Wer tiefer sieht, ahnt, daß die Welt unendlich ist, nicht nur raumzeit-
lich, sondern auch ihrer inneren Fülle nach. Und, wie jemand es einmal
plastisch ausgedrückt hat: je größer der Kreis des Bekannten, desto aus-
gedehnter seine Berührung mit dem Unbekannten. Die Probleme wachsen
mit dem Fortschritt unsrer Einsicht. Alles dies Unbekannte aber liegt
nicht einfach außerhalb, es liegt unter dem Bekannten, zwischen und in
ihm. Es wirkt schon jetzt mit, so gut die Elektrizität mitgewirkt hat, bevor
sie entdeckt war. Ls wirkt auch in der Menschenpsyche mit. Es wirkt in
unbewußten Stimmungen, in plötzlichen Erleuchtungen, in überlieferter
Weisheit aus unkontrollierbaren Quellen. Daher auch eine jede neue
wissenschaftliche Lntdeckung alsbald bereit ist und sehr ost auch in der
Lage, sich eine sehr lange Vorgeschichte zu schreiben.
Alle diese unkontrollierbaren Ahnungsweisheiten nun wirken im Prak-
tiker mit. Oft in der Form symbolischer, sogenannt abergläubischer Vor-
stellungen, ost ganz in die Handlung eingegangen, in einer bestimmten
Art des Bauern zum Beispiel, mit seinem Vieh umzugehen, oder wie
sonst. Das ist es, was sein Ilrteil oft so viel sicherer macht, als das des
Theoretikers.
Ordnen wir nun die Beobachtungen, die wir bisher machten, so können
wir einen zwiefachen Begriff vom Fachmann aufstellen. Er ist entweder
Theoretiker des Fachs oder Ausübender. Dem entspricht ein zwiefacher
Begriff des nichtfachmännischen Beurteilers, dessen Urteil zunächst dilet-
tantisch ist.
Dem Theoretiker des Fachs entspricht der Theoretiker, der über sein
Fach hinauszusehen gelernt hat. Er hat auf beschränktem Einzelgebiet
die wissenschaftliche Methode handhaben gelernt, sich eine nach Möglich-
keit eingehende Äbersicht über die übrigen Wissensgebiete angeeignet und
fühlt sich von daher befähigt, über Verhältnisse auch dieser auderen Ge-
biete mitzuurteilen. Was seinem Arteil dabei notwendig an Sicherheit
im einzelnen abgeht, ersetzt er dadurch, daß er die Gewähr der anderen
Wissenschaften hinter sich hat.
Dem Praktiker eines Fachs entspricht der Beurteiler, der nicht sowohl
aus den Zusammenhängen der Wissenschaften als aus denen des Lebens
urteilt, nicht also unter einseitig wissenschaftlichem Gesichtswinkel, sondern
auch unter ästhetischem, ethischem, religiösem und was für weniger be°
stimmt charakterisierte Einflüsse aus dem Anbewußten noch mitwirken mögen.
Dieser Blick kann — wenn der Mann darnach ist — sehr viel mehr Tiefe
haben, als der des Fachtheoretikers und auch als der des umfassend ge-
lehrten Wissenschaftlers; aber die Fehlermöglichkeit in den tatsächlichen
Richtigkeiten ist notwendigerweise bei ihm noch größer.
Daß heute der wissenschaftliche Fachmann so stark hervortritt, und daß
dieser tzochschätzung entsprechend in der Tat von den Wissenschaften her
heute unstreitig die tüchtigsten Beurteiler kommen — was nicht durchaus
von Vorteil ist: die Zeit Goethes urteilte tiefer —, das hat seine eigenen
Gründe.
Eine jede Zeit ist von einigen Hauptideen beherrscht und sie bevorzugt
eine ihnen entsprechende Urteilsweise. Das Griechentum mit seiner Idee
des äußerlich und innerlich harmonischen Menschen urteilte ästhetisch. Das
Iudentum mit setner Gottesreichidee urteilte religiös-moralistisch, das
Römertum mit Weltherrschaft und Weltordnung politisch-juristisch. Das
Mittelalter mit seinem Suchen nach Gewalt der Seele, mit seiner Gottes-
lich, sondern auch ihrer inneren Fülle nach. Und, wie jemand es einmal
plastisch ausgedrückt hat: je größer der Kreis des Bekannten, desto aus-
gedehnter seine Berührung mit dem Unbekannten. Die Probleme wachsen
mit dem Fortschritt unsrer Einsicht. Alles dies Unbekannte aber liegt
nicht einfach außerhalb, es liegt unter dem Bekannten, zwischen und in
ihm. Es wirkt schon jetzt mit, so gut die Elektrizität mitgewirkt hat, bevor
sie entdeckt war. Ls wirkt auch in der Menschenpsyche mit. Es wirkt in
unbewußten Stimmungen, in plötzlichen Erleuchtungen, in überlieferter
Weisheit aus unkontrollierbaren Quellen. Daher auch eine jede neue
wissenschaftliche Lntdeckung alsbald bereit ist und sehr ost auch in der
Lage, sich eine sehr lange Vorgeschichte zu schreiben.
Alle diese unkontrollierbaren Ahnungsweisheiten nun wirken im Prak-
tiker mit. Oft in der Form symbolischer, sogenannt abergläubischer Vor-
stellungen, ost ganz in die Handlung eingegangen, in einer bestimmten
Art des Bauern zum Beispiel, mit seinem Vieh umzugehen, oder wie
sonst. Das ist es, was sein Ilrteil oft so viel sicherer macht, als das des
Theoretikers.
Ordnen wir nun die Beobachtungen, die wir bisher machten, so können
wir einen zwiefachen Begriff vom Fachmann aufstellen. Er ist entweder
Theoretiker des Fachs oder Ausübender. Dem entspricht ein zwiefacher
Begriff des nichtfachmännischen Beurteilers, dessen Urteil zunächst dilet-
tantisch ist.
Dem Theoretiker des Fachs entspricht der Theoretiker, der über sein
Fach hinauszusehen gelernt hat. Er hat auf beschränktem Einzelgebiet
die wissenschaftliche Methode handhaben gelernt, sich eine nach Möglich-
keit eingehende Äbersicht über die übrigen Wissensgebiete angeeignet und
fühlt sich von daher befähigt, über Verhältnisse auch dieser auderen Ge-
biete mitzuurteilen. Was seinem Arteil dabei notwendig an Sicherheit
im einzelnen abgeht, ersetzt er dadurch, daß er die Gewähr der anderen
Wissenschaften hinter sich hat.
Dem Praktiker eines Fachs entspricht der Beurteiler, der nicht sowohl
aus den Zusammenhängen der Wissenschaften als aus denen des Lebens
urteilt, nicht also unter einseitig wissenschaftlichem Gesichtswinkel, sondern
auch unter ästhetischem, ethischem, religiösem und was für weniger be°
stimmt charakterisierte Einflüsse aus dem Anbewußten noch mitwirken mögen.
Dieser Blick kann — wenn der Mann darnach ist — sehr viel mehr Tiefe
haben, als der des Fachtheoretikers und auch als der des umfassend ge-
lehrten Wissenschaftlers; aber die Fehlermöglichkeit in den tatsächlichen
Richtigkeiten ist notwendigerweise bei ihm noch größer.
Daß heute der wissenschaftliche Fachmann so stark hervortritt, und daß
dieser tzochschätzung entsprechend in der Tat von den Wissenschaften her
heute unstreitig die tüchtigsten Beurteiler kommen — was nicht durchaus
von Vorteil ist: die Zeit Goethes urteilte tiefer —, das hat seine eigenen
Gründe.
Eine jede Zeit ist von einigen Hauptideen beherrscht und sie bevorzugt
eine ihnen entsprechende Urteilsweise. Das Griechentum mit seiner Idee
des äußerlich und innerlich harmonischen Menschen urteilte ästhetisch. Das
Iudentum mit setner Gottesreichidee urteilte religiös-moralistisch, das
Römertum mit Weltherrschaft und Weltordnung politisch-juristisch. Das
Mittelalter mit seinem Suchen nach Gewalt der Seele, mit seiner Gottes-