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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 20 (Augustheft 1920)
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Haering, Theodor Lorenz: Hegel: zu seinem 150. Geburtstage
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0421

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Sein? Ist wirklich jedes einzelne (individuelle) Ding wesentlich nun
als Glied eines höheren Ganzen zu erfassen, analog den historischen
und biologischen Individuen? Iknd vor allem: ist wirklich alles Sein
Glied eines rein geistigen Lebenszusammenhanges? Gibt es nicht doch
ein ewig Geistfremdes, Geistfeindliches, das nur die Tat auf die Dauer
vielleicht dem Geiste unterwerfen kann?

Gewiß wären hier eine Menge von Bedenken geltend zu machen. Aber
wo ist Kraftvolles in der Weltgeschichte, was nicht einseitig gewesen wäre?
Es ist das Gesetz menschlicher Wirkung, ob sie sich im Denken oder Handeln
äußern mag, nur nach einer Richtung volle Krast einsetzen zu können.
All unser Wirken, im Materiellen wie im Geistigen, wird stets Gegen--
wirkung sein müssen und darum einseitige Kraft verlangen. Als kämpfender
Denker, als Vertreter eines neuen Systems, war darum auch Hegel not-
wendig einseitig,- in der Ruhe der Betrachtung freilich — als Philosoph
im höchsten Sinn — mußte auch er — und gerade er besonders — not--
wendig sein eigen Werk eingereiht sehen in die Selbstentwicklung des
über alles bloß Individuelle stets hinweggehenden, wiewohl nur in solchem
sich realisierenden, absoluten Geistes.

So ist auch Hegels Philosophie für uns gewiß vergangen, aber gewiß
nicht in höherem Grade, als andere frühere Entwicklungen des philosophischen
Geistes. Ihr Ewiges bleibt „aufgehoben" und wirksam in und für das
Leben auch unserer Gegenwart.

Tübingen Theodor Haering d. I.

Vom Heute fürs Morgen

Nur Schriftstellernöte?

orweg einige Notizen zum Tatsäch-
lichen. Die geistigen Arbeiter sind
mit ihrem Verdienst auf einen klcinen
Bruchteil dessen angewiesen, was sie
vor dem Kriege mit ihm decken konnten.
Es tritt das ein zn einer Zeit, wo
die Handarbeiter trotz der erhöhten
Preise sich den vier- oder sünffachen
Aufwand von früher gestatten können.
Die geistigen Arbeiter im Durch--
schnitt verdienen ein Viertel oder
Fünftel des Verdienstes etwa eines
Bergarbeiters mit achtstündiger Ar°
beitszeit. Soweit sie nicht bereits prole-
tarisiert sind, leben sie von den Er-
sparnissen der Vorkriegszeit. Daß die
mcisten diese Ersparnisse von früher
noch nicht anfgezehrt haben, verdeckt
noch das Verzweifelte des Zustandes.
Diese Ersparnisse stellen aber ihre
Krankheit-, Alter- nnd Erwerbslosen-
versicherung dar. Die Möglichkeit dieser
Art von Versichernng beruht auf der
Gewähr der Gesamtheit dafür, daß er-
spartes Geld seinen Kaufwert behalte.
Der neue Staat hat nun, um die Hand-

arbeiter gegen Krankheit, Alter und
Arbeitslosigkeit zu versichern, eine un-
geheure Entwertung der bestehenden
Wertzeichen cintreten lassen, in denen
der geistige Arbeiter seine Versicherung
vollzogen hatte. Darüber hinaus hat
cr die Hinterlage des geistigen Arbeiters
durch gehäufte Besteuerung dezimiert,
zumal wenn eine kleine Pension dabei
ist, wie bci ausgedienten Lehrern und
kleinen Beamten. Es wird also die
Grundlage der Versicherung des geisti-
gen Arbeiters vom Staat in zweifacher
Weise angegriffen. Es entsteht die Frage,
ob das Rechtens ist, ob nicht der Staat
eine deutliche moralische Vcrpflichtung
hat, denjenigen Arbeitern, deren Ver-
sicherung in Sparsummen lregt, dcn
Wert dicser Versicherung zu verbürgen.
(Ob es Klugheit ist, die geistigen Ar-
bciter sich mit Gewalt zu entfremden,
ist eine noch weitere Frage, die uns
heute nichts angeht.)

Was wird nun?

Innerhalb des Schriftstellereibetrie-
bes selbst gibt es keine Aussicht. Es
gibt keinen Betrieb, der krasser kapi-

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