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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 7
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H. O.: Malerei und Dichtung
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Rundschau
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Natur und Geschichte suchen, die sie ja immer auch
mit einem fabelhaften Aufputz aus der Sagenwelt
und Götterwelt schmücken dürfen, so möchte allerdings
umsomehr zeitgenössischen Malern zu empfehlen sein,
in ihren Leierstunden Dichter zu lesen und zu ge-
nießen, nicht um sie zu „illustriren", sondern um
eines besseren geistigen Lsaushaltes, einer besseren <Lr-
nährung des schaffenden bfirns willen. Die geistige
Stumpfheit, welche Nichts kennt, als Malen, Skat-

spielen und alte Lchränke und Lumpen aufkaufen,
diese dürfte allerdings nicht mit jenem freischöpferi-
i schen Uunstgeiste zu verwechseln sein, der unabhängig
< von der Dichtung zwar die Natur in Uunst erhöht,
aber um dieser Lrhöhung fähig zu sein, auch das
bfirnschmalz nicht vertrocknen lassen darf. chinnreicher
Genuß der Dichtung aber dürfte dafür weit heilsamer
sein, als die Verfeuchtung dss Gehirns, welche im
Maßkrug verborgen ist. D. Ls-

Dicktuna. NUNdS 6 s) NU.

* ttbeodor Fontane. rver an Fontanes
siebzigstem Geburtstage, dem so. Dezember, aus der
Schriftstellergilde vor ihn trat, der hub an und sprach
davon, wie jung der Iubilar geblieben. Ieder
that's — die Sache ist sicherlich dem Gefeierten lang-
weilig geworden, so oft wiederholte sie sich. Aber
es ließ sich nichts ändern: jeder mußte in tvahrheit
davon sxrechen, denn wenn die Ligenschaft des geistigen
Iungbleibens bei irgend wem den ganzen Gharakter der
persönlichkeit mit bestimmt hat, so that sie das bei Fontane.
Line Lharakteristik, die zu seinem sechzigsten Geburts-
tage geschrieben worden wäre, hätte einen andern
Menschen zeichnen müfsen, als eine jetzt geschriebene
zeichnen darf — nicht aber einen stärker, sondern einen
schwächer lebenden. Ganz neue Seiten Fontanescher
Geistesthätigkeit enthüllten sich uns während des letzten
Zahrzehnts. Sein kräftigstes dichterisches prosawerk
war sein jüngstes. j)st der Mann nicht jung, der
noch fortwährend wächst?

Fontane hat als Dichter keine vorzüglichkeit, die
nicht diesem oder jenem Mitlebenden in noch höhercm
Maße zugesprochen werden müßte, als ihm: dennoch
steht er unter den deutschen Dichtern in der von so
lvenigen besetzten allerersten Neihe. lveshalb? lveil
zwei Ligenschaften in ihm nebeneinander und eben-
mäßig entwickelt sind, von denen zumeist im Schriftsteller
die eine die andern so überwiegt, daß sie allein seine
Leistungen vorzugsweiss bestimmt. Ich rede von
Vhantasie und Beobachtungsgabe, oder, wenn man
das lvort dafür setzen will: Wirklichkeitssinn. „Das
innere und das äußere Sehen" und die Forderungen,
die sie an den Geist stellen, liegen im Dichter Fontane
gleich schän entwickelt neben einandsr.

von wie kräftigeni Neize das Leben der phanta-
sie für Fontane stets war, davon werden schon die
ksandschristendeuter angesichts seiner Federzüge reden
kännen. Nichts aber ist so bezeichnend für diese That-
sache, als eine jetzt wenig beachtete Neigung Fontanes
für selbst rein phantastisches, für Mystisches, ja für
Spukhaftes als 5toff seiner Nunst — nicht allein in
seinen Balladen finden wir Zeugnisse dasür, sondern
auch in seinen Lrzählungen, sogar ganz überraschende,
zwischen voll „Nealistischem". Auch des Dichters
Vorliebe für allerlei „Uuriäses" dars hier erwähnt
werden, für Absonderliches, für das „Schnörkelwerk"
an den Gebäuden des Lebens wie der poesie.

Daneben also ein ausgesprochener bvirklichkeits-
sinn. Der Mann mußte selber und mußte gut ge-
sehen und beobachtet haben, dem es angesichts des
schottischen ksochlandes beim Gedenken an die hei-
mische Mark ausging: diese sei des Schilderers, ja

des chängers so wert, wie jenes. Nur einmal vom
Ausland (und auch da vom stammverwandten, eben
vom schottischen) iu ausgiebiger kveise fürs eigene
Schaffen befruchtet, bleibt Fontane sortan mit beiden
Füßen aus dem, was für ihn das Gegenwärtige,
bvirkliche ist, auf dem Boden der bjeimat. Lin „Vater-
land" haben wir Alle, ein „vaterland" im Sinne
einer Zdee, die uns begeistert, eine „Heimat" haben
nicht viele unter uns, eine „bseimat", d. h. in diesem
Sinn eine Fülle von Anschauungen von allerlei Liebem,
mit denen wir, von Nindheit auf innig verwachsen, ver-
wachsen bleiben auch als Männer. Fontane hat in
diesem Sinn eine bseimat. Freilich, für ihn erweitert
sie sich auch zum Vaterland — viel weniger die ab-
strakten Zdesn der deutschen Nlacht, Größe, Einheit
schweben ihm vor, denkt er an's Vaterland, als die
Bilder dieses märkischen Sandes mit seiuen Uiesern
und Lupinen, dieser wälder, Seen, kjerrenhäuser, dieser
Zungen und Mädel, die alle dem entwuchsen. Durch
unermüdliches Beobachten, Nachforschen, Insichauf.
nehmen bereichert er jsne Anschaunngen sortwährend,
„schafft er sich mehr und mehr kjeimat" — man
dars schon so sagen. Nicht im Neiche der Lüfte,
sondern in der allernächsten, allerfestesten lvirklichkeit.

Fontanes dichterische Lntwicklung ist zu dem Teile
wenigstens, welcher die Nomandichtung angeht, höchst
merkmürdig. Lr hatte bald sein sechzigstes Lebensjahr
erreicht, als er „sein Lserz entdeckte", als er seinen
ersten Noman schrieb und herausgab. „Vor dem
Lturm", mit breiter Schilderung des Gährens im
märkischen Leben während der Ljerrschaft des ersten
Napoleons, erinnert noch an den Noman der alteu
Schuls mit seinem lvechsel von chpannungen im Nahmen
der Lsandlung mit gesprächigen Auseinandersetzungen
außerhalb derselben, mit seinen Lharakterbeschreibungen,
statt Lharakterzeichnungen, — wenn un^ hähers
Rörxerlichkeit des Ganzen auch davor warnt, den
Versasser neben die wenn auch besten aus jener ältern
Romanschreiberschule in Gedanken zu stellen. Nun
folgten die kleinen, sorgsam gerundetsn, fein ausge-
stalteten Lrzählungskunstwerke „GrsteMinde", „Lllern-
klipx" — Gebilde jener Art der Novellendichtung,
in der Theodor chtorm der Nieister war, chtorm, an
den sie auch in ihrer ganzen Stimmung so stark er-
innern. Über „chchach von kvuthenow" dars ich
nicht sxrechen; ich kenne das Buch nicht. „Unterm Birn-
baum", noch ein wenig „Uriminalgeschichte" dem
Stoff, xsychologische chtudie der Behandlung nach,
sxricht deutlich von der Nichtung, in der Fontane sich
weiterentwickslt, „LÄdultera" zeigt ihn als fertigen
„modernen Realisten", der aus dem Berlin der Gegen-
 
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