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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 13 (1. Aprilheft 1920)
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Avenarius, Ferdinand: Raffael
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Bonus, Arthur: "Wo steckt der Verrat?": ein Gespräch
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0028

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In Raffael wohnte kerne Prometheus--Seele, wle sie in Michelangelo zer-
trümmernd überwand, oder wie sie in Leonardo versuchte, und sich zer-
sann, und erlag. Es sind ganz andere Richtungen, es sind vielleicht auch
höhere, von Himmelsstürmen durchwühltere, von Himmelssonnen heißer
durchbrannte Spharen des seelischen Lebens, zn denen ein Michelangelo,
ein Grünewald und sonst die faustischen unter den Größten deuten. Hat
aber je eine zweite Malerseele gelebt, die von allem sie durchflutenden
Licht so wundersam das Sonnengold der Schönheit auffing und weiter-
leuchten und erquicken machte? Raffael, das ist Mai, ist Blüte, Gesang
und Liebe. Raffael, das ist das besondre Genie des Erfreulichen.
Wie die hellenischen Skulpturen der edelsten Zeit, so werden seine Ge-
stalten noch den Spätestgeborenen im Bilde zeigen: so könnte die Mensch-
heit sein, wenn sie sich würdig machte des Glücks. A

^Wo fteckt der Verrat?"

Eiir Gespräch

^^^^einer Ansicht nach spricht man mit Recht vom Verrat im Rücken
/ / unsrer Heere."

, ^Vielleicht ja, doch weiß man, sürchte ich, meist nicht, wo der Verrat
gesteckt hat und welcher Art er war!

„Nun, wenn Deutsche sich rühmen, daß sie in den kämpfenden Heeren
Revoltestimmung geschaffen haben, während der Feind das Vaterland be-
drohte, so ist das gemeiner Verrat gewesen, dünkt mich."

Mir werden uns klar darüber werden müssen, ob wir patriotische Wahr-
heiten austauschen wollen, über die wir beide einig sind, rder ob wir
fremdes Fühlen von seinen eigenen Voraussetzungen aus zu verstehen
suchen wollen. Soweit ich über die Dinge unterrichtet bin, waren die An-
stifter der Äberzeugung, für eine höhere Sittlichkeit zu kämpfen.

„Zu kämpfen! Aber sie wühlten! Ich verstehe den offenen ehrlichen
Kampf für eine offen gezeigte Gesinnung, aber nicht diese feige, heim-
liche Vergiftung!"

Es steht damit, glaube ich, nicht so einsach. Feigheit sucht wohl andere
Wege, als die zur Erschießung führen können. Ilnd wem eine Äber-
zeugung auf die Seele brennt, dem kann es nicht sowohl darum zu
»un sein, sie sozusagen loszuwerden, als: sie wirksam zu machen. Der ein-
fachen Gewalt gegenüber — und die herrschte damals bei uns wie bei allen
Kriegführenden — haben Menschen starker Äberzeugung von jeher das
getan, was Sie die „heimliche Vergiftung" nennen.

„Das wäre!"

Sie brauchen nur an die Geschichte der Religionen zu denken, an
die heimlich durch die Lande flüchtenden Wanderprediger. Wie sollte
auch nur ein Fußpunkt für neue Ideale gegeben sein, wenn ihre Ver-
treter sich mundtot machen lassen, ehe sie noch ihr Wort sprechen können!

„Mag sein, wo es um so hohe Ideale ging! Wo der Mensch glaubte,
die Menschheit den ewigen Irrweg gehen zu sehn, wenn er nicht eingriffe.
Aber hier? War es so schwer zu sehen, daß die höhere Sittlichkeit, daß
die nächste und höchste Pflicht die war, das Vaterland zu verteidigen?"

Sie vergessen, daß diese Äberzeugung von einem gewissen Zeitpunkt
des Krieges an mit Gewalt untergraben wurde. Sie vergessen, daß sich
eine sehr mächtige und laute Annektionspartei bildete, die sich rühmte,
alle Friedensverhandlungen zum Schweigen bringen zu können.

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