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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 2
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Bulthaupt, Heinrich: Was ist dramatisch?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0029

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über alle Weöiele°öeS<Mcbönen.

2.Ltück.

Lrscbelnt

Dcrausgeber:

zferdinand Avenartus.

Scstellprcis:

viertelMrlich 2t/s Mark. > Z.

Anzeigen: 3 gesp. Nonp.-Zeile ^O ssf. -—--—

Mlas Lst dramatiscl)?

n der sorgfältigen und wohlmeinenden Be-
sprechung eines neuen Schauspiels begegnete
jüngst die lvendung, es sei „drama-
tischer" als seine vorgänger, denn es sei
„knapper". Deutlich schimmerte aus dieser und man-
cher anderen Stelle der Gedanke, daß das Mesen
des Dramatischen sich desto heller offenbare, je rasche-
ren Schrittes und in desto kräftigeren Lntladungen
die bjandlung sich vor uns abspiele. Ich rief mir
den „wallenstein", die „LUaria Stuart" vor die Seele
und sagte mir, daß diese großen werke nichts weniger
als „knapp" und dennoch, wenn sie sich auch rhetorisch
breiter ergießen, als die Situation und die Lharaktere
es erfordern und gestatten, so gewiß dramatisch sind,
daß nur eine völlige Umwälzung aller bestehenden
dramaturgischen Ginsichten und Ahnungen sie dieses
Titels verlustig erklären könnte. Aleists „prinz von
Uomburg", Grillparzers „Saxpho" und „Des Meeres
und der Liebe wellen" treten ihnen zur 5eite, und je
weiter die Blicke schweifen, desto klarer wird es, daß
lasi keins der berühmten Dramen aller Dölker seinen
^luhm um der Rnaxpheit willen und der bsast, mit
der es zum Ziele drängt, sondern aus ganz anderen
^öründen erlangt hat: die Dichtungen des Sophokles
wie die chhakespeares, Latderons, Lessings und Schillers.
bsätte in jener Bemerkung nur eine verwerfung
üppigcr Schönrednerei liegen sollen, dann hätte sie
gewiß jhre gute Berechtigung, aber Angesichts der
Zalsireichen dramatischen Üleisterwerke, die der Aus-
>>-ung dez wortes, vor Allem aber der breiten
aew'm^"^ des psychologischen den ausgiebigsten Namn
^pielurt"' ^^^eint sie auch nur als eine verfeinerte
^ebnelli «llgemeinen Lorderung unserer Zeit: der
verlanaens^ Preis, der nervösen Lsast, des

x starken Reizen, heftigen Gemütser.

icgung , er -usi Gewaltsamen und Sensationellen.

Alan ist es müde, vom Dichter mit leiser bsand in
die Lsandlung eingeführt zu werden, welche die Lha-
raktere durch ihr Mandeln und Aufeinanderwirken
erzeugen: man will wie der Prophet bsabakuk beim
Schopfe ergriffen werden, sogleich im ersten Akt, und
geht dieser vorüber, ohne daß sich der vorhang einige
Male gehoben hätte, dann weiß die Rritik davon zu
reden, er habe das publikum „kühl gelassen". Man
will eben nicht abwarten; die Glut soll mit dem
Beginn des Stücks sofort lichterloh über uns zusam-
menschlagen. Nun vergegenwärtige man sich einmal,
wie es solchen Forderungen gegenüber beisxielsweise
der „Lmilia Galotti" ergehen müßte, wenn sie heut-
zutage zum ersten Male unter uns erschiene. Als
wollte er starken Theatereffekten absichtlich ausweichen,
läßt der Dichter den ersten Akt durch eine Neben-
person beendigen und geräuschlos ausklingen; im
zweiten giebt er einer breiter angelegten und sich
machtvoll steigenden Szene ein ebsnso scheinloses An-
hängsel. Zu starken Lrregungen, zu lebhaftem Applaus
lockt weder der erste noch der andere Aktschluß, und
in den Augen jenes Nezensententums, das lediglich
nach dem äußeren Lrfolge urteilt, wäre das Stück
damit schon so gut wie verloren. Ls hat das pu-
blikum eben nicht interessirt, und der Dichter würde
sich nebenbei noch den vorwurf gefallen lassen müssen,
er sei (in diesem doch gewiß nichts weniger als rhe-
torischen Drama) nicht „knaxx" genug gewesen: der
prinz von Guastalla habe zum Beisxiel mit seinem
Lsofmaler einen langen Diskurs' über Fragen der
bildenden Aunst zu führen, der die Lntwicklung der
kfandlung nur aufhalte und nicht zur Sache gehöre,
und dergleichen mehr. Iknd die „Minna von Barn-
helm", die „Maria Stuart" — würde es ihnen besser
ergehen? Ze vollständiger sie exponiren, je tiefer
sie den Lharakteren auf den Grund zu dringen suchen,

Der vaü drurk von^üngeren wie kürzeren Beitrügen des „Uunstwarts" ist vom verlage nur unter deutiicher Puellenangabr gestattet.

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