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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 17 (1. Juniheft 1920)
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Bonus, Arthur: "Dilettantismus"
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Fischer, Eugen Kurt: Literaturgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0232

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ftaatidee, mit Klöstern, Domen und Glaubensrittern urteilte religiös-poli-
tisch. Dns reformatorische Zeitalter mit seiner eigentümlichen Verbindung
von Beruf und Gottesdienst, Glaubens- und Vernunftkraft bildete die bis-
her tiesste Philosophie aus, die des deutschen Idealismus.

So ist es nun heute: Das in den letzten hundert Iahren auch unter uns
siegreich gewordene Lngländertum mit Technik und Kapitalismus bildete
die rein erfahrungswissenschaftliche Beurteilungsweise aus. Unter dieser
Suggestion stellt unsre Zeit die Dinge so vor, als habe der wissenschaftliche
Fachmann zugleich das einzig berechtigte, einzig zutreffende und letztlich
entscheidende Arteil, dagegen es keine Berufung gebe. Eine Gesamt-
anschauung von der Welt und allen Dingen gibt es nicht eigentlich, sie
komme denn mechanisch durch Addition aller erreichbaren Linzelfachurteile
zustande. Die Gesamturteile, die es gebe, seien abgekürzte Urteile dieser
Art, Sammelurteile.

Dies ist nun völlig irrig. Sie sind Lebensurteile, und das Lebensurteil
ist ein qualitativ und von Grund aus anderes als das Fachurteil. Für
den Lebensbeurteiler sinkt die Fachwissenschaft zu einem Hilfsmittel unter
anderen herunter. Ste kann ihn verbessern, wie er auch von andern
Seiten des Lebens verbessert werden kann. Aber sie ist keine letzte Instanz.

Es schreibt sich von diesen Zusammenhängen die eigentümliche Erschei-
nung her, daß nicht selten das Lebensurteil durch zu große Sachkenntnis
an Sicherheit und Schärfe eher ab- als zunimmt. Der Scherz von dem
„durch keine Sachkenntnis getrübten" Blick ist mehr als ein Scherz. Er
spricht eine Doppelwahrheit aus. Einmal: Die sogenannte „Sachkenntnis"
verbaut nicht selten den Äberblick, indem sie das Einzelproblem ungehörig
in den Vordergrund schiebt. Zweitens: Sie enthält selbst bereits eine be°
stimmte älrteilsweise, und zwar eine einseitig rationale, die den eigentlich
nötigen Blick aus den Gesamtlebenszusammenhängen des Menschen tat-
sächlich „trübt". Manches uns sehr selbstverständlich berührende, weil
wissenschaftlich gesicherte Arteil wird einer nicht sehr fernen Folgezeit nicht
weniger grotesk erscheinen, als uns manche einseitig religiösen Ilrteile des
Mittelalters. Das Mittelalter urteilte bei Dingen, die es nicht einsah,
oder die seine Zirkel empfindlich störten, auf Gotteslästerung. Ansre
wissenschaftliche Zeit schließt in ähnlicher Lage aus ideologische Hirn-
gespinste oder dilettantische Einfälle.

Am nicht mißverständlich zu werden: ein leichtfertiges Arteil bleibt ein
leichtfertiges Arteil. Aber der fachmännische Nachweis des Dilettantis-
mus erweist noch nicht Leichtfertigkeit.

Die große Schärfung, welche das wissenschaftliche Zeitalter unserm Geiste
gebracht hat, wollen wir nicht gering schätzen. Aber dennoch wollen wir
hoffen, daß die Wissenschaften in die Stellung zurücktreten, Dienerinnen
des menschlichen Geistes zu sein statt Herrinnen, und daß die Zeit kommt,
wo man ihre Arteile als dilettantisch einschätzen wird gegenüber den
Arteilen der Weisen aus dem Geiste Goethes. Bonus

LiteraLurgeschichte

^^-^.or knapp zweihundert Iahren begann man mit Chronologien ein-
(zelner Nationalliteraturen, mit Quellensammlungen, kritischen Aus-
gaben, Neudrucken, um Anbekanntes bekannter zu machen. Die
Aufzählung wurde durch Schilderung, Lebensbeschreibungen, Inhaltsanga-

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