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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 4
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Rundschau
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Alberti, Conrad: Sprechsaal: in Sachen: "Goethe und noch immer kein Ende"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0070

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die eigentümliche Abgoschlossenheit und Besonderheit im Dr- !
ganismus des hamburgischen Staats- und Gesellschaftslebens
auffallen, und er wird, wenn er die Gesetze kennt, nach denen
fich eine originelle Produktion zu entfalten pflegt, in dem
selbstständigen, nach festen Gewohnheiten geregelten Loben der
wohlhabenden ksamburger Bevölkerung eine günstige vorbe-
dingung fllr die eigenartige Lntwickelung der einheimischen
produktion sehein Alle große Uunst ist der Ausdruck einer
originellen Personlichkeit, und jede lokale Blüto der dekora-
tiven Aünste hat von jo anf dem Untergrunde einer charakter-
vollen, zu einer Art von mächtigem Individunm zusammen-
geschlossenen Bevölkernng mit ganz bestimmten Bedürfnisson
bestanden. Alles in Allem genommen dürfte in unserer Zeit
ksamburg derjenige Mrt in Deutschland sein, dessen wohl-
habende Areise in ihren Lebensgewohnheiten dem bürgerlich
schaffenden modernen Aunstgewerbe die mannigfaltigstcn nnd
dankbarsten Ansgaben innerhalb des Familienhauses stellen kann.

würde sich nun diese Lrkenntnis in weiteren Areisen
Bahn brechen und würde der hamburgische Staat, der aus
öffentlichen Nkitteln ksunderto von Millionen zur Förderung

des ksandcls hergeben mnß, von dieser Linsicht aus mit großen
Mitteln an dio kjebung der einheimischen Produktion gehen,
so ließe sich mit Sicherheit eine ansehnliche Blüte der Lokal-
indnstrio voraussagen. Bisher begnügt stch dcr Staat in Ljam-
mit der Dotation dor Schulen und Ukuseen. Wie anders,
wenn er die dekorativen Aünste noch durch große Aufgaben
stützen lerntl Die Lhance wird ihm durch eine gnädige Fügung
des Geschickes gerade in diesem kritischen Akoment bei der
Ausstattung des Rathauscs geboten. Mrd diese Gelegenheit
richtig ausgenutzt, so können dio tsamburger von großem
Glück sagen, daß gerade in der Zeit, die ihrer am dringend-
sten bedars, eine Aufgabe crsten Ranges sich einstellt, denn
dies Rathaus dient nicht den gesammten städtischen verwal-
tungsbehörden, sür die ein Stadthans gebaut wird, sondern
lediglich als Sitz und Repräsentation der Regierung. Ls
müssen also an seine künstlerische, dekorativc und gewerbliche
Ausstattung die höchsten Ansxrüche erhoben werden, denn nach
überall sich wiederholenden Erfahrungen giebt das hervor-
ragendste Bauwerk einer Stadt auf lange Perioden hinaus
Richtschnur nnd vorbild."

Sachen: „Goethe und
Lnde "

ging bei uns die nachfolgende Zuschrift ein, zu deren
Abdruck rvir uns, da eine öffentliche Lrwiderung auf
die auch von uns angezeigte Schrift nicht erfolgt ist, für
verpflichtet halten. Dem auch uns unbekannten
anonymen verfasser der Abhandlung bleibt selbstoer-
ständlich das Necht der Antwort auf L. Albertis An-
griffe gewahrt. lVir selbst enthalten uns vorläufig
noch einer Meinungsäußerung. R.-L.

. . . Zn dieser Flugschrift heißt es, Goethe sei der
natürliche Führer zu dem Zdeal, zu der deutschen
jDoesie der Zukunft, und dieser Gedanke sei in der
kritischen Literatur der „Züngeren" zu denen ich
doch z. B. Bleibtreu und mich zählen darf — selten
anders als mit Spott angeführt worden. Ls folgen
dann noch einige offenbar auch auf die Züngeren
gemünzte bsiebe, in denen denselben vorgeworfen wird,
daß sie die Bedeutung Gocthes für die Aunst der
Zukunfl nicht richtig erkennen und sie leugnen. Ls
war so dargestellt, als verlangten die Züngeren, das
deutsche volk solle Goethe um ihretwillen aufgeben.
Zch bemerke, daß ich sonst grundsätzlich auf anonyme
Angriffe nicht antworte. Zch würde daher daher
jene Flugschrift unbeachtet gelassen haben. Da sie
aber in einem so vornehmen Blatte, wie dem „Aunst-
wart", ausgezogen wird, so muß ich notgedrungen
darauf erwidern und erklären, daß alle jene Aus-
führungen auf vollständigen Lntstellungen der That-
sachen beruhen.

Zn meiner Flugschrift „Der moderne Nealismus
und die Grenzen seiner Berechtigung" (Deutsche Zeit-
und Streitfragen, No. S2), welche ich wohl als kurzen
Abriß der äfthetischen Anschauungen der deutsch-rea-
llstischen Schule bezeichnen darf, heißt es wörtlich:
„Der Nealismus ist berechtigt, sofern er sein Ge-
bäude errichtet auf den beiden großen Lckfelsen der

germanischen Literatur, die Shakespeare und Goethe
heißen", und der Lsauptzweck der kleinen Schrift ist der,
nachzuweisen, daß der moderne Realismus, wie ihn
Lonrad, wildenbruch, Rretzer, Bleibtreu, ^eiberg,
Lonradi, löolz und meine Menigkeit vertreten, die
natürliche Lntwicklungsstufe der Goethe-Lhakesxeare-
schen Runstanschauung darstellt und ganz auf derselben
erbaut ist. Diesen selben Standpunkt habe ich in
allen meinen Schriften eingenommen, und in zahl-
reichen Artikeln der „National-Zeitung" habe ich
nachzuweisen gesucht, daß der moderne deutsche Nea-
lismus sich unabhängig von Zola, Zbsen usw. frei
uud selbstäudig aus L-Hakespeare, Goethe, Freytag und
Gutzkow heraus entwickelt hat.

Mein verehrter Aampfgenosse Bleibtreu hat ferner
zuerst von allen deutschen Schriftstellern
gewagt, gegen vischer öffsntlich aufzutrsten, und den
zweiten Teil des Faust gegen die Angriffe der Qostbs-
Luissimi in öchutz zu nehmen, indem er ausführte,
daß derselbe nicht nur kein k^erabsteigen Goethes von
seiner dichterischen Höhe bedeute, sondern im Gegen-
teil die Vollendung und die unsterbliche Alärung der
Goetheschen Aunst. Zn meinem eben erschienenen
Roman „Die Alten und die Zungen" lasse ich den
genialen Rünstler Franz Treumann in den schwersten
Aonflikten seines bferzens, in den schwierigsten Fragen
der Aunst, in seinen bittersten Zweifel sich Rat aus
Goethes Gedichten schäpfen nnd sich durch die Lr-
innerung an Goethes plersänlichkeit, als das Urbild
künstlerischer Gesuudheit, auf den rechten Weg zurück-
finden. Zn der „Gesellschaft", also dem anerkannten
Grgan der „Züngeren" veröffentlichte lVilhelm Bölsche
vor wenigen lVochen erst einen längeren Aufsatz, in
dem er die „lvahlverwandtschaften" als das Rluster
und ewige Urbild des modernen realistischen Romans
hinstellte und vou diesem Standpunkt analysirte.

Sie sehen daher, was es mit der Behauptung
des Anonymus auf sich hat, daß die „Züngeren" sich
gegen Goethe wandten, über ihn spotten, ihn für

Lprecksaal.

(IRntcr sncblicbcr vcrnntivortung dcr Dcrrcn Llnscndcr.)

noch immer kein

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