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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 3.1889-1890

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Heft 11
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Koopmann, W.: Künstlerische Persönlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8793#0173

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u. Stück.

Lrscbeint

im ersten und dritten viertel

Derausgebcr:

zferdinand Nvenartus.

Kesrellprets:
vierteljährlich 21/2 Mark.

3. Zabrg.

Aünstleriscke

ine neue deutsche Runst vorbereiten zu helfen,

ist die vornehmste Aufgabe des merkwürdigen
^^^^Buches „Rembraudt als Lrzieher", von dem
i^W^^schon kurz im „Aunstwart" gesprochen wurde
und von dem nochmals gesprochen werden soll. Die
Ansichten, welche über bildende Aunst im engeren Sinn
entwickelt werden, gipfeln in der Lrkenntnis, daß ein
echtes Runstwerk nur vou einem Rünstler geschaffen
werden kann, der, vertraut mit der Ligenart seines
Volkes, dem volke dadurch verstäudlich wird, daß er
seiner persönlichen Eigenart eine künstlerische Form
zu geben weiß.

Die entscheidende Bedeutung der Individualität des
Rünstlers für jede Runstform hat man bisher nicht
für das allein maßgebende angesehen. Der Blensch
hat von Natur ein starkes verlangen, das, was er
als wertvoll uud bleibend in der Lrscheinungen Flucht
erkannt hat, die Vorstellungen des Guten, bvahren
uud Schöneu aus dem Bereich der sZdee dadurch in
Wirklichkeit umzusetzen, daß er eiue einzige höchste Form
dieser Begriffe zu findeu sucht. Das Verlangen nach
dem vollkommeneu liegt wie die Überzeugung von
einem Leben nach dem Tode so tief im Lmpfinden
des Nlenscheu begrüudet, daß alle täglicheu Beweise
der Unvollkommenheiten unseres Lebens dies verlangen
nicht unterdrücken können. Gb uns einst jene voll-
kommenheit zu Teil werdeu wird, Lie wir ersehuen,
darüber zu sprechen, ist nicht hier am platz; so lange
wir Nlenschen auf dieser Lrde sind, lehren uns die
Thatsacheu, daß wir uur mit deu unzähligeu Linzel-
formen eines unoollkommenen Guteu, tVahren und
Schäneu zu rechnen haben.

Das Verlaugeu nach einer einzigeu höchsten und
reinsten Form des Runst-Schönen ist besonders lebhaft
geworden, seitdem Winckelmann die Denkmäler antiker
Kunst eiuer von künstlerischer Begeisterung getragenen

DersönliekkeLt.

Kritik unterzog. Gbschon man wußte, daß auch in
Griechenland die typischeu, zu Rultuszwecken ge-
schaffenen Götterbilder durch den Linfluß bedeuteuder
Rünstler ihre Form geändert hatten, glaubte man einen
grundsätzlichen Gegeusatz zwischen antiker uud moderner
Ruust zum Nachteil der letzteren empfiudeu zu sollen,
weil antike Formen dem gesuchteu vollkommeneu Bild
des Schöneu näher zu steheu schienen, als die Werke
der Nenaissanceküustler. j)udem man die letzteren als
unter deu Leistungen der Autike stehend erkannte, ist
man der moderneu Runst gegenüber uugerecht gewesen,
hat namentlich Nlichelangelos Thätigkeit zu gering
angeschlageu, der an Selbständigkeit und Rraft der
sZndividualität alle Rünstler des Altertums überragt,
soweit wir vou ihrer person etwas wissen.

Allerdings ist ein großer ünterschied zwischen alter
und neuer Runst vorhauden. Aber nicht in der
Leistungsfähigkeit der Rünstler liegt er, sondern im
Unterschied vou Laud uud Leuten. Hätte Nlichelangclo
von Iugend auf in der Palästra Studieu des Nackteu
machen können au eiuem volksstamm, der durch Rraft
und Lbeumaß der Glieder wie kein anderer bevorzugt
war, so hätteu seine künstlerischen vorstelluugen die-
selben Formen voll Rraft uud Lbenmaß annehmen
müssen, wie sie der antike Rünstler geschaffen hat.

Der moderne Rünstler keuut den lebendeu nackten
Rörper nicht, wie ihu die Alteu von Gruud aus kannten.
Auatomische chtudieu und Aktstudieu können nicht au-
nähernd die Formenkenntnis ersetzen, welche das Auge
und das Gedächlnis uuauslöschlich und wie etwas
chelbstverständliches vou Iugend aus durch Gewöhnung
iu sich aufgenommen habeu. Dazu kommt, daß zur
Zeit des Wiedererwacheus der Runst iu Deutschland
und iu Ztalien keiue, man möchte sagen: studirte pflege
des Rärpers, wie sie die Griechen kannten, landes-
üblich war. Feruer kommt iu Betracht, daß die Rleider


— isi —
 
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