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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 17 (1. Juniheft 1920)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0246

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Vom tzeute fürs Morgen

Vom „Durchschnittsmenschen^

Märzheft der „Tat" schreibt Wil-
^)helm Hagen, ein freidentscher Führer,
in einem anch sonst sehr bedeutsamen
Znsammenhang: „Wer gibt Ihnen ein
Recht, so hoch erhaben vom »Durch--
schnittsmenschen« zu reden? Fch be--
kenne mich freudig zu diesen Durch-
schnittsmenschen."

Obwohl ich die Sache der Freident-
schen seit langem mit größter Teilnahme
verfolge, muß ich gestehen, daß hier zum
ersten Male ein Wort ans freideutschem
Munde fällt, das mir wirklich Zu°
kunftsaussicht gibt.

Denn wenn nnsre Kultur und nnser
Dolk an etwas zugrunde gehen sollten,
so müßte es an Geschwollsnheit und
eitler Prätention sein. Wie denn in
der Tat Adam Röder behauptet hat,
wir seien an unsrer Äberhebung zu--
grunde gegangen. Im Geistigen, soweit
es literarisch ist, geht das Treiben noch
ziemlich ungedämpft weiter. Die aus°
ländische Schriftstellerei habe ich aller->
dings nicht genug verfolgt, um zu wis°
sen, wie es da ist, —- bei uns finde ich
es greulich und von Tag zu Tag greu°
licher. Iedes kleine Friedensmännchen,
urid nun erst der heulende Krieg- und
Racherufer, jeder dünne Wiederdenker
irgend eines sozialen, liberalen vder
reaktionären Ginfalls, jeder Gntdecker
erner nenen Hosentracht oder „Reli-
gion", jeder Heranfbeschwörer einer
allermodernsten Kunst, Pädagogik oder
„Groseinstellung", ja schließlich jeder
Niederschreiber irgendwelcher gleichgül»
tigen Gedankenfolge stellt sich als Aus-
nahmemenschen vor.

Der Ansnahmemensch ist jetzt der
tatsächliche Dnrchschnittsmensch in
Deutschland geworden. Der Mensch,
der über den Dnrchschnitt wäre, würde
vielleicht nicht die Notwendigkeit emp-
finden, es zu sagen. Deshalb: wv
jemand sich zum Durchschnitt bekennt,
will ich aufhorchen. Denn schließlich:
was gehen uns die Ausnahmemen»
schen an!

„Sie sollen uns Führer sein." —

Die Ausnahmemenschen? Das ist
doch wohl eine wunderliche Verwechs»

lung. Führer sind potenzierte Durch--
schnittsmenschen. Wir wollen alle
wirklichen Ausnahmemenschen sehr
in Ehren halten: sie sind Unglückliche
oder ein ehrenhafter Luxus oder Ex°
perimente. Aber was wir brauchen und
suchen sind Durchschnittsmenschen mit
erhöhten Kräften des Willens, desGe-
müts und des Scharfsinns. Gerade im
Durchschnitt, in den Volksinstinkten sind
wir nns ziemlich einig über das, was
wir branchen, und nur die erhöhten
Kräfte fehlen uns, um es in klares B«°
wußtsein und Tat umzusetzen.

Im Dnrchschnitt wissen wir, was wir
brauchen. Wir brauchen Ordnung. Wel-
cher Art, wird das stärker und klarer
empfindende Gemüt fühlen. Wie wir
zn ihr kommen, wird der erhöhte Scharf-
sinn sehen. Und daß wir sie erreichen,
dafür wird der überlegene Wille sorgen.

Bonus

Furchtlosigkeit, Wahrheit, Takt
»H »m alles nicht möchte ich mich als
44-Realpolitiker anfspielen. Wer letzte
praktische Weisnngen der Politik emp-
fangen oder politische Geheimnisse er°
fahren will, der lasse diese Zeilen unge--
lesen. Wem aber an durchdachtem Stoff
für eigene Arteilsbildnng gelcgen ist,
der wolle das Nachfolgende erwägen.

Wir haben bereits in dem Stück Ge-
spräch „Verrat" ansgeführt, was wir
für den eigentlichen Fehler der Revo-
lution und ihrer Anführer halten. Daß
sie nämlich nicht Imperialismus und
Militarismus überhaupt gebrochen ha--
ben, sondern nnr den deutschen, dadurch
aber den der Gntentevölker ermutigt
und so im ganzen mehr für als gegen
Imperialismus und Militarismus ge°
wirkt haben.

Nun hat Oswald Spengler in seinem
„Prenßentum und Sozialismus" mit
wütender Kritik an der Revolution diese
Sache mehr drastisch als gerecht so aus°
gedrückt:

„Die Iakobiner waren bereit, alles
andere zu opfern, weil sie sich selber
opferten... Sie kämpften gegen die
Mehrheit im Innern und gegen halb
Europa an dcr Front. Sie rissen alles

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