Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1920)
DOI Artikel:
Münchhausen, Börries von; Schumann, Wolfgang: Gegen und für die Volkshochschulen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0018

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zweitens fehlt der Volkshochschule die gleichmäßige Vorbildung
der Hörerschaft. Ieder Lehrer, der wirklich Lehrer ist, wird bestätigen,
daß ohne dies gar kein Arbeiten für ihn möglich sei. Wie kann ich denn
lehren, wenn ich nicht weiß, auf welchem Boden ich aufbauen soll! Äbrigens
sitzen in den meisten Städten sehr bald gar nicht nrehr die Arbeiter im Saale,
sondern der Mittelstand, der die Gelegenheit der billigen Vorträge ausnutzt
und sich in hellen und warmen Räumen von freundlichen Herren ein Stünd-
chen die Langeweile vertreiben läßt. Endlich wären aber auch selbst lauter
ehemalige Volksschüler nur dauu eine gleichmäßig vorgebildete Hörerschaft,
wenn sie annähernd gleich alt, d. h. nach Iahrgängen geordnet wären.

Drittens fehlt der Volkshochschnle jede Andeutung eines Lehrganges,
ohne den diese Vortragsreihen zu bloßen Zufallstreffern und Feuilleton-
werten werden. In Ä-Dorf wird über Kolonien und Römische Geschichte
und Chemie „gelesen", in L-Dorf über künstliche Düngung und Goethe und
Ostasien, in O-Dorf über die Freiheitskriege und Röntgenstrahlen und
Religionsgeschichte. Keine Auslese bestimmt, daß auf jeder dieser soge-
nannten Anstalten eine Vortragsreihe jedesmal geschichtlichen Inhalt, eine
andere ärztlichen usw. enthalten muß, und keine Anweisung verpflichtet den
ahnungslosen Schüler, ganz bestimmte Wissenskreise in ganz bestimmter
Reihenfolge zu hören. Volksbetrug nenne ich das, wenn es auch in wohl-
meinendster Absicht und von selbstlosesten Männern geschieht. Wer Bil-
dung an einer „Hochschule" sucht, der dars nicht betrogen werden um das
Beste: Die Anweisung, wie er lernen soll, die Anleitung, was und in
welcher Folge er arbeiten soll!

Viertens sehlt der Volkshochschule jeder Abschluß, jede Prüfung,
ohne die eine Schule oder Hochschule ja zu einem intellektuellen Rummel-
platz wird. Rutschbahn oder Karussell — ganz egal —, eine Stunde oder
drei — ganz egal — rechts herein oder links heraus — ganz egal! Für
die Mehrzahl der Menschen geben allein die Prüfungen den nötigen Druck
zu wirklicher Arbeit. And die Volkshochschule will durch wirkliche Arbeit
lehren, nicht wahr, — oder ist sie bloß ein Modeamüsement für be-
schäftigungslose Abendstunden? Wer das Volk liebt, der soll auch den
Mut haben, ihm zu sagen: Nur durch ernste Arbeit kannst du Bildung er-
werben. Nur durch die freiwillige Aufnahme des Examenszwanges wirst
du es zu Kenntnissen bringen, die diesen Namen verdienen. Von dir aus
bist du nicht fähig, deinen Lehrgang zu bestimmen. Wenn du dich nicht
daheim über die Bücher setzest und lernst, daß dir der Kopf raucht, — wenn
du dich nicht in Frage und Antwort der Seminare des Wissens wahrhaft
vergewisserst, — wenn du nicht selbst das „Sitzenbleiben" und „Durchfallen"
auf dich zu nehmen gewillt bist, — wirst du niemals das erwerben, wonach
du dürftest: Bildüng! Drau denen nicht, die deiner Eitelkeit mit „Hoch-
schulen" schmeicheln, sie verführen dich voin strengen Wege der Wahrheit
ab auf die Blumenwege der Oberflächlichkeit. Willst du, s? jähriger Fabrik-
arbeiter, Bildung erwerben ohne diesen Zwang, dem sich jeder s? jährige
Primaner und Student unterwerfen muß?

Bildung ist etwas Organisches, nur dein Genie kann sie unorganisch an-
schießen, wir anderen können sie nur organisch anwachsen lassen in klug
geordneter und mühevoll betriebener Arbeit. Das Anhören beliebiger
ungeordneter Vorträge, womöglich gehalten von eitlen und als Lehrer
niemals erprobten Dilettanten, kann nimmermehr Bildung vermitteln. Im
allerbesten Falle geben diese soviel, wie ein mittelmäßiges Buch über den

2
 
Annotationen