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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 15 (1. Maiheft  1920)
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Fischer, Eugen Kurt: Formzertrümmerung
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Hans Pfitzners Bekenntnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0138

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großen Kaiserzeit seine wahre Menschheitsmission erfüllt als Bringerin
einer großen, unerreichbar hohen Kunst? Das großrömische Reich war
in menschlich-kulturlicher Hinsicht eine „Dependance" des politisch erledigten
Griechenlandes, das Italien der Renaissance war politisch zerfallen, aber
kulturlich eine Linheit und ein Wunderland. Formen waren zertrümmert
worden, aber das Leben war nicht versiegt: nene Gefäße hatten es anf--
gefangen, edlere und nicht minder gewaltige. Enropas Seele starrt vom
Schmutz der groben Kämpfe mit Waffen und Waren, aber sie hat die
Sehnsucht, das Gewand eines raffgierigen Zeitalters mit dem schlichteren
eines gottsuchenden, Verwirklichung suchenden zu vertauschen, und es wird
ihr gelingen. Die Menschen werden nicht besser werden, aber die
Guten müssen einmal siegen, damit es den Menschen besser gehe. Was
zertrümmert wurde, war schlecht. Zerstörer war der Wille zum Besseren.
Das gibt uns Hoffnung. E. K. Fischer

Hans Pfitzners Bekenntnis

^^^fitzners jüngste Veröffentlichung heißt: „Die neue Asthetik der musi-
Hkalischen Impotenz. Ein Verwesungsshmptom?" (Verlag der Süddeut-
schen Monatshefte, München (920.) Sie umfaßt hnndertsechsundfünfzig
Seiten und ist, dem äußeren Anblick nach eine ästhetische Streitschrift, eine
Fortsetzung der geistvollen Arbeiten, die Pfitzner über das musikalische Drama
vor längerer Zeit geschrieben hat. In Wahrheit ist diese Schrift etwas andres,
mehr und weniger. Sie bezeichnet den „Fall Pfitzner", der ein tief trauriges,
erschütterndes Shmptom der grauenvollen Krämpfe der Zeit ist. Uns gilt
es, alle persönlichen Empfindungen zurückzudrängen und in klarer nnd mensch-
licher Weise zu sagen, was zu sagen ist. Käme die Schrift von einem Verfasser
X oder P, so würde man ihre auffälligsten, nicht ihre wertvollsten Teile beiseite
legen können. Aber das Bekenntnis des vielleicht bedeutendsten lcbenden Ton-
schöpfers darf nicht kurzweg beiseite gelegt werden.

Was enthält das Buch? Es dient zwei Absichten, deren Durchführung
sich kreuzt und überschneidet; keine von beiden wird darum restlos ausgeführt,
und rein sachlich bleibt man vielfach über Pfitzners Meinung im Zweifel. Er
will einerseits eine Ästhetik der Musik bieten, seine eigne, an Schopenhauer
sich anlehnende Ästhetik. Anderseits will er den bekannten Musikschriftsteller
Paul Bekker als den Theoretiker einer unfruchtbaren musikalischen „Richtung",
als den Wortführer einer „Ästhetik der Impotenz" erweisen. Aber dies will
er nicht nur, weil Bekkers Asthetik falsch und die von Bekker gelobte Musik
wertlos sei, sondern weil er in Bekker und dessen Schützlingen das Ende der
Musik, ein Shmptom der Dämmerung der Musik erblickt, ja noch mehr:
Bekkers Asthetik und die von Bekker geschätzte modernste Musik sind für
Pfitzner Shmptome der Zeitgeschichte. Er kritisiert Bekkers großes Buch über
Beethoven und schließt: „Was Beethoven geschieht, geschieht der Musik über-
haupt; und was Herr Bekker sagt, sagt er nicht allein, nur konsequenter, feder-
gewandter und mit mehr wissentlicher Betonung als andere. Was da gesagt
wird, liegt in der Luft; es ist der Geist der musikalischen Impotenz, der um-
geht. Und Herr Bekker schreibt ihm seine Ästhetik. — Nur in einem Volks-
körper, der in Verwesung begriffen ist, kann eine solche Asthetik Boden fassen."
Bekker soll einmal den gewagten Satz geschrieben haben: Das sinfonische
Lhema soll also gar nicht in erster Linie originell sein — auch die Beet-
hovenschen Sinfoniethemen sind dies keineswegs. Pfitzner führt dies an und
fährt dann mit Fettdruck fort: „Diesen Satz kann nur ein Mensch zu sagen
und zu schreiben wagen, der die »Frankfurter Zeitung« hinter sich nnd ein
deutsches Publikum vor sich hat. — Es ist nicht anders: wir sind verkitscht,
versaut, versumpft, und stecken tief bis über den Hals in Lüge, Dreck und
 
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