drückt ihm, so scheint es mir, trotz vielfachen Thuns den
Stempel der Thatlosigkeit aus. lklag das tragische Lnde
jener Bestrebungen unser Gemüt mächtig ergreifen, der ver-
stand findet doch, datz sie weniger unter dem gewaltsamen
Drucke von außen her, als vielmehr infolge ihrer eigenen
Unfertigkeit zerschellten. Ls ist wohl nirgends jene merk-
würdige Ieit des Redetums und des unklaren Idealismus
besser abgebildet worden, als in Gntzkows „Rittern vom Gciste".
„Da kam ein neuer Pharao auf in Lgypten, der wußte nichts
Iosexh." Der „neue Pharao" ist der durch Bismarck
großgezogene nnd vertretene realistische Zeitgeist, die „rücksichts-
lose Politik der That"; unter „Josexh" aber versteht Sxiel-
hagen eben den „Idealismus von H8." Man mag das hin-
nehmen. wenn aber Bismarck selbst zuweilen als jener „neue
Pharao" bezeichnet wird, so hinkt der vergleich denn doch,
da wir alle wissen, wie viel gerade Bismarck ans der Be-
kanntschaft mit „jenem Ioseph" von <i8 gelernt hat. Könnte
man nun vielleicht — wir stellen uns ganz auf den Stand-
punkt eines Parteigenossen des Verfassers — mit Recht Bis-
marck vorwerfen, cr trage Mtschuld an der selbstsüchtigen,
den äußeren Lrfolg anbetenden Richtung unserer Zeit, so
wäre er doch gewiß nicht allein dasür verantwortlich zu
machcn. Ls liegt in der Natur dcr Dinge (nnd wir erlebcn
eine ähnliche Thatsache jetzt wieder bei dem Kamxfe des
Deutschtums in Böhmen), daß ein volk im Strebcn nnd
Ringen nach Linheit, Freiheit, Größe viel „idealistischer" ge-
stimmt 'sst durch Lied und wort, als wenn es Lrfolge erreicht
hat. wenn nun vielleicht Niemand bestreiten wird, daß
nnscrcr Zeit in dcr That jencr „Gefühls-Idealismus" von
-i8 sehlt, so ist doch einc so großc Reihe von gemeinnützigen
Lrscheinnngen, darunter nicht znletzt unsere ganze neuere
soziale Gesetzgebung, Beweis cines „Vernunfts-Idealismus",
ich meine, eines richtigen Lrkennens von der Notwendigkeit
vieler verbesscrungen. Allen solchen milderen Zügen im
Bilde der Gegenwart verschließt Spielhagen sein Äuge; er
sieht nnr das aus der welt von qs, was jetzt — das wort
im tiefercn Sinne gesxrochen —: „durch seine Abwesenheit
glänzt". n,id so sucht uud fiudct er alles kseil in der llm-
kehr. Die Sozialdemokratie, die ihm lediglich ein Aind des
„neuen Pharao" ist, kann nach seiner Meinung nur durch
jenen „Idealismus von <i8" bekämpft werden.
was enthält der Roman? Ich deutete es an. Man
thut dem verfasser nnzweiselhaft am meisten Recht, wenn
man keine „Inhaltsangabe" der Fabel versucht, denn die
lsandlung ist nur da als Gelegenheit, Tyxen zu bringen.
Diese Tyxen reden, und ihre, Reden entwickeln Sxielhagens
Ansichten. Ls werden nicht etwa, wie man's doch vom
Kiinstler erwarten sollte, anschauliche, körxerhafte Bilder
zeitgenössischen Lebens vorgeführt. wie gesagt: Reden müssen
alles besorgen; wir sehen nichts, wir hören nur. Spielhagen
beklagt sich durch den lllund eines seiner lselden darüber, daß
ausländische Romane in Deutschland viel höher geschätzt würden,
als diejenigen der deutschen Schriftsteller selbst. Ls liegt Be-
rechtigtes in diesein Vorwurf. Aber wie anschaulich würde
z. B. ein Daudet bei einem ähnlichen Roman wie dem
Sxielhagenschen die Vrt-, Ieit-, Lebensverhältnisse gekenn-
zeichnet haben, so daß wir im Berlin von heute mit dem
Geiste des verfassers wandelten und sähen. wie dürftig da-
gegen bei Sxielhagen alles, was man etwa als versuche nach
dieser Richtung hin auffassen könntel lllehr und mehr ge-
winnt man beim Fortschreiten im Lesen die llberzeugung, daß
dem versasser die unmittelbaren Beobachtungen seh-
len, daß er das volk unserer Zeit aus eigener Anschauung
gar nicht kennt, und daß dies, wie es so irrige Auffassungen
wie die der Sozialdemokratie erklärt, auch ein .Grund für den
lllangel an überzeugenden Lebensbildern ist.
Als schriftliche Bethätigung eines höchst geistvollen
lllannes, der nur eben, als er dies Buch schrieb, kein poet
war, ist „Der neue Pharao" ja allerdings von Wert. Über
seine llleinungen haben wir mit Sxielhagen nicht zu rechten;
wo dies nicht zur Kennzeichnung nnscrer Stellung zum Buche
notwendig ist, haben wir auch nicht die unseren neben die
seinen zu stellen. Das gilt auch von den literarischen An-
sichten, die Spielhagen durch seine Gestalten kundgiebt. Vder
sollen wir zu kritisiren suchen, daß z. B. in Ibsen der Geist
Iffland-Kotzcbuescher Rührseligkeit entdeckt wird? Ls ist doch
wohl kaum von Nöten. Immerhin: man mag mit uns aus
anderem Standxunkt stehen, als Spielhagen — Anerkennung
wird man ihm für den lllut spenden müssen, mit dem er seine
Überzeugung verkündet, mit dem er überhaupt spricht, wo
so viel Andere ängstlich und verlegen schweigen. Nnr wenn
in dieser Beziehung seitens aller Parteien des öffentlichen
Lebens mehr und unbefangener gewagt nnd mehr nnd
duldsamer ertragen wird, als jetzt bei uns üblich, kann sich
ja eine neue deutsche Literatur bilden, die wirklich ein Aus-
druck dessen ist, was unser volk in seinen verschiedenen Teilen
emxfindet und bewegt. ls. Schütze.
* Zola wurde von Ange Galdemar über seine llleinung
von der neueren Literatur „verhört". „wir befinden uns in
einer Uebergangszeit. Gegen den Naturalismus macht
sich eine Gegenwirkung geltend. Der Nlensch hat ein gebiete-
risches und unaufhörliches Bedürfnis nach Glück. Die xositiv-
wissenschaftliche lllethode hat ihm das Leben gezeigt, wie es
ist, hat ihn aber nicht getröstet... Welcher Richtung wird man
sich jetzt zuwenden? Bis jetzt hat man noch kein Anzeichen
dafür. Die symbolische Schule hat große Anstrengungen ge-
macht, aber weder ein llleisterwerk noch eine hervorragende
Persönlichkeit hervorgebracht.... Wir befinden nns in einer
Zeit der Lrwartung und des Unbehagens; es ist sehr an-
regend, das zu beobachten." Über seine Pläne bemerkte er,
zur vollendung der „Rougon-lllaquart" fehlten noch vier Bände,
für die er noch einige Iahre brauche. Dann denk' er Romane
nach anderer, d. h. nicht mehr nach der „absoluten", lllethode
zu schreiben. Auch woll' er, was er seit zehn Iahren nicht
mehr gethan, dann wieder als Aritiker thätig sein, und zwar
in einer Tageszeitung, des großen Publikums wegen.
wilkie Lollins, der bekannte englische Romanschrift-
steller, der besonders durch die vorzügliche Technik der „Spann-
ung" in seinen Lrzählungen beliebt wurde, ist am 22. Sept.,
vierundsechzig Iahre alt, gestorben.
«- Turgenjews Drama „Natalie" kam, in deutscher
Bcarbeitung von E. Zabel, im Berliner Schansxielhanse zur
Lrstaufführung sür Deutschland. Ls ist ein Trauerspiel der
Liebesleidenschaft, die hier als dunkle, unheilvolle Ilkacht er<
scheint. Natalie, die Gattin eines tüchtigen Landwirts, die
Mutter eines xrächtigen Knaben, lebt in einem freundschaft-
lich-zärtlichen verhältnis mit dem lsausfrennde Rakitin. „Der
ist kein Don-Iuan und sie ist eine ehrbare Frau." Das ver-
hältnis bleibt schwül und dumxfig, als es xlötzlich zerrissen
wird dnrch die vollnatur Lorins, der als Lrzieher des Anaben
in den Kreis tritt und dessen wesen sie berauscht. Nicht
nur sie, alle, euch ihre pslegetochter wera, die mit jugend-
licher Unbefangenheit ihre Neigung Lorin offenbart. Aber
Lorin liebt Natalie. Die Lntscheidung geht von Rakitin aus,
der seinen Freund niemals hintergangen hat und nun dem
durch seine Leidenschaft verblendeten zeigt, wie er das Glück
einer ganzen Familie zu vernichten im Begriff stehe. Lorin
sühlt sich überwunden — und er erschießt sich. — „Ls ist
— 7
Stempel der Thatlosigkeit aus. lklag das tragische Lnde
jener Bestrebungen unser Gemüt mächtig ergreifen, der ver-
stand findet doch, datz sie weniger unter dem gewaltsamen
Drucke von außen her, als vielmehr infolge ihrer eigenen
Unfertigkeit zerschellten. Ls ist wohl nirgends jene merk-
würdige Ieit des Redetums und des unklaren Idealismus
besser abgebildet worden, als in Gntzkows „Rittern vom Gciste".
„Da kam ein neuer Pharao auf in Lgypten, der wußte nichts
Iosexh." Der „neue Pharao" ist der durch Bismarck
großgezogene nnd vertretene realistische Zeitgeist, die „rücksichts-
lose Politik der That"; unter „Josexh" aber versteht Sxiel-
hagen eben den „Idealismus von H8." Man mag das hin-
nehmen. wenn aber Bismarck selbst zuweilen als jener „neue
Pharao" bezeichnet wird, so hinkt der vergleich denn doch,
da wir alle wissen, wie viel gerade Bismarck ans der Be-
kanntschaft mit „jenem Ioseph" von <i8 gelernt hat. Könnte
man nun vielleicht — wir stellen uns ganz auf den Stand-
punkt eines Parteigenossen des Verfassers — mit Recht Bis-
marck vorwerfen, cr trage Mtschuld an der selbstsüchtigen,
den äußeren Lrfolg anbetenden Richtung unserer Zeit, so
wäre er doch gewiß nicht allein dasür verantwortlich zu
machcn. Ls liegt in der Natur dcr Dinge (nnd wir erlebcn
eine ähnliche Thatsache jetzt wieder bei dem Kamxfe des
Deutschtums in Böhmen), daß ein volk im Strebcn nnd
Ringen nach Linheit, Freiheit, Größe viel „idealistischer" ge-
stimmt 'sst durch Lied und wort, als wenn es Lrfolge erreicht
hat. wenn nun vielleicht Niemand bestreiten wird, daß
nnscrcr Zeit in dcr That jencr „Gefühls-Idealismus" von
-i8 sehlt, so ist doch einc so großc Reihe von gemeinnützigen
Lrscheinnngen, darunter nicht znletzt unsere ganze neuere
soziale Gesetzgebung, Beweis cines „Vernunfts-Idealismus",
ich meine, eines richtigen Lrkennens von der Notwendigkeit
vieler verbesscrungen. Allen solchen milderen Zügen im
Bilde der Gegenwart verschließt Spielhagen sein Äuge; er
sieht nnr das aus der welt von qs, was jetzt — das wort
im tiefercn Sinne gesxrochen —: „durch seine Abwesenheit
glänzt". n,id so sucht uud fiudct er alles kseil in der llm-
kehr. Die Sozialdemokratie, die ihm lediglich ein Aind des
„neuen Pharao" ist, kann nach seiner Meinung nur durch
jenen „Idealismus von <i8" bekämpft werden.
was enthält der Roman? Ich deutete es an. Man
thut dem verfasser nnzweiselhaft am meisten Recht, wenn
man keine „Inhaltsangabe" der Fabel versucht, denn die
lsandlung ist nur da als Gelegenheit, Tyxen zu bringen.
Diese Tyxen reden, und ihre, Reden entwickeln Sxielhagens
Ansichten. Ls werden nicht etwa, wie man's doch vom
Kiinstler erwarten sollte, anschauliche, körxerhafte Bilder
zeitgenössischen Lebens vorgeführt. wie gesagt: Reden müssen
alles besorgen; wir sehen nichts, wir hören nur. Spielhagen
beklagt sich durch den lllund eines seiner lselden darüber, daß
ausländische Romane in Deutschland viel höher geschätzt würden,
als diejenigen der deutschen Schriftsteller selbst. Ls liegt Be-
rechtigtes in diesein Vorwurf. Aber wie anschaulich würde
z. B. ein Daudet bei einem ähnlichen Roman wie dem
Sxielhagenschen die Vrt-, Ieit-, Lebensverhältnisse gekenn-
zeichnet haben, so daß wir im Berlin von heute mit dem
Geiste des verfassers wandelten und sähen. wie dürftig da-
gegen bei Sxielhagen alles, was man etwa als versuche nach
dieser Richtung hin auffassen könntel lllehr und mehr ge-
winnt man beim Fortschreiten im Lesen die llberzeugung, daß
dem versasser die unmittelbaren Beobachtungen seh-
len, daß er das volk unserer Zeit aus eigener Anschauung
gar nicht kennt, und daß dies, wie es so irrige Auffassungen
wie die der Sozialdemokratie erklärt, auch ein .Grund für den
lllangel an überzeugenden Lebensbildern ist.
Als schriftliche Bethätigung eines höchst geistvollen
lllannes, der nur eben, als er dies Buch schrieb, kein poet
war, ist „Der neue Pharao" ja allerdings von Wert. Über
seine llleinungen haben wir mit Sxielhagen nicht zu rechten;
wo dies nicht zur Kennzeichnung nnscrer Stellung zum Buche
notwendig ist, haben wir auch nicht die unseren neben die
seinen zu stellen. Das gilt auch von den literarischen An-
sichten, die Spielhagen durch seine Gestalten kundgiebt. Vder
sollen wir zu kritisiren suchen, daß z. B. in Ibsen der Geist
Iffland-Kotzcbuescher Rührseligkeit entdeckt wird? Ls ist doch
wohl kaum von Nöten. Immerhin: man mag mit uns aus
anderem Standxunkt stehen, als Spielhagen — Anerkennung
wird man ihm für den lllut spenden müssen, mit dem er seine
Überzeugung verkündet, mit dem er überhaupt spricht, wo
so viel Andere ängstlich und verlegen schweigen. Nnr wenn
in dieser Beziehung seitens aller Parteien des öffentlichen
Lebens mehr und unbefangener gewagt nnd mehr nnd
duldsamer ertragen wird, als jetzt bei uns üblich, kann sich
ja eine neue deutsche Literatur bilden, die wirklich ein Aus-
druck dessen ist, was unser volk in seinen verschiedenen Teilen
emxfindet und bewegt. ls. Schütze.
* Zola wurde von Ange Galdemar über seine llleinung
von der neueren Literatur „verhört". „wir befinden uns in
einer Uebergangszeit. Gegen den Naturalismus macht
sich eine Gegenwirkung geltend. Der Nlensch hat ein gebiete-
risches und unaufhörliches Bedürfnis nach Glück. Die xositiv-
wissenschaftliche lllethode hat ihm das Leben gezeigt, wie es
ist, hat ihn aber nicht getröstet... Welcher Richtung wird man
sich jetzt zuwenden? Bis jetzt hat man noch kein Anzeichen
dafür. Die symbolische Schule hat große Anstrengungen ge-
macht, aber weder ein llleisterwerk noch eine hervorragende
Persönlichkeit hervorgebracht.... Wir befinden nns in einer
Zeit der Lrwartung und des Unbehagens; es ist sehr an-
regend, das zu beobachten." Über seine Pläne bemerkte er,
zur vollendung der „Rougon-lllaquart" fehlten noch vier Bände,
für die er noch einige Iahre brauche. Dann denk' er Romane
nach anderer, d. h. nicht mehr nach der „absoluten", lllethode
zu schreiben. Auch woll' er, was er seit zehn Iahren nicht
mehr gethan, dann wieder als Aritiker thätig sein, und zwar
in einer Tageszeitung, des großen Publikums wegen.
wilkie Lollins, der bekannte englische Romanschrift-
steller, der besonders durch die vorzügliche Technik der „Spann-
ung" in seinen Lrzählungen beliebt wurde, ist am 22. Sept.,
vierundsechzig Iahre alt, gestorben.
«- Turgenjews Drama „Natalie" kam, in deutscher
Bcarbeitung von E. Zabel, im Berliner Schansxielhanse zur
Lrstaufführung sür Deutschland. Ls ist ein Trauerspiel der
Liebesleidenschaft, die hier als dunkle, unheilvolle Ilkacht er<
scheint. Natalie, die Gattin eines tüchtigen Landwirts, die
Mutter eines xrächtigen Knaben, lebt in einem freundschaft-
lich-zärtlichen verhältnis mit dem lsausfrennde Rakitin. „Der
ist kein Don-Iuan und sie ist eine ehrbare Frau." Das ver-
hältnis bleibt schwül und dumxfig, als es xlötzlich zerrissen
wird dnrch die vollnatur Lorins, der als Lrzieher des Anaben
in den Kreis tritt und dessen wesen sie berauscht. Nicht
nur sie, alle, euch ihre pslegetochter wera, die mit jugend-
licher Unbefangenheit ihre Neigung Lorin offenbart. Aber
Lorin liebt Natalie. Die Lntscheidung geht von Rakitin aus,
der seinen Freund niemals hintergangen hat und nun dem
durch seine Leidenschaft verblendeten zeigt, wie er das Glück
einer ganzen Familie zu vernichten im Begriff stehe. Lorin
sühlt sich überwunden — und er erschießt sich. — „Ls ist
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