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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 15 (1. Maiheft  1920)
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Avenarius, Ferdinand: Erwärmt die Heimat!
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Fischer, Eugen Kurt: Formzertrümmerung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0132

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er mit Baum und Garten zusammen eiu fröhliches Farbenspiel trieb. Ich
entsinne mich noch ganz entzückender Bilder solcher Art fast aus jedem
deutschen Landstrich, den ich in meiner Iugend kannte. Schon durch Sonne
und Regen wurde die Farbe überall schön, überall harmonisch, wo sie aufs
Große ging.

Aufs Große gehn, freilich, das muß sie. Nicht auf diese Wand oder
dieses Haus allein, nein, auf die Häusergruppe, auf den Ort, auf das
Ganze, soweit es sichtbar ist. Es kanu auch sein, daß eine weiße Wand
mit einem aufgemalten Bilde nicht kleinlich wirkt — wo eine gute Aber--
lieferung hilft, wie etwa in Bayern. Ungefährlich ist derlei nicht. Recht
gefährlich dagegen ist das „Dekorieren", und höchst gefährlich das Orna-
mentieren, doppelt, wenn's mit Schnitzen oder sonstigem „plastischen
Schmücken" zusammengeht. Von hundert Fällen in neunzig und neunen
schadet das „Dekorieren". Ruhe ist das erste. Niemals zwei For--
men, wo's eine tut, uud niemals zwei Farbeu, wo eine langt. Größe,
Schlichtheit, Weite. Aber auch Kraft! Wagt was in der Farbe!
Mischt sie nicht mit Weiß, damit sie gleich aufangs „harmonisch" aus--
sehe^ mit Weiß oder gar mit Kreide vermauschte Farbe sieht schon im
nächsten Iahre jämmerlich flau aus. Nur ungeweißte Farbe wird durch
Wetter und Wind schön — rechnet also mit dem Verschießen! Das Aller-
schlimmste ist das, was der Sachse „Pimpeln" nennt, das „Gebimmel mit
kleinen Glöckcheu", das Buntmachen mit allerlei Förmchen und Färbchen.
Iedes Haus eiue Farbe und womöglich gar keine „Auszeichnung" dazu.
In Kopenhagen hat man einmal noch in der Neuzeit einen ganzen Platz
so gestimmt, daß nur jedes Haus oder auch mehrere zusammen einen Ton
zum Akkorde gaben — wie satt und ruhig, wie saftig und lebensvoll war
das!

Und ob wir noch so ausgeraubt, ausgepreßt, ausgegaunert, ja: ob wir
bettelarm geworden sind — unsre Heimat braucht deshalb nicht häßlich
zu werden. Selbst dann nicht, wenn wir zu so einfachen Baustoffen zurück
müssen, wie Lehmwänden. Aber wir müssen da umdenken vom Grund-
stein auf. „Erwärmt die Heimat!" Als wichtigstes Mittel dazu: lernt
das Haus, lernt die Straße, lernt den Ort auch als eine koloristische
Aufgabe sehn. Löst ihr diese Aufgaben, so mag es gelingen, nur mit
einem Nichts an Mehraufwand herzustellen, was beruhigt und zugleich
entzückt, wo sonst Häßliches und Blödes den Bewohner und seine Besucher
verstimmen würde. Die kommenden Dörfer, die kommenden Städte, die
kommenden Heimstätten der deutschen Meuschen überhaupt werden Farben-
melodien tönen. A

Forurzertrürnmerung

in Gang durch die Straße. Blickt man geradeaus, so wogt es und
^ schwirrt es von gequälten Häuserfronten, in deren Fenstern und Giebeln
^^der Geist einer seelenlosen Zeit sich renkt und bäumt, odcr man stolpert
mit den Augen über Karren und Trams und Menscheri. Blickt man hoch,
so sieht man den Himmel von tausend sich kreuzenden Drähten zerschnitten.
Blickt man zur Seite, so starren einen die Schaufenster mit buntscheckigen
Fratzen an, aus der Nnzahl der darin gelagerten Gegenstände gebildet. So
also ist das Bild einer Straße, die vielen hundert Menschen Arbeits- und
Wohnstättc sein soll, dieses Durchgangtunnels Nnzähliger. Nnd hört man

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