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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 12
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Heilbut, Emil: Sprechsaal: in Sachen: "künstlerische Persönlichkeit"
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Aus der Bücherei
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0199

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Lprecbsaal.

CAnler sacvlicber Veranlvvortung der Derren Linsender.)

In Sachen: „ Ann stle risch e persönlichkeit

Soeben lsse ich w. Rooxmanns Aufsatz über
das zukünftige Aaiser-lVilhelm-Denkmal. Mir scheint
in einem puukte eiu IViderspruch gefordert zu sein.
Ls wird von dem Autor für dieses Denkmal ein
Uünstler verlangt, der, erfüllt von antikem Geist wie
von Rcmbrandtscher Lharaktertiefe, die stille Größe
griechischer Denkmäler und die Lebensfülle Rem-
brandtscher Bildnisse in einer dem lebenden Geschlecht
verständlichen Lorm darzustellen vermag.

Nun ist der ganze vorzug der Rembrandtschen
Ader in die Plastik übertragen undenkbar. Bescheideu-
heit bis zum Dürftigen, Seelenvolles bei verhärmten
Formen, das ist Nembrandts Stil, dadurch spricht er
uns Nordländern zu kferzen. Solche Dinge sind es,
die uns überhaupt die Malerei kfollands, die Malerei
unserer Aleinmeister, die Nkalerei Dürers wert machen.
IVelcher Bildhauer aber, müssen wir fragen, hat
solche Dinge auszudrücken gestrebt — hat solche Dinge
innerhalb seiner Aunst erstreben dürfen? lVenn
das Aaiser lVilhelm-Denkmal keine wahrhaft glückliche
Lösung erhält, so liegt es darin, daß Aaiser lvilhelm
keine für die Vlastik geeignete Grundlage bildet.
Lben seine Beschsidenheit, seiue Stille, künstlerisch zu
reden seine Intimität, lassen ihn als eiuen für die
Vlastik ausgezeichnet wirksamen Gegenstand nicht er-
scheinen. Nkan kann sich nicht vorstellen, wie ein
Bildhauer solchen Ligenschaften gerecht werden soll?
Ginen lNaler könuen wir uns als Nembrandt dieser
j)ersönlichkeit denken, und in der That, Lenbachs
Naiser - porträt im Leipziger Museum erfüllt jeden
lvunsch unseres Gerzens. Beklagt man sich über
Theaterpomp, so verlasse man die Idee eines großen
bildhauerischen Denkmals. Besteht man auf einem
großen Denkmal, so unterlasse man die Rlage über
den Theaterpomp, denn es giebt kein großes Denk-
mal, von dem wir nicht sagen müßten, es hat Theater-
pomp. Die Denkmäler der beiden Nkedicäer haben
Gestalten zu ihren Lüßen, welche schön sind, doch in-
sofern leer, als sie nüt den Gestalten der Lürsten in
keinem anderen als künstlerischen Zusammenhange

stehen. kvürde Nkichel Angelo unseren Tagen auge-
hören; würde man denken, er hätte noch die Natur
jenss Nkeisters des sechzehnten Iahrhunderts — so
würde seine Lösung des Raiser lVilhelm - Deukmals
unserem kserzen durchaus uicht Befriedigung geben.
Man wird einweuden, daß es nun auch nicht Nkichel
dlngelo geweseu sei, der das Stille gerade, das
Nnscheiubare in der Lorm und Tiefe im kserzen habe
ausdrücken könueu; mau wird möglicherweise au
Nünstler der Lrüh-Nenaissauce eriunern, die mit einem
herberen Nealismus, als Nüchel Angelo, zu uns
sprechen. Auch diese habeu jedoch mit ihren Nütteln
nur die Lkstase dargestellt, oder einen Btolz, oder eine
Naivetät, niemals die Demut. <Lin kjeldeutum von
der Besonderheit Naiser kvilhelins kann die plastik
nicht genau darstellen. lvenn „der alte Löwe" dar-
gestellt werden soll, der „mit einer ksandbewegung
einfach und groß zu dauken wußte", der „willeustarke
und doch milde Herrscher, der in den Tagen des Un-
glücks nicht verzagte, der in den Btunden höchsten be-
rauschenden Glückes voll ungekünstelter Demut blieb",
so giebt es uicht, und wird es nicht geben, eine
deutsche, oder eine italienische, oder eiue sranzösische
Denkmalsplastik, die dessen fähig wäre. Nkau be-
sindet sich iu einem Irrtum der lvahl, weun man
solche Dinge in einem gewaltigen Deukmal darstellen
lassen zu können hofft. Lin Zrrtum in der lvahl
der Nunstform, kein Irrtuin in der k^offnung, daß
es überhaupt auszudrücken wäre. Vielleicht in
einer wunderschönen Büste <ganz ohne übrigen Axpa-
rat). Doch müßte hier bedacht werden, daß eine so
seine Bilhauerkunst, wie hierzu erforderlich, zum Volke
nicht sprechen würde. Und zweitens müßte bedacht
werden, der Architektur, die diese Büste umgeben soll, sehr
viel lVürde und sehr wsnig jDomp zu geben, — und
dies ist möglich. Nnwahrscheinlich aber wird es bleiben,
bei dem lvesen der Denkmalsplastik, mit Denkmals-
xlastik einer Größe wie derjeuigeu Naiser lvilhelms
gerecht zu werden; es ist nicht das Llement von
Denkmalsplastik mit dem Llement Naiser kvilhelms
zu ciner verbiudung zu bringeu.

Lserman Helferich.

Nus der Vüeberei

Ä-r Nus den letzten tüut Aabren. Lünszehn Lssays
von kj^rman Grimm. (Gütersloh, Bertelsmann). — Line
neue Sammlung zerstreuter Aufsätze von kserman Grimm
ist immer der Teilnahme geistig vornehmer Leser gewiß,
denn ihr verfasser ist ein Lharakter: wenn uns die Dinge,
die er behandelt, an sich nicht interessiren sollten, so interessirt
uns doch immer sein verhalten gegenüber den Dingen. Die
hier gesammelten Abhandlungen sind auch stofflich für jeden
tiefer Gebildeten wichtig; man kann mit Recht sagen, so
verschiedene Gegenstände besprochen werden, die Ueberschrift
des ersten Aufsahes im Buch gelte für Alle: „Goethe im
Dienste unserer Ieit". Denn daß der Einstuß Goethes auf
uns nicht nur noch lange nicht abschlossen sei, nein, daß eine
tiefere Verwertung des unermeßlichen Schatzes an geistigem
Leben, den das lVort „Goethe" andeutet, jetzt erst beginne:
das ist es, was alle Gedanken Grimms als Iielpunkt im
Auge behalten. „lvie wichtrg Goethes Aleinung, gleich der
eines lebenden Nannes" bei taufend Fragen sein könne, die
uns angehen, das wird zu erläutern versucht. Und an Bei-

spielen wird der Nachwcis imternommen, von wie unschäh-
barer Bedcutung Goethes Geist auch für uns sei, wenn nicht
durch fein lvas, doch durch sein lvie, wird somit das Be-
wußtsein von der Antorität jenes ljerrlichen und ljerrschenden
uns Spätercn gekräftigt. Lreilich, es liegt auch eine Gefahr
in diescr rückhaltlosen Niustellung selbst des größten Toten
als nnumschränkten Lehrers der Gegenwart, fobald vom
Lormalen aufs Materiale übcrgegangen wird, und vielleicht
nicht nur dann: wer kann mit Gewißheit behaupten, nicht
nnr das Lrgebnis von Goethcs Gcdanken, nein, scin Denken selber
hätte sich unter den verhältnissen der Gegenwart in nichts
anders entwickelt? Grimm behauptet es fchwerlich; er er-
klärt Goethes Denken selber da nnd dort klug und fein aus
dem Iusammenhange mit feiner Ieit - aber er begegnet
Soch wohl bei lllanchem dem Iweifel, ob sein Lmersonfcher
ljeroenkult die Schärfe feines Blickes auch Goethe gegenüber
nie umschleiere. Thut er es, nnn, so ist das ein Lehler der
Tugend Grimms, nicht nur mit dem kühlen Uopfe, fondern
mit seinem ganzen lllenschentum vor das zu treten, was er

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