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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 8
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Spitteler, Carl: Dichter und Pharisäer
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0125

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Z.Ltück.

Lrsckeint

Derriusgcber:

Ferdinand Nvennrtus.

Kesrellpreis:
vierteljäbrlich 2i/z Mark.
Auzeigen: 3 gesp. Nonp.-Zeile HO j?f.

3. Zadrg.

DLckter und Dbarisäer.

!)an mag es drehen, behandeln und benennen
Swis man will, es kommt doch schließlich
s^auch in der Aunst und poesie auf den
^^^chGlauben oder Unglauben an. Glauben be-
deutet auf diesein Gebiete die Überzeugung von einem
ewig gegenwärtigen und werkkräftigen Geiste des
Schönen; Unglauben die Meinung, jener Geist mar-
schire getrennt von der jeweiligen Gsgenwart, um in
der Lntfernung von mindestens Linem Menschenalter
zu bivuakiren. Und beiderlei Überzeugung stützt sich
auf die Erfahrung. Den Linen erfüllt es; wie sollte
er's nicht spüren? Zn dem Andern gähnt eine blasse
graue Gede; da muß er wohl die Gegenwart für
eine Iurakalkperiode ansehen.

Gläubige im höchsten Grade sind natürlich die-
jenigen, deren ganze Thätigkeit den Glauben als Trieb-
kraft voraussetzt: die schöpferischen Uienschen, die Ur-
künstler, die Meister. U)o ein Uleister wohnt, da
glänzt die ljoffnung, da winkt die Aufmunterung.
Auf das bloße Gerücht seines Vorhandenseins erheben
die Uiutigen den Aopf; bis in die fernsten lVinkel
der Uiitwelt zündet sein Beispiel; sein Name wirkt auf
den «Ldeln und Starken als kferausforderung; sein
Ruhm versiegelt den Lügen vom Ukinderwerte der
Gegenwart das Uiaul. Naht man vollends einem
Uleister persönlich, so badet man in einem Iungbrunnen.
während in allen Gassen die Alageweiber das Siech-
tum des Talentes bejammern, während jeder Aatheder
den Thorschluß der poesie verkündet, jede Dorfzeitung
den Bann über den weinberg verhängt und jede
Glocke Vesper läutet, zeigt er auf die Sonne ksomers,
deutet er nach ebenbürtigen Adlern am hjorizont, redet
er von der Unerschöpflichkeit des Schönen, von der
Aürze des Lebens, von dem wenigen, was schon ge-
sammelt, von dem Unabsehbaren, was noch zu ernten
übrig bleibt. Unaufhörlich krächzt die Zahrmarkts-

polizei an den Areuzwegen sich heiser: „Zurück! Die
^ände weg! Zhr kommt zu spät! Ls bleibt nichts
mehr übrig!" Freundlich grüßt der Meister von seiner
gastlichen Pforte: „Alles bisher Geleistete ist nur ein
Anfang."

Doch nicht allein zur Lrzeugung des Achönen,
sondern ebenfalls zur Annahme desselben bedarf es
des Glaubcns, wohlverstanden zur unmittelbaren An-
nahme, zur bvertschätzung vor der Legende; denn nach
der Legende können's die bvichte. Auch nach dieser
Nichtung stehen die Rünstler wiederum weit den Übrigen
voran, denn sie sind nicht blos Schäpfer und Znstrument
zusammen, sondern zugleich Resonanzboden. Alles
Schöne findet bei ihnen ein volltänendes, durch kein
grämliches Mßtrauen, durch keine mäkelnden vorbe-
halte gedämpftes Lcho. Lin besonderes Seelenorgan
befähigt den Meister, im Sande der trostlosesten Sünd-
fluten die Goldkörner zu erkennen, und aus den ver-
heerendsten Bücherschwärmen das Ursprüngliche und
das Bedeutende zu unterscheiden, —- ich meine jenes
verwandtschaftsgefühl, welches sich nnangefragt meldet,
sobald etwas Großes in den Gesichtskreis tritt. Außer-
halb der Aünstlergemeinde gebraucht das Urteil selbst
des gescheitesten Mannes Arücken: Vergleichungen mit
vorbildern, Grundsätze, Aussprüche früherer Nkeister
und Zlhnliches; schätzenswerte Rrücken, immerhin
Rrücken; die überdies den Übelstand haben, gerade
dann nichts zu nützen, wenn man ihrer am dringendsten
bedarf, nämlich dann, wenn das Mriginelle nicht den
vorhandenen Nkustern gleicht, wenn das Große nicht
den Rleinen behagt, wenn das Neue kein durch das
Alter geheiligtes Ansehen mitbringt. Das Urteil der
Rünstler ist ferner zugleich ein liebevolles, auf jede
wertvolle Ligenart sreundlich eingehendes; kein dank-
bareres publikum für den Begabten, als große Männer;
je größer, desto besser. Auf Grund dieser Ligenschaften

L

Der Nachdruck von längeren wie kürzeren Beiträgen des „Aunslwarts" ist vom verlage nur unter deutlicher Vuellenangabe -estattet.


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