wirken; und daß dies in so hohem Nlaße gelang,
das eben erscheint mir als bedeutend und neu.

Verstehe man mich recht! Neu nicht in dem
Sinne, daß eine vorher nicht vorhandene Thatsache
zum ersten Male in die lVelt träte, sondern nup in-
sofern eine allmählich erwachsene Lrscheinung hier
ein besonders starkes und bei näherer Betrachtung
nicht mißzuverstehendes Lebenszeichen von sich giebt.
<Ls verlohnt sich, wie ich glaube, diese Lrscheinung
aus ihre Ursachen und ihre früheren Spuren hin ein
wenig zurückzuverfolgen.

Als Berlin in einer schwindelerregend schnellen
Lntwickelung über Nacht lVeltstadt wurde, fand es
sich in diesem neuen Staatskleide recht wenig bequem:
Ungewohntes drängte von allen Seiten massenhaft

Der Nachdruck von lüngeren wie kürzeren Beiträgen des „Kunstwarts" ist vom verlage nur unter deutlicher tvuellenangabs gestattet.

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