genau, noch so gewandt, noch so wohlgefällig fürs
Auge ausführt, die uns durch ihre Leistungen aber
keine Meuschenseele darzustellen vermag. chie sind
sreilich schlimm daran, die armen Tänzerinnen. Denn
es fehlen ihnen und uns die B alletkomponisten,
die künstlerisch was leisteten — nein, die künstlerisch
was leisten wollten. Ls geuügt ihnen ja voll-
kommen, jene geschilderte billige Art der Gefälligkeit
zu erreichen.
Rommt aber Liner, der's besser versteht: die
Talente zur Ausführung seiner j)!äne werden ihm
entgegenwachsen, wie sie der Mann mit dem Mikado
für ein kleines englisches Theater zweitsu oder
dritten Ranges fand. Deun die Fähigkeit, durch Miene
und Bewegung das Empfinden gut auszudrücken, ist
zum mindesten ebenso verbreitet, wie die Fähigkeit
zum Gesang. Ich will von den Italienerinnen bei
der Tarantella schweigen. Seit wann wären die
Lngländerinnen ein zum Tauz besonders befähigtes
Geschlecht? kVer die Baueru in Ungarn, Gber-
Bayern usw. bei ihren Volkstänzen beobachtet hat,
der weiß, wie häufig auch dort die Begabung zu
charakteristischem Ausdruck bei den Volkstänzen her-
vortritt. Ls wird anderswo auch nicht viel schlimmer
sein. Die ksauptforderung ist: lernt den Tanz ver-
stehen als das, was er ist, als Ausdru cksbeweg -
ung des Lmpfindens, und er wird künstlerisch
besser werdsn, wo immer ihr das thut. Denn Natur
ist leichter, als Rünstelei
Ich komme wieder auf den Anfang zurück. „Naum,
ihr kserrn, dem Flügelschlag einer freien cheele" —
selber im Ballsaal. chucht es zu erreichen, daß statt
des ewigen Linerleis heruntergewalzter j)as wieder
ein wenig sZnhalt auf deu Tanzbeinen herumlaufe.
jdraktischer Vorschlag: lehrt und lernt Volkstänze,
„Lontretänze" usw., und nicht so schr mit dem Be-
mühen, alles in Bchemata und Regeln zu zwängen,
als mit dem, den Leuten begreiflich zu machen, worauf
es ankommt, auf lebendigeu Ausdruck. Ls wird
lauge dauern, bis uusre Gesellschaft einsieht, wie un-
freiwillig erheiternd ihr hserumgedreh eigentlich aus-
sieht, es schadet auch nicht viel, wenn ss lange dauert,
denn um ein großes Unglück handelt sich's ja nicht,
und gescheite Leute haben immer gern was zum Aus-
lachen, braucht es kein bitteres Lachen zu sein. Thäten
sich aber immer häufiger ein paar Mädchen und junge
Männer, die Zeit dazu haben, zusammen, um nach
der uralten und für uns jetzt doch wieder neuen
lVeise des Tanzes, von der wir sxrachen, rhythmischer
und mimischer Beweguug unter verständiger Leitung
zu xslegen, sähen sie dann, wie viel mehr sie der
Linfachheit dieser Runst entsprechend hier zu Btande
brächten, als auf dem Liebhabertheater, wo es so
vielmehr zusammengssetzte Dinge darzustellen gilt, - - es
würde sich sehr bald eine kleine Aristokratie unter den
Tanzenden bilden, und im Betrachten dieser Aristokratie
würde den andern Tanzfußschwingern allmählich
wieder eiue Ahnung davon aufgehen, was eigentlich
Tanz für ein Ding ist. Aämen dann wisder Lr-
scheinungen, wie der „Mikado", ins Land, so fänden
sie nicht nur Gefallen, sondern auch Verständnis: der
Boden zurkserausbildung auch einer höheren mimischen
Runst wäre gegeben. Die Mimik hat mit dem Mangel
einer genügendeu Aufbewahrungsart ihrer Schöpfungen
zu kämpfen; man hat ihren niedrigen Ltand darauf
zurückgeführt, daß sie keine ausreichende Tanzschrift
habe, entsxrechend der Notenschrift der Musik. Das
hat neben dem Nachteil auch einen vorteil: es kann
das vergesseu des ganzeu Arams unseres heutigeu
Ballets künftigen Geschlechtern erleichtern, ist nur erst
einmal die Lrkenntnis allgemeiu bei deu Maßgeben-
den geworden einerseits, wie jämmerlich es jetzt um
unsere Tanzkunst steht, andererseits, wie vieler freund-
licher künstlerischer Genüsse wir uns durch das Brach-
liegeulassen dieses „Neiches des Schönen" ganz ohne
alle Not begeben.
Mcbtung. IlNindscliau.
* Ludwig Rnzengrnber, den am Alorgen des
to. Dezembers ein unerwarteter Tod dem Lchaffen
entriß, stammte wie die beiden größten zeitgenössischen
Dichter Gesterreichs neben ihm, wie Lsamerling uud
Nosegger, aus einer Bauernhütte. Broderwerbs wegen
am Abschluß der Schulbildung verhindert werden,
dann Buchhandlungsgehilfe, fahrender Aomödiant,
festsitzender Amtsstubenschreiber sein — und dabei
zum geseierten Bühnendichter reifen, der Bahnen
einschlägt, die auch für den regelrecht gebildeten
Dichtungskundigen ganz und garnicht offen vor den
Augen liegen — es will etwas heißen!
Auch bei der allergrößten Begabung hätte solches
nicht ohne alle Linbuße geschehen können; ein „Genie
ersten Nanges" war Anzengruber nicht, und so machte
sich in Manchem die Folge seiner jungen Zahre in
den lverken fühlbar. Vielleicht in der Neigung zu
allzu theatralischem Aufbau eiuzelner Lzenen: das
frühere Bchausxielertum, — vielleicht bei mancher im
üblen Binne tendenziösen Zeichuung der Tharaktere
solcher Leuts, die ein bekämxftes prinzix vertreteu: eine
gewisse Unfreiheit nicht ganz harmonischer Bilduug.
Abanches erscheint in Anzengrubers Schöpfuugen, als
wär' es nicht vou der k^ähe erschaut, die der voll-
kommen „abgerundete" große Meusch einnimmt,
während doch so vieles andere zu beweisen scheint,
daß wirklich großes Menschentum diesen Dichter beseelte.
lvir wollen nicht, und am wenigsten angesichts
des Todes, splitterrichten, wo zu bewundern und,
was besser ist, zu lieben bleibt. Es waren keine !
neuen, keine erst werdenden Zdeale, an deren Ausbau
und verfeinerung Anzengruber mitarbeitete, es waren
bereits gereifte, in vielen Nreisen so lebendig wie
von ihm selber empfundene, es waren in Linzelnem
(nianche wollen das ja vom „Nulturkamxf" behaupten)
sogar nun schon wieder welkende Zdeale, für die er
gleichsam als Popularisirer seine Gestaltungskraft
walten ließ - aber wie gesuud, wie golden echt
war diese Gestaltungskrast! Und den Nünstler
führte sie auch auf neue Bahnen: wir wiederholen
es, denn nicht dürfcn wir vergessen, daß das Bauern-
und Gebirglerstück vor Anzengrubers Auftreten bis
auf verschwindend wenige Ausnahmeu nicht viel mehr
war, denn ein Nührdrama oder ein modernisirtes
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