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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 15 (1. Maiheft  1920)
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Hans Pfitzners Bekenntnis
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Andreesen, Alfred Theodor: Wort- oder Menschenschule?: ein Beitrag zur bevorstehenden Schulreform
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0143

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„international" sein — was heute noch niemand sagen kann —, so wird der Anteil
des Iudentums daran gering genug sein. Wem dient denn, ohne es zu wollen,
vielleicht sehr gegen seinen Willen, wer diese Dinge verworren nnd aufreizend
behandelt? Einer ganz unfruchtbaren Hetze, die schließlich Blutopfer forderu
muß, ganz gewiß aber nicht dem „Germanentum". Wir habeu gezeigt, daß wir
solches Verhalten „verstehen" — entschuldigt ist es damit nicht. Auch dem Künstler
hohen Grades darf das Temperameut am Errde nicht durchgehen bis zu häßlichen
und pamphletistischen Tönen. Er wird am Ende zumeist dazu beitragen, daß
Viele wieder einmal die „llnzurechnungsfähigkeit" des Musikers in nichtmusikali--
schen Dingen befriedigt feststelleu. Vollends abwegig war es, Paul Bekkers
Theoricn, die dieser Schriftsteller gewiß in seiner Lntdeckerfreude höchst über°
spitzt und übcrtrieben, einseitig und leider auch in unausgereifter Form vortrug,
mit all diescn gesellschastlichen Vorgängen so eindeutig zu verknüpfen. Natürlich
könnten diese Theorien ebensogut von einem hoch „Nationalgesinnten" stammen
und in dcn Süddeutschen Monatsheften erschienen sein. Natürlich sind sie
nicht der Ausfluß einer niedrigen Naturveranlagung und sträflichen Impotenz,
nicht der Ausdruck des Empfindens der llnterschicht, nicht national oder inter-
national, sondern sie sind eine aus der wissenschaftlichen Konstellation über°
raschend spät erwachsene, leicht vorauszuahnerrde Hypothese, die ganz einfach
wie jede andre der sachlichen Prüfung auf ihren Wahrheitsgehalt unterliegt
und für die sich Bekker jede Vermengung mit der „Germanen"frage berechtigter-
maßen verbitten darf. Pfitzners sachliche Kritik dieser Theorie, die übrigens
außerordentlich geistvoll ist, wird uns in einem zweiten Aufsatz beschäftigen.
Sollte Bekker im Irrtum sein, so bleibt uns derselbe Trost, den Pfitzner für
das Germanentum weiß — jede einzige jener seelenvollen und herrlichen Melodien,
die uns seit dem Werden der neuen Musik ins Herz gezündet haben, wird dann
„länger leben" alS sie.

Wort- oder Menschenschule?

Ein Beitrag zur bevorstehenden Schulreform

ie deutsche Iugend steht vor wichtigen Entscheidungen, an denen sie
zwar nicht selbst mitwirkt, die jedoch ihre ganze Zukunft besttmmen wer--
den. Im Frühjahr i920 soll die große Reichsschulkonferenz stattfinden,
die die Neugestaltung des deutschen Schulwesens beraten wird. Schon jetzt
sind Nnzählige an der Arbeit: Geheimräte und Direktoren, Oberlehrer,
Volksschullehrer, Nniversitätsprofessoren. An Erfahrung und an Würde
wird es nicht mangeln. Werden aber auch Herzen da sein, in die der Son--
nenschein der IugenL noch hineinzulenchten vermag? Wenn man die Be°
schlüsse einer kürzlich abgehaltenen Vorbesprechung im Ministerium liest,
die eine neue Rechtschreibung und die obligatorische Einführung eines
neuen Unterrichtsfaches, der Staatskunde, vorsehen, so sieht der Freund
der Iugend besorgt in die Zukunft. Iedenfalls: es ist nicht das, was unserer
Iugend vor allem andern nottut.

Wo liegt der Angelpunkt der ganzen Schulreform? Ihre Aufgabe wird
es sein, die am meisten ins Auge fallenden Mängel des alten Schulsystems
zu beseitigen. Welche waren diese? Die öffentliche Schule ist seit Iahr--
hunderten eine Wortschule oder Lernschule. Darin sind alle ihre Unvoll-
kommenheiten beschlossen. lind doch hatte sie sich selbst seit Humboldts Zeiten
ein anderes Ziel gesteckt, zum mindesten hatte das die höhere Schule ge--
tan: sie wollte Menschenschule sein. Das alte humanistische Gymnasium
drückt dieses ja programmatisch sogar in seinem Namen aus. Zweierlei ver-
körpert sich in dieser Aufgabe einer Schule: Einmal soll sie dem heranwach-
senden Geschlecht das Kulturgut, das uns überkommen ist, weitergeben —
 
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