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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1920)
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Avenarius, Ferdinand: Dunkelmännerzeit?
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Schumann, Wolfgang: Entgiftung, 1: Der innerste Feind
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0227

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aus Sternentvege der Gedanken, der Hoffnungen, der sich zu Lntschlüssen
verdichtenden Wünsche desto heller über uns leuchten müßten, je dunkler
unser Heute ist!

Verehrte Leser: aus diesen kurzen, reizlosen Zeilen ließe sich ein langer
Schreib ausrollen oder ein Bilderband so lang wie ein japanischer Tosazug.
Aber Ihnen, unsern Lesern, kämen all diese Bilder bekannt vor. Ihnen wären
es Selbstverständlichkeiten, das, wovon ich da reden müßte. Was t u n Sie,
daß unsre Meinungen endlich wirken? Immer wieder und wieder zu
bitten: „Helfe, wer helfen kann", nichts weiter als das bezwecken diese
Zeilen. Wir müßten eine Brüderschast von Warnern werden, von Aufrufern,
von Agitatoren, jeder, wo er gehört wird. Von unermüdlichen Predigern
der nie widerlegten, aber immer wieder stillgeschwiegenen so einsachen
Wahrheit: eine soziale Gemeinschast darf kein Mittel, mit dein Menschen-
köpfe und Menschenherzen in Massen veredelt oder erniedrigt werden können,
ausschließlich im kapitalistischen Geschäftsinteresse einrichten und verwalten
lassen. Für Kirche und Schule versteht sich das allen von selbst, für
die mindestens ebenso wichtigen jüngeren Kulturmittel noch nicht. Und
doch hängt die Zukunst aller Gesamt-Kultur davon ab, ob man die Volks-
Kulturmittel sozial-- oder privatwirffchaftlich wirken läßt.

Vorbedingung aber, um dahin wirken zu können, ist die Hochschätzung
der Kopfarbeit überhaupt. A

EnLgiftung

1. Der innerste Feind

^s^-s gibt gute Kenner und echte Freunde des deutschen Volkes, die in
U)l*der Neigung zu Mißgunst und Mißtrauen eine seiner bedenklichsten
Eigenschaften erblicken. Hören wir nicht auch allenthalben jeden zweiten
Mann jeden dritten einen, der sich „gesund macht", einen Postenjäger,
einen Fischer im trüben, einen hinterlistigen Falschspieler, einen Verräter
schimpfen? Man lese die Briefwechsel zwischen USP und SPD, die gelegent--
lich verschiedener Regierung-- und Mehrheitbildungen in den lehten zwei
Iahren stattfanden, man verfolge die Verhandlungen in den Räteorgani-
sationen, die Pressefehden — überall das gleiche Bild: die andern sind
nicht nur unfähig und dumm und allenfalls im Irrwahn, sondern sie sind
bewußte, gemeine „Totengräber des deuffchen Volkes", oder „Verräter des
Proletariats". Man steigert sich gegenseitig hinein in immer heftigere
und haltlosere Anklagen. Wer als einigermaßen Unparteiischer einmal Ver-
tretern einer der beschimpften Gruppen begegnet, erstaunt, wenn er in ihnen
trotzdem von ihrer Sache überzeugte Idealisten findet.

Wohin treiben wir mit alledem? Im Einzelfall immer wieder zu einem
Ausbruch überreizter und wüst aufflackernder Massenaffekte, zum Mord,
zur Lynchjustiz, zum Puffch. Auf dieser Stelle unseres Leidensweges sind
wir heute. Was steht uns bevor? Eine Periode wogenden Kampfes er°
regter Gruppen von Volksgenossen miteinander? Ein Iahrfünft, ein Iahr-
zehnt des Bürger-Kleinkrieges? Line Diktatur der Radikalsten und zum
Außersten Enffchlossenen? Eine Wiederkehr vergangener Zustände unter dem
Schutz von Maschinengewehren, Panzerautos und jugendlichen Stahlhelm-
trägern? Auflösung des schein-einheitlichen Reiches in Territorien grund-
sätzlich verschiedener Verfassung und Wirtschaft, hier Rätediktatur, dort
Parlarnentarismus, hier Privatwirffchaft, dort Sozialisierung, dort Kom-

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