über alle Ueöiete^eS<Mcbönen.
4. Ltück.
Lrscbctnt
Dcrausgeber:
zferdinand Avenarius.
Wcsrellprcts!
Viert-Ijäl,rlich 21/2 rn-lrk. ^ Z 4Al)cci.
Anzeigen: 3 gesp. Nonp.-Zeile ^0 ssf.. -^
DLe MusLK als LrzLekungsinLttel.
Dcutsche uennen so gerne die Musik die
HKMuns eigene Runst und erblicken iu den
MrKDgroßart'gen Schöpfungen, welche wir
verdanken, Offenbarungen unseres
iVesens. Dennoch sind die Meinungen über das
Verhältnis der Akusik zur Erziehung bei uns noch
sehr unklare, ja, ich möchte behaupten, wir haben
uns noch gar keine rechte Mcinung darüber gebildet.
Nicht, daß es an chchriften mannigfacher Art fehlte,
welche sich mit der Frage des musikalischen Unter-
richts befassen; nein, aber was außerhalb des Fach-
lichen dabei fällt, das wird meist nur mit phrasen
abgethan. Auch die großen Lehrer unseres volkes,
welche in seiner nationalen Lrziehung die vorbeding-
ung seiner lviedergeburt und seines Gedeihens er-
kennen, gehen an der Ntusik, als einem Niittel dazu,
schweigend vorüber. Ia, die Niusik ist sogar recht
übel beleumundet. Gewichtige Ltimmen haben sich
erhoben, welche gerade mit Rücksicht auf die natio-
nale Lntwicklung des Volkes deren verweichlichende
wirkung betont und vor ihrer allzu eifrigen j)flege
gewarnt haben. Im besten Falle wäre sie also dann
als eine Lachübung besonderer Art für Liebhaber zu
betrachten, als ein Lrwerbszweig sür die Übenden,
ein Genußmittel für die Gmxfangenden, also ein
Luxurgegenstand im eigentlichen Sinne des wortes.
Als ein solcher wird sie auch wirklich noch immer
betrachtet und behandelt. Nur besonders Beanlagte»
solle sie zugänglich gemacht werden, denn ihr wert
wolle ja ausschließlich nach Leistungen gemessen wer-
den. Ihre verbreitung als Lrziehungsgegenstand sei
schädlich, sie diene zur (sZual, sowohl den Lernenden
wie den ihren Aundgebungen wehrlos Ausgesetzten,
vermehre im besten Lalle das Uonkurrenztreiben,
nehme Teil am Ntißverhältnisse zwischen Angebot und
Nachfrage, wirke so schädlich, nicht nur für die
Nerven des Staatsbürgers, sondern auch für die na-
tional-ökonomischen verhältnisse des Staates. bvie
unschuldig ist dagegen z. B. die Lrlernung der fran-
zösischen Sprache, welche zudem recht nützlich werden
könnte! Bekennen wir es nur ganz offen: von
diesem Standxunkte aus wäre die Aneignung des
Lranzäsischem dem Unterrichte in der Mufik selbst als
natiouales Lrziehungsmittel vorzuziehen.
bvelch ein Tviderspruch! Und dennoch, wer wird
Demjenigen nichl Recht geben, welcher bei der Art,
wie heute Nusik gelehrt wird, in ihrer pflege als
Lrziehungsgegenstand einen Übelstand, im besten Lalle
einen Überfluß erblickt? s)st aber diese Art die richtige?
Lntsxricht sie der Bedeutung, welche wir dieser Runst
beilegen? Gewiß nicht! Ls wird soviel davon ge-
sxrochen, daß die Musik das Gemüt veredle, die Sitten
verfeinere und dergl. Lragt man sich aber um greif-
bare Lrgebnisse dieser bvirkung in unseren Rtusik-
schulen oder bei unseren Grchestermitgliedern, so wird
man in Verlegenheit kommen. Rtan wird sich sagen
müssen: „Belügen wir uns doch nicht! So lange
diese Wirkung auf die ks^udhabung mit dem Instru-
mente eingeschränkt bleibt und sich nicht auch sonst
in den Lebensbethätigungen des Rünstlers äußert,
können wir an einen die Lachbildung überstsigenden
Linfluß dsr musikalischen Lrziehung nicht glauben."
Rtan hat es dunkel gefühlt, daß diese einer Lrgänzung
bedürse. Außer deu technischen Studien wird iu
unseren Rtusikschulen Ästhetik, Geschichte der Musik,
Literaturgeschichte und noch sonst mancherlei gelehrt.
Gewonnen ist damit nichts, als ein änßerer Aufxutz.
Line durchgreifende musikalische Lrziehung darf nicht
blos darauf gerichtet sein, daß der Schüler etwas
könue, sondern auch, daß er etwas sei. Der musikalisch
Gebildete muß mit dem zahlen, was er ist, nicht blos
mit dem, was er kann. Die Runst darf weder als
Der Nachdruck von längeren rvie kürzeren Beiträgen des „Aunstwarts" ist vom verlage nur unter deutlicher (Vuellenangabe gestattet.
lS
— 49