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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 19 (Juliheft 1920)
DOI Artikel:
Arend, Max: Ein wiedergewonnenes Meisterwerk Glucks
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Keyserling, Hermann Graf: Farben in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0328

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deren Vieldeutigkeit und Iknbestimintheit gerade Gluck so lebhaft
und schmerzlich erkannt nnd bekannt hat, die Rolle der Sprecherin, der
Interpretin bekommt, sie, die sich so gern in der Tragödie an das erlösende
Wort anlehnt. Praktisch wird diese Grundeigenschaft der Musikpantomime
in ihrer nachteiligen Wirkung gemäßigt durch ein Programm, das man
dem Zuschauer in die Hand gibt, ästhetisch-theoretisch wird sie durch die
Notwendigkeit eines solchen Programms unterstrichen und verschärft. Ge-
wiß ist die musikalische Ballettpantomime Kunst höchster Art. Ihre Probleme
bewegen uns heute wie zur Zeit Glucks, ja mehr als damals. Aber allzu
einsani ist hier das Genie, dem nur selten ein volles Mitempsinden folgen
kann, allzu sehr muß es seine Gaben verschwenden. Das läßt es verständlich
erscheinen, daß Gluck, dem die nächsten Iahre den gewaltigen Endkampf
seines Lebens in Paris und den vollen Triumph brachten, keine Zeit mehr
fand, auf seine Ballettpantomimen zurückzukommen. Nm so kostbarer sind
sie uns, diese Wundersamen Gebilde, die kühnsten Griffen des schaffenden
Genius entstammen.* Max Arend

Farben in der Kunst

wenig beachtet, bisher nur einmal, in meinem „Gefüge der
/ Welt" gebührend gewürdigt, hat ein schlichter Gelehrter Iahrzehnte
^ ^seines Lebens in den Dienst einer Sache gestellt, die ihn in früheren
Iahrhunderten in den Mittelpunkt des europäischen Interesses versetzt
hätte: nämlich des Nachweises von einheitlichen Zahlengesetzen, so wie
Pythagoras solche voraussetzte, in den Schöpfungen der Natur sowohl als
der Kunst. Nnd es ist ihm wahrhaftig geglückt, zu demonstrieren, daß
Pythagoras im ganzen Recht behält: es gibt eine Möglichkeit, die Har°
monie der Sphären und die der Musik, die Fvrmen der Kristalle und
die Farbenanwendungen in der Kunst aus einem Grundgesetz heraus zu
begreifen. Dies Grundgesetz ist das der Komplikation, und sein Entdecker
ist der Heidelberger Kristallograph Professor Viktor Goldschmidt.

Seine wenig umfangreiche, schon im Iahre BOs bei I. Springer in
Berlin erschienene grundlegende Schrift „Harmonie und Komplikation"
sollte niemand ungelesen lassen, der sich für rhythmische Fragen interessiert.
Aus ihr geht nämlich hervor, nicht allein, daß es identische Zahlengesetze
sind, welche die Abstände der Planeten, die Flächenwinkel der Kristalle und
die harmonischen Intervalle in der Musik bestimmen: aus ihr erhellt, daß
eine musikalische Komposition, je klassischer sie ist, desto mehr eben die
Rhythmen zum Ausdruck bringt, welche die Sternsysteme verkörpern;
während sich umgekehrt die Differenziertheit der Straußschen Musik z. B.
a priori nach dem Komplikationsgesetz konstruieren läßt. Die philosophi-
schen Folgen dieser Tatsache, zumal für die Asthetik, lese man im dritten
Kapitel meines „Gefüges der Welt" nach, dessen zweite Auflage in diesem
Frühjahr noch erscheint. Hier möchte ich die Aufmerksamkeit gerade auf
das Faktische lenken, und dies aus Anlaß dessen, daß es Goldschmidt eben
jetzt gelungen ist, die gleiche Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung der Farben,
wie die Kunst sie anwendet, nachzuweisen.

Als vierten Band der von Karl Neumann und Karl Lohmeyer heraus-

* Der Klavierauszug mit deutschem Programm einer dritten Gluckschen
Ballettpantomime „Der Prinz von Ehina" (nach Voltaires Orphelian dc la
Chine) konnte (9(5 in der Hausmusik des Kunstwarts erscheinen.

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